Ausland


Seitdem sich Greta Thunberg im August 2018 mit dem Schild „Schulstreik fürs Klima” vor das schwedische Parlament setzte, streiken Schüler/-innen weltweit jeden Freitag für eine bessere, grünere Zukunft. Die mittlerweile 18-jährige Aktivistin wurde schnell zum Symbol der globalen Bewegung Fridays for Future und einer Generation, die sich zunehmend stark für den Klimaschutz einsetzt. Doch ist diese Bewegung auch in Südkorea angekommen? Wie gut sind junge Koreaner/-innen über Themen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit informiert? Und können sie sich von dem in der koreanischen Gesellschaft tief verankerten Trend des Massenkonsums distanzieren? Im Gespräch mit den 28-jährigen Zwillingen Yura und Yumi Lee, denen der Klimaschutz sehr am Herzen liegt, bin ich diesen und weiteren Fragen auf den Grund gegangen. 

Im März 2020 sorgte eine Gruppe jugendlicher Koreaner/-innen weltweit für Schlagzeilen: Die jungen Aktivist/-innen verklagten ihre eigene Regierung als Reaktion auf die erneute Herabsetzung von Koreas Emissionsziel. Sie sind überzeugt, dass das neue Emissionsziel bei Weitem nicht ausreicht, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen und den globalen Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius zu halten. Die unzureichende Klimaschutzpolitik verletze außerdem koreanische Grundrechte wie das Recht auf Leben und das Recht zu einer sauberen Umwelt. Auch die Fridays-for-Future-Streiks finden in vielen koreanischen Schulen statt. Doch wie schlägt sich Korea im internationalen Vergleich?

Mit kreativen Plakaten demonstrieren junge Koreaner/-innen für eine bessere Klimaschutzpolitik (Foto: 350.org).

Meine Freundin Yura hat den Eindruck, dass im Ausland deutlich mehr protestiert und gestreikt werde. Eine interessante Beobachtung, da Korea eigentlich als Protestnation bekannt ist. „Gestreikt wird hier schon, allerdings nur selten im Namen des Planeten. Der Ernst der Lage ist gerade der älteren Generation noch nicht bewusst”, erklärt sie. Ihre Schwester Yumi stimmt ihr zu: „Es sind definitiv vornehmlich junge Koreaner/-innen, die sich aktiv für den Umweltschutz einsetzen“. Die Jugend mischt die Regierung in Sachen Umweltschutz auch von innen auf: Die ehemalige Anwältin Soyoung Lee ist mit 35 Jahren das jüngste Mitglied des koreanischen Parlamentes und eine treibende Kraft hinter dem Green New Deal. Sie setzte sich stark für den Green New Deal ein, da ihr Klimaschutzpolitik selbst ungemein wichtig ist, aber auch, weil sie weiß, dass sie damit viele junge Wähler/-innen auf ihrer Seite haben wird. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind „In“.

Doch genau hier sehen die Schwestern das Problem. Wie auch in anderen Ländern finden in Korea zunehmend nachhaltige Alternativen ihren Weg ins Ladenregal. Vor allem wiederverwendbare Wasserflaschen und Kaffeebecher kommen bei der jüngsten Generation sehr gut an. Yumi befürchtet allerdings, dass viele Jugendliche ausschließlich zu nachhaltigen Produkten greifen, weil es „cool“ ist und nicht, weil sie sich ernsthaft für den Klimaschutz interessieren. Auch Yura ist der Meinung, dass es nicht genug ist, sich seinen Kaffee in einen Thermobecher füllen zu lassen, statt in den Einwegbecher. „In“ ist nämlich nach wie vor der Massenkonsum in Korea, auch bei der Jugend. Selten wird man junge Koreaner mit einem Mobiltelefon finden, das älter als ein bis zwei Jahre ist. Auf den Straßen sind fast ausschließlich die neusten Automodelle der koreanischen Großunternehmen Hyundai und Kia unterwegs, Gebrauchtwagenhändler gibt es kaum. Gigantische Einkaufszentren hingegen finden sich an jeder Ecke, und sogar die U-Bahn-Stationen sind gepflastert mit Bekleidungsgeschäften. „Um wirklich etwas zu bewegen, müssen wir unseren Konsum und die Müllproduktion deutlich einschränken. Ein großes Problem in Sachen Plastikverbrauch ist zum Beispiel der Trend der Essenslieferungen. Junge Koreaner kochen weniger und bestellen stattdessen online von Restaurants in der Nähe. Sowohl die ältere als auch die jüngere Generation nehmen zwar die Mülltrennung sehr ernst, aber besser wäre es, wenn wir gar nicht erst so viel Müll produzieren würden.“


Von Bekleidung über Make-Up bis hin zu den neusten Tech-Gadgets: Auch in Koreas U-Bahn-Stationen entkommt man dem Shoppingwahn nicht (Foto: donut2D, Flickr).


Junge Koreaner nutzen das Internet allerdings nicht nur, um Essen und andere Konsumgüter zu bestellen. Im Land der schnellsten Internetverbindung und Top-IT-Infrastrukturen ist Internet-Aktivismus längst keine Neuheit mehr. „Das Internet und vor allem soziale Netzwerke bieten uns die Möglichkeit, Meinungen und Informationen auszutauschen, uns politisch zu organisieren und der Regierung direktes Feedback zu geben“, erklärt Yura. „Man sieht uns vielleicht nicht so zahlreich in den Straßen protestieren wie in manchen anderen Ländern, aber wir sind eine sehr starke und politisch engagierte Onlinegemeinschaft.“ Auch die neue Generation koreanischer Stars nutzt das Internet, um ihre Fans zum Klima-Aktivismus zu motivieren. Die K-Pop-Gruppe BLACKPINK rief so beispielsweise im vergangenen Jahr ihre Anhänger/-innen in einem Youtube-Video dazu auf, sich mehr über den Ursprung und die Auswirkungen des Klimawandels zu informieren und machte Mut, dass es noch nicht zu spät sei, unseren Planeten zu retten. Mit Erfolg: Der Einfluss, den koreanische Stars auf ihre Fans haben, ist nicht zu unterschätzen. In den letzten Jahren entwickelte sich ein Phänomen, dass Politik mit ultravernetzter Fankultur vereint: Der sogenannte K-Pop-Aktivismus. Fans diverser Gruppen machten insbesondere im vergangenen Jahr während der „Black-Lives-Matter“-Bewegung Schlagzeilen, als sie beispielsweise innerhalb kürzester Zeit eine Millionen US-Dollar sammelten und spendeten oder Polizei-Apps lahmlegten. Viele K-Pop-Aktivist/-innen engagieren sich auch für den Umweltschutz. Fanclubs in Südkorea, aber auch in anderen Ländern haben in der Vergangenheit ganze Wälder im Namen ihrer Idole angepflanzt. Es gibt mittlerweile sogar eine offizielle Website, auf der sich K-Pop-Fans zum Klimawandel austauschen können und durch gemeinsame Aktionen Großes bewirken: KPOP4PLANET. 

„Im Großen und Ganzen sieht man definitiv starke Veränderungen in der koreanischen Gesellschaft hinsichtlich des Bewusstseins für den Klimawandel“, fasst Yura zusammen. „In unserem heutigen Bildungssystem wird viel Wert darauf gelegt, dass die Jugend schon früh mit Themen wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit konfrontiert wird. Frage einen junge/n Koreaner/-in, warum sich unser Klima so drastisch verändert und was wir dagegen tun können, und ich garantiere dir, dass du eine durchdachte Antwort bekommst.“ „Mir fällt insbesondere auf, dass sich immer mehr Jugendliche vegetarisch oder sogar vegan ernähren. Das war vor einigen Jahren in Korea noch die absolute Ausnahme“, fügt Yumi hinzu. „Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Aber da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Das Bewusstsein für den Klimawandel ist da, und die Jugend teilt ihre Besorgnis eifrig mit dem Rest der Bevölkerung, vor allem online. Ich hoffe jedoch, dass Worten in Zukunft noch mehr mit Taten folgen.“

 


 

Bild von Nele Becker

Bild von Nele Becker

Nele Becker (Foto: Felix Grimm | Photographer)

Nele Becker

verbrachte nach ihrem Abitur 2014 ein Jahr an der koreanischen Sprachschule der Yonsei Universität in Seoul. Sie besucht das Land seitdem regelmäßig und interessiert sich besonders für die koreanische Jugendkultur und Mode. Heute lebt und arbeitet sie in Sydney, doch plant bereits ihren nächsten Korea-Aufenthalt. Es ist ihr Wunsch, in Seoul ihr eigenes, nachhaltiges Modelabel zu gründen.