Am 5. September wird auf der koreanischen Halbinsel wieder eine große „Völkerwanderung“ beginnen.
Auf den großen Verkehrsstraßen des Landes wird es endlose Autoschlangen geben, während sich die Fahrzeuge im Schneckentempo vorwärtsbewegen. Die Fahrkarten für Züge und Flugzeuge sind bereits restlos ausverkauft. Das ist die Situation zu Chuseok, dem höchsten Feiertag Koreas. 2014 fällt er auf den 8. September, um so den Leuten einen fünftägigen Urlaub vom 6. bis zum 10. September zu gewähren.
Chuseok läutet den Beginn der traditionellen Erntesaison ein, in der Bauern die Früchte ihrer einjährigen Bemühungen ernten. In der heutigen Zeit schließen alle Firmen in diesem Zeitraum. Ebenso wie Büros und Märkte. Die normalerweise von Verkehr überfüllten Metropolen erscheinen plötzlich wie verwaist.
Während des Chuseok-Fests, dem höchsten Feiertag in Korea, gibt es auf den Straßen des Landes endlose Verkehrsstaus (oben), während die Innenstädte der Metropolen ausgestorben sind (Foto: Yonhap News).
Chuseok ist die Zeit der Familientreffen in der Heimatstadt der Eltern oder älteren Geschwister. Leute brechen von ihren jetzigen Wohnorten auf, um zum Zuhause ihrer Kindheit zu fahren. Sie bringen so viele Geschenke wie sie tragen können, für ihre Eltern, Geschwister oder andere Verwandte mit. Für viele Menschen ist das Heim ihrer Kindheit ein Ort der Ruhe, der immer in ihrem Herzen fortleben wird.
Die „Völkerwanderung” beginnt
Während Chuseok dauert die Autofahrt in die Heimat länger als sonst. Normalerweise benötigt man vier oder fünf Stunden, um von Seoul aus große Städte wie Busan oder Gwangju zu erreichen. An den Chuseok.-Feiertagen kann es über zehn Stunden dauern. Dennoch ertragen die Menschen das Warten und fühlen sich großartig auf der Heimfahrt, die sie mit ihrer erweiterten Verwandtschaft zusammenbringt.
Berichten zufolge sollen in diesem Jahr 35 Millionen Menschen im Land unterwegs sein, die während der Chuseok-Feiertage reisen. Das bedeutet, dass 75 Prozent der Bevölkerung des Landes unterwegs sein wird. Eine solche große „Völkerwanderung“ jedes Jahr spiegelt die rapide Urbanisierung und Industrialisierung der koreanischen Gesellschaft wider, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte vollzog.
Die Ladenregale sind vor Chuseok mit Geschenken gefüllt (Fotos: Jeon Han).
Korea war vor den 1970er Jahren eine Agrargesellschaft. Der Großteil des Landes wurde landwirtschaftlich genutzt. Bauern machten den Hauptanteil der Bevölkerung aus. Die rapide Urbanisierung und Industrialisierung, deren sichtbare Zeichen große Industriekomplexe sind, veränderten das Leben vieler Menschen. Viele junge Leute verließen ihr Zuhause auf dem Lande und zogen in eine größere Stadt, um nach Arbeit zu suchen. Wie versprochen kehren sie allerdings zweimal im Jahr an den Ort ihrer Kindheit zurück: zum Neujahrsfest nach dem Mondkalender und zu Chuseok. Auch wenn sich die Gesellschaft oberflächlich betrachtet verändert hat, haben sich die Empfindungen und Traditionen der vielen Menschen, die jedes Jahr in das Heim ihrer Kindheit zurückkehren, nicht so sehr geändert. Die Traditionen sind also immer noch tief verwurzelt.
Chuseok, Fest des Teilens
Chuseok ist ein Fest, bei dem die Menschen ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse miteinander teilen und die Ankunft der Erntesaison auf der koreanischen Halbinsel in der Mitte des Herbstes feiern. Der Reis, der im April und Mai angebaut wurde, ist während des heißen Sommers schnell gewachsen. Er ist rechtzeitig für das Chuseok-Fest reif, während die Reiskörner am Stiel härter und schwerer werden, sodass sie die Ähre auf den Boden ziehen. Saisonale Früchte wie Äpfel und Birnen reifen ebenfalls unter der heißen Sonne und nehmen einen süßen Geschmack an. Sie warten darauf, serviert zu werden. Auch geben viele Arbeitgeber ihren Angestellten Bonuszahlungen, sodass sie in guter Stimmung mit einer vollen Brieftasche in ihre Heimatstädte reisen können.
