Ausland

SPEZIALAUSGABE 2021

EXPERIMENT GEGLÜCKT!

„Smart City Songdo“ – Südkoreas Vorreiter für nachhaltiges Wohnen

Luftaufnahme der Skyline von Songdo, davor der Central Park (© Unsplash /Hanbyul Jeong)

Südkoreas Songdo gilt seit Jahren weltweit als Vorzeigeprojekt. Die „Smart City”, die vernetzt ist, die Umwelt nicht über Gebühr gefährdet und trotzdem lebenswert ist. Seit der Corona-Pandemie wird immer deutlicher, dass hochtechnisierte Umgebungen die Ansteckungsgefahr reduzieren können, einfach, weil direkte Sozialkontakte oft umgangen werden. Ein Szenario, auf das Songdo perfekt vorbereitet war.

Viele der technologischen Neuerungen, die sich in Songdo zuerst fanden, sind heute auch in Deutschland bereits Alltag für vielen Menschen.

Songdo ist Teil der Millionenstadt Incheon. Beide Orte gehören zur Metropolregion Seoul. Dort landet, wer aus Europa nach Südkorea fliegt. Genau genommen sind die Grenzen zwischen Incheon und Seoul fließend geworden. Man muss wissen, wo die eine Stadt aufhört und wo die andere anfängt.

Wer an der Station „International Business District“ aus der U-Bahn steigt, sieht in einigen Hundert Metern Entfernung, wie sich die Skyline von Songdo in den Himmel streckt. Erst seit rund einem Jahrzehnt leben wirklich Menschen in dieser Planstadt.

Kaum etwas wurde dem Zufall überlassen. Die verbaute Technik sollte das Leben der Menschen ressourcenschonend, umweltfreundlich und letztlich komfortabler machen.

Energieeffizient: Solarpanele auf den Dächern der Hochhäuser produzieren Strom – Heizen und Kühlen werden geothermisch umgesetzt. Nachhaltig: Das anfallende Regenwasser wird weiterverwendet, Abwasser aufbereitet. Nicht nur digital vernetzt: Unter den Häusern durchziehen Tunnelsysteme die Stadt. Songdos Bewohner werfen ihren Abfall in „vernetzte Mülleimer”, die die Beutel richtig sortiert einsaugen und unterirdisch lagern, bis der Müll abgeholt und ggf. recycelt wird. Eine Technik, die sich mittlerweile auch in anderen Teilen der Welt findet.

Songdo gilt als die erste nachhaltige Stadt der Welt. Weite Teile sind LEED¹ -zertifiziert. Und auch der Green Climate Fund (GCF) hat in Songdo seinen Sitz. 2012 unterlag die einstige deutsche Hauptstadt Bonn im Vergabe-Wettbewerb um den Sitz des Grünen Klimafonds gegen Songdo.

Die Technik wird akzeptiert

Im Bloomberg Innovation Index² belegt Südkorea regelmäßig die Spitzenposition. Anfang 2020 musste das Land die Pole-Position an Deutschland abtreten. Dann kam Corona. 2021 steht Südkorea wieder vorne, und Deutschland ist auf den vierten Platz abgerutscht. Im Gegensatz zu Deutschland scheint Südkorea die richtige Digitalisierungsstrategie zu haben.

Dazu gehören auch die „Smart Homes”. „Ein sehr bekanntes, intelligentes Gebäude, die U-City, liegt in Songdo. Das ist ein wirklich smartes Gebäude. Smart bedeutet in diesem Fall Kameras und allerhand andere Sensoren, die in das Gebäude integriert sind“, sagt Yoon Yong-ik, Professor in der Abteilung für Multimediastudien der Sookmyung