Kultur

08.04.2014

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Eine Serie von Kurzgeschichten von 15 Autoren, die die Bandbreite und Tiefe der koreanischen Literaturszene repräsentieren, liegt nun in koreanischer und englischer Sprache vor.

‘바이링궐 에디션 한국 대표 소설’ 시리즈 (사진제공: 도서출판 아시아)

Die Serie „Bilingual Edition of Modern Korean Literature“ enthält 15 Kurzgeschichten in englischer und koreanischer Sprache.


Die „Bilingual Edition of Modern Korean Literature“ (,Bilinguale Ausgabe moderner koreanischer Literatur‘), eine Sammlung von 15 Kurzgeschichten, hat seit ihrer Veröffentlichung am 14. März dieses Jahres eine weltweite Leserschaft erreicht.

In der Tat ist diese Serie die vierte ihrer Art, nachdem drei ihrer „Geschwister” im Juli 2012 sowie im Juni und November 2013 veröffentlicht wurden. Die einzelnen Bände der Ausgabe sind dieses Mal in folgende Kategorien unterteilt: „Diaspora“, „Familie“ und „Humor“.

Die Bände, die der Sektion „Diaspora“ zugeordnet sind, enthalten die Arbeiten von fünf Romanautoren: Kim Nam-il, Gong Sun-ok, Kim Yeon-su, Kim Jae-young und Lee Kyung. Die Sektion „Familie” besteht aus den Werken der Autoren Chung Seung-sei, Jeon Sang-guk, Lee Dong-ha, Lee Hye-kyung und Kwon Yeo-sun. Die verbleibenden fünf Autoren – Han Chang-hoon, Jeon Sung-tae, Lee Ki-ho, Kim Jung-hyuk und Kim Chong-kwang – stellen ihre literarischen Welten unter dem Oberthema „Humor“ vor.

Unter den präsentierten Arbeiten befindet sich „People I Left In Shanghai“ (,Menschen, die ich in Schanghai zurückgelassen habe‘) von Gong Sun-ok. Die Kurzgeschichte ist Teil der Sektion „Diaspora“. Die Geschichte, die aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschildert wird, beginnt damit, wie eine Frau ein Flugzeug besteigt, um ihre Freundin in China zu besuchen und sich von den quälenden Erinnerungen an eine verflossene Liebe zu befreien.

지난 3월 14일 출간된 ‘바이링궐 에디션 한국 대표 소설’ 시리즈에 실린 한국 작가 15인. (사진제공: 도서출판 아시아)

Die Porträtfotos der 15 Autoren, deren Werke in der „Bilingual Edition of Modern Korean Literature“ enthalten sind, einer Serie von Kurzgeschichten, die am 14. März dieses Jahres von Asia Publishers herausgegeben wurde (Foto mit freundlicher Genehmigung von Asia Publishers).


Die Erzählerin wohnt in einer Pension, der „Lovers Villa“, wo sie eine Chinesin koreanischer Abstammung trifft, eine Angestellte dort, und einen alten Mann, der nach Korea gekommen ist, um sich auf die Spurensuche nach seinem verschollenen Vater zu begeben.

Die Erzählerin findet heraus, dass die chinesische Frau aus Korea ausgewiesen wurde, nachdem sie wegen einer Scheinehe aufgeflogen war. Die verzweifelte Frau – sie ist die Art von Person, die alles tun würde, um Geld zu verdienen - fleht die Erzählerin an, sie mit zurück nach Korea zu nehmen. Währenddessen sucht der alte Mann nach seinem Vater, der seinen Angaben zufolge 1936 nach Yenan ging, kurz, nachdem er seinen Sohn gezeugt hatte.

Die Erzählerin fühlt sich immer unwohler in der Gegenwart der beiden. Die Frau und der alte Mann sind wie lästige, ungeladene Gäste. Sie versucht, sich kalt abzuwenden und von ihnen wegzugehen, aber was sie daran hindert, ist die Muttersprache, die sie alle teilen.

Mit der Zeit kommen die Drei miteinander aus, als ob sie Familienmitglieder seien, die „gelernt haben, nach einem Streit zusammenzuleben.” Als sie sieht, wie sich die Frau um den alten Mann kümmert, auch wenn sie ihn gewöhnlich ausschimpft, denkt die Erzählerin, dass die Frau wirkt „wie eine rücksichtsvolle kleine Schwester, eine Schwester, die ihren kindischen älteren Bruder ausschimpft, nur, weil sie sich um ihn sorgt.“

Die Protagonistin lässt die beiden schließlich im Stich. Eines Tages kommt sie an einem Garten mit Wollmispeln vorbei und dringt tiefer in den Garten vor. Dort denkt sie an den alten Mann. In der letzten Szene der Geschichte sinniert die Erzählerin:

„Unter einem Wollmispelbaum habe ich an Yenan gedacht. Gab es auch in Yenan Wollmispelbäume? War das Yenan, das der alte Mann erwähnt hatte, in Wirklichkeit Yan’an? Gab es irgendwelche Wollmispeln in Korea? Der Wind schüttelte die Bäume.“

공선옥 작가의 ‘상하이에 두고 온 사람들’

Gong Sun-oks Kurzgeschichte „People I Left In Shanghai” (Foto mit freundlicher Genehmigung von Asia Publishers).


Die Geschichte hinterfragt, wie wir Mitgliedern der Diaspora begegnen und mit ihnen kommunizieren können. Gleichzeitig macht sie das übergeordnete Thema unserer Fähigkeit zum Mitgefühl sichtbar.

Der Begriff „Diaspora” ist von dem griechischen Verb „diaspeirō“ abgeleitet. Das „dia” bedeutet „über” und das „speirō“ „Ich säe“ oder „Ich verbreite“. Als Gesamtheit steht er für jede Gruppe von Menschen, die von ihrem ursprünglichen Heimatland getrennt wurden - für Menschen, die in ihrer neuen Heimat doppelte Identitäten leben.

In Gongs Geschichte wird das Element der „Diaspora” anhand aller dreier Charaktere widergespiegelt. Alle Drei gehören zur koreanischen Welt. Zunächst einmal erlebt eine chinesische Frau ihre Ausweisung aus Korea, während der alte Mann außerhalb seines eigenen Landes lebt, um seinen Vater und seine Ursprünge aufzuspüren. Für die Erzählerin schließlich werden die Erinnerungen an ihre verlorene Liebe immer schwächer, da in der Diaspora die Erinnerungen an das Heimatland mehr und mehr verblassen.

„Die Szene in dieser Geschichte, in der es die Erzählerin in den Wollmispelgarten zieht, selbst nachdem sie die Frau und den alten Mann kaltherzig im Stich gelassen hat, deutet die Komplexität an, die in der Erinnerung an den verlorenen Geliebten und der Annahme der Diaspora enthalten sind“, sagte Literaturkritiker Lee Do-yeon.

„Die Lektion der Geschichte beschränkt sich nicht auf die Probleme des Lebens in der Diaspora. Sie erstreckt sich auf das größere Problem des Zusammentreffens von Menschen wie uns und unsere Fähigkeit, mit ihnen mitzufühlen.“

Gong Sun-ok, die 1963 in Gokseong, Jeollanam-do (Provinz Süd-Jeolla) geboren wurde, machte ihr literarisches Debüt 1991 mit ihrer Erzählung „Seed Flame” (,Samenflamme‘). Die Schriftstellerin erhielt 1992 den Women News Literary Award mit ihrer Kurzgeschichte „Monsoon” (,Monsun‘). Sie hat zahlreiche Romane veröffentlicht – „My Thirties Left Behind in Oji-ri” (,Meine Dreißiger, zurückgelassen in Oji-ri‘), „Blooming Times” (,Blühende Zeiten‘) und „Alibi for the Next Life” (,Alibi für das nächste Leben‘) – sowie eine Kurzgeschichtensammlung, „Bloom, Daffodil” (,Blühe, Narzisse‘), um nur einige wenige zu nennen (Anmerkung: Bei den deutschen Übersetzungen der Buchtitel und des Textauszugs handelt es sich nicht um autorisierte Übersetzungen).

Von Sohn JiAe
Redakteurin, Korea.net
jiae5853@korea.kr
Übersetzung: Gesine Stoyke