Leute bereiten Songpyeon, halbmondförmige Reiskuchen mit einer süßen Füllung, zu. Der verwendete Reis wurde um das Chuseok-Fest herum geerntet (Foto: Yonhap News).
Leckere Songpyeon warten darauf, serviert zu werden (Foto: Jeon Han).
Menschen aus aller Welt denken an ihre Familie und das Haus ihrer Kindheit. Bewohner Seouls erweisen in einer traditionellen koreanischen Zeremonie den Vorfahren ihren Respekt (Fotos mit freundlicher Genehmigung des Seoul Global Center).
Während Chuseok versammeln sich Familien und sprechen bis spät in die Nacht über Dinge, über die sie sich lange nicht ausgetauscht haben. Sie kaufen Songpyeon, halbmondförmige Reiskuchen mit einer süßen Füllung, die gewöhnlich mit frisch geerntetem Reis und Früchten wie Äpfeln oder Birnen zubereitet werden. Dies ist eine Vorbereitung auf die Ahnenriten (Koreanisch: Charye), durch die sie ihren Vorfahren für die Ernte danken. Leute teilen auch großzügig leckeres Essen mit ihren Nachbarn. Unabhängig davon, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, teilen die Menschen ihr Essen und genießen die Zeit des Chuseok-Festes. Es gibt ein Sprichwort: „Ich wünschte, dass alle 365 Tage des Jahres wie Chuseok wären.“
Während des Chuseok-Festes besuchen Familien ihr Familiengrab, um den Generationen vor ihnen ihren Respekt zu erweisen (Foto: Yonhap News).
Es gibt insbesondere eine Sache, die man zu Chuseok keinesfalls versäumen sollte. Familien versammeln sich und besuchen ihr Familiengrab, um allen früheren Generationen ihrer Familie den Respekt zu erweisen. Sie besuchen die kleinen Grabstätten, die über das ganze Land verteilt auf flachen, den Bergen vorgelagerten Hügeln zu finden sind, oder sie besuchen den öffentlichen Friedhof, wo die Asche ihrer Verstorbenen verwahrt wird, und denken an ihre Eltern, Großeltern und frühere Generationen. Zum Essen, das für die Charye vorbereitet wird, gehören oft Früchte und getrocknetes Fleisch; manchmal werden diese Dinge auch durch einfacheres Essen ersetzt. Überall gleich ist aber die Mentalität, mit der die Leute ihren Vorfahren Respekt erweisen. Der Besuch eines Grabs bietet die Chance, sich mit den Verstorbenen auszusöhnen und mit seinem Leben fortzufahren.
Neben dem Erweisen von Respekt gegenüber der eigenen Familie gibt es während des Chuseok-Festes viele Events und Aktivitäten, die Spaß machen. Zu den traditionellen Veranstaltungen gehören Stierkämpfe, Weben, Beobachtung des Vollmonds und Teilnahme an einem traditionellen Tanz namens Ganggangsullae. Einige Leute mögen traditionelle Bauernmusik oder beteiligen sich an einem Tauziehen unter Nachbarn oder zwischen verschiedenen Dörfern. Es gibt auch traditionelles Ringen, Ssireum, das auf Grasflächen oder in Sandgruben ausgetragen wird. Der Sieger wird als „starker Mann“ bezeichnet und erhält die Hälfte einer Kuh, einen großen Sack Reis oder einen Ballen Baumwolle.
Chuseok ist der höchste koreanische Feiertag. Das Fest ist die Zeit, wenn die Menschen eine reiche Ernte feiern sowie ihre Familie und frühere Generationen ehren und ihr/ihnen Respekt erweisen. Auch genießen sie in dieser Zeit die Warmherzigkeit der Gemeinschaft.
Nachdem die Leute eine großartige Zeit mit der Familie verbracht haben, ohne sich für ein paar Tage über andere Dinge Sorgen machen zu müssen, kehren sie in ihr hektisches städtisches Leben zurück. Mit neuer Energie nach einer langen Ruhepause und mit der Ermutigung durch Freunde und Familie nehmen sie wieder ihre Arbeit auf und warten auf das Chuseok-Fest im nächsten Jahr.
Von Wi Tack-whan, Limb Jae-un Redakteure, Korea.net whan23@korea.kr Übersetzung: Gesine Stoyke