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„PENINSULA": DER ZUG FÄHRT AB, DIE ZOMBIES BLEIBEN

Anfang Oktober startete in Deutschland der zweite Teil von "Train to Busan: Peninsula“ - eine Fortsetzung des Zombie-Horror-Films von Yeon Sang-ho. Diesmal fahren die Charaktere nicht mit den Toten im selben Zug, sondern gehen in das unter Quarantäne gestellte Korea und versuchen, das Land auszurauben.


Diesmal also gibt es keinen Zug nach Busan, man nimmt das Schiff. Tatsächlich heißt der neue Film einfach „Peninsula". Der Originaltitel „Train to Busan 2“ wurde vom Verleih mancher Länder übernommen, um an den Erfolg des ersten Filmes anzuknüpfen. Mit diesem Hinweis sollen die potenziellen Liebhaber von Yeon Sang-ho die zweite Produktion nicht verpassen.


Jung-seok in den Straßen Hong Kongs (Alle Fotos: ©️ Splendid Film GmbH)


„Peninsula“ setzt die Geschehnisse von „Train to Busan“ fort: Seit dem Ende des ersten Teils sind vier Jahre vergangen. Ein Heilmittel gegen das schreckliche Virus wurde nicht gefunden, und so entwickelte sich die koreanische Halbinsel zu einem Land, das komplett abgeriegelt wurde, im allgemeinen Sprachgebrauch „Halbinsel". Ob es dort noch lebende Menschen gibt, weiß niemand auf der Welt, und man hat es nicht eilig, das herauszufinden. Vier verzweifelte Menschen, die aus Korea nach Hongkong flüchten konnten und nun dort ein düsteres Dasein fristen, werden von einer Gruppe lokaler Banditen gegen eine großzügige Bezahlung zurück in die Welt der lebenden Toten geschickt. Die Exilanten sollen einen Lastwagen mit 20 Millionen Dollar finden und ihn aus Korea nach Hongkong bringen. Als Bezahlung wird ihnen die Hälfte des Geldes versprochen. Mit dem Geld können die Toten schließlich nichts anfangen, und weil ja Zombies nachts blind und hilflos sind, sollte die Operation schnell und problemlos umzusetzen sein. Natürlich laufen die Dinge nicht nach Plan. Wie immer in solchen Situationen sind die Protagonist*innen auch bloß Menschen und begehen zu unserer Freude die üblichen Fehler. Die Action fängt an.   

 

Yeon Sang-ho ist etwas jünger als der Schöpfer von „Parasite“, Bong Joon-ho. Er hat wohl einige Methoden seines älteren Kollegen übernommen. Beispielsweise ähnelt sein „Train to Busan", in dem eine immer kleiner werdende Gruppe von Überlebenden in einem Zug gegen Horden von Zombies kämpft, unwillkürlich dem dystopischen Werk „Snowpiercer" von Bong Joon-ho, insbesondere bei der Dramaturgie: Immer wieder findet sich eine Kombination aus einer Genre-Vorlage mit gesellschaftspolitischen Kommentaren, wobei Yeon Sang-ho dem typischen Mainstream viel näher zu sein scheint.



Jung-seok kann die Überlebenden mit seiner Geschichte nicht überzeugen

Warum haben die Zuschauer*innen „Train to Busan“ so geschätzt? Wir meinen natürlich solche, die es gewohnt sind, Horrorfilme zu konsumieren und ein Thema wie Zombies entsprechend für spannend halten. Dem unvoreingenommenen Kinogänger bereiten die üblichen Zutaten kein Vergnügen: Das ständige Nagen an Menschenkörpern, das großzügige Spritzen von Blut und zitternde Unmenschen sind nicht jedermanns Sache. Sicher basiert „Train to Busan“ auf einem bereits im westlichen Kino entwickelten Zombiethriller-Modell, dem mehrere Komponenten hinzugefügt wurden, etwa der versiegelte Raum, das hohe Tempo, viel Adrenalin in der Geschichte sowie antikapitalistisches Pathos. Die Unterhaltung geschieht durch großzügige Spezialeffekte, den Soundtrack, das hohe Tempo und vor allem durch stimmige, spannende und spektakulär inszenierte Actionszenen. Den Fokus seiner Handlung richtet Yeon Sang-ho immer noch auf die Charaktere, die ihre Lebenseinstellung im Laufe des Geschehens überdenken. 


Er setzt Akzente auf Drama und Gefühle, die es so im zweiten Film kaum gibt. Nehmen wir beispielsweise den Protagonisten Seok-Woo, gespielt von Gong Yoo, der sich zuerst als zurückgezogener, aber durchaus ichbezogener Fondsmanager zeigt, und zum Ende des Filmes bereit ist, sein Leben für andere zu opfern. Bei „Peninsula“ scheint es, als ob die Schauspieler*innen ausschließlich vor dem Green Screen ihre Künste zeigten. Die meisten Szenen geschehen im Dunklen. Natürlich ist diese Tageszeit am besten geeignet, um Zombies zu entkommen, aber auch die Szenen in Hongkong spielen ausschließlich abends und nachts, als ob die Apokalypse bereits auf der ganzen Erde angekommen sei. Die einzige hell ausgeleuchtete Szene ist das Finale. Obwohl visuell gelungen, ist es inhaltlich eine Sammlung von Klischees, die den erfahrenen Kinogänger kaum berühren werden.



Captain Seo eröffnet die blutigen Gladiatorenkämpfe

 

Die Charaktere lassen sich in drei Gruppen einteilen: Rückkehrer, Überlebende und militärische Plünderer. Die Zombies selbst werden zu einer Art aggressivem Hintergrund degradiert. Die Hauptbedrohung geht nämlich gar nicht von den ewig hungrigen lebenden Toten aus, sondern von schlechten Menschen. Die spektakulärste der formalen Neuerungen ist die Jagd: Natürlich nachts und bei ausgeschaltetem Scheinwerfer. Diese Jagd erinnert an Computerspiele, findet aber auch den stilistischen Anschluss an „Train to Busan“: Die Helden eilen ständig irgendwohin, holen einige ein und rennen vor anderen davon. Obwohl „Peninsula“ im großen Stil und mit viel VFXs gemacht wurde, fehlt dem Film in gewisser Weise Integrität und Glaubwürdigkeit. Streckenweise ahmt der Film fast gedankenlos postapokalyptische US-Produktionen wie „Die Klapperschlange“ und vor allem „Mad Max“ nach.



Min-jung kann nicht glauben, was sie sieht

Die interessanteste und bedeutungsvollste Neuerung von „Peninsula“ ist das feministische Pathos. Aus Hongkong begleitet zwar nur eine Frau die Gruppe der Männer, dafür besteht die überlebende Gesellschaft der allmächtigen und furchtlosen Ureinwohner der Halbinsel aus einer Mutter (Lee Jong-hyun) und ihren minderjährigen Töchtern, die tapfer ein gepanzertes Auto durch die nächtlichen Straßen fahren. Zu ihrem Team läuft aus der Hongkong-Gruppe schnell der attraktive John Suk (Kang Dong-won) über, der allerdings bald zur „Begleitblondine“ degradiert wird, eine Rolle, die sich in der weiblichen Ausformung im westlichen Kino fast bis in die 1980-er-Jahre großer Popularität erfreute. Der andere Mann in diesem Team – der dem Wahnsinn anheimgefallene Großvater (Kwon Hye-hyo) − ist praktisch nutzlos. Während des gesamten Films führt er Gespräche mit einer imaginären Retterin Jane, also wiederum einer Frau. Frauen retten Frauen, und sie geben nicht auf, während Männer miteinander konkurrieren oder sich amüsieren, als Verlierer enden. 


Yeon Sang-ho hat seine Karriere als Animator begonnen. Sein Trickfilm für Erwachsene „Der König der Schweine“ wurde in Cannes gezeigt, wo später sein Film „Train to Busan“ Weltpremiere feierte. Nach Cannes wurde auch „Peninsula“ eingeladen, nur 2020 fanden die Internationalen Filmfestspiele von Cannes ja dann leider gar nicht statt. Zu weiteren seiner Filme über Zombies gehört ebenfalls das animierte Prequel „Seoul Station“ das den Beginn der Epidemie zeigt, und wo der Grund für die Ausbreitung der Epidemie klar genug erklärt wird. Sie entstand letztlich aus einem Mangel an Empathie und nicht funktionierenden sozialen Mechanismen: Wenn ein infizierter Obdachloser am Bahnhof rechtzeitig ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre, wäre es möglicherweise nicht zu einer Katastrophe gekommen. Jede Folge dieser Zombie-Trilogie ist eine unabhängige und vollständige Geschichte. Orte, Charaktere und sogar das Genre ändern sich von Werk zu Werk. „Train to Busan“ ist ein Katastrophenfilm, „Seoul Station“ ein Drama über die Obdachlosen, die als erste von der Epidemie getroffen wurden und schließlich „Peninsula“ ein postapokalyptischer Actionfilm, in dem das ehemalige Militär im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Es war ziemlich mutig von dem Regisseur, das eigene Land aus einem derart unattraktiven Blickwinkel zu zeigen und – wenn auch als Fantasie – die dort vorherrschenden Sitten zu kritisieren.



Jung-seok führt sein Team an

Die Spielfilme von Yeon Sang-ho zeigen erhöhte Aufmerksamkeit für Spezialeffekte, aber auch ein unplausibles Tempo sowie surreale Helden. Seine Protagonisten könnten auch Zeichentrickfiguren sein, egal, ob diese an grotesken Gladiatorenkämpfen teilnehmen, tapfer ein Auto fahren oder eine Armee von Zombies mit einer Lenkraddrehung besiegen. Man muss diese Konventionen der Handlung und Darstellung gleich am Anfang akzeptieren, um den Film einigermaßen genießen zu können. Mit so einem Film kann man sicher eine Selbstisolation überwinden und die Gesetze einer veränderten Welt kennenlernen. Schade nur, dass das Thema der Zombie-Epidemie in Nordkorea ungelöst bleibt. Es wäre interessant zu sehen, ob die Kommunisten eine Pandemie besiegen oder, wie im Westen, zu unkontrollierten Raubtieren degradieren, die das Fleisch eigener Art verschlingen. Vielleicht wagen es die Filmautoren ja noch, diese Geschichte in einer neuen Folge anzusprechen. 

 

Bild von Dr. Tatiana Rosenstein

Bild von Dr. Tatiana Rosenstein

Foto: privat


Dr. Tatiana Rosenstein







Kunsthistorikerin und Filmwissenschaftlerin, berichtet seit 1999 für deutschsprachige und ausländische Medien von internationalen Filmfestivals und ist in Kritikerjurys tätig. Sie verfasst ihre Beiträge in mehreren Sprachen, wobei ihre Veröffentlichungen von Reed Business Information, Condé Nast, Hearst oder Hachette Filipacchi von Europa und Russland bis nach China und Korea reichen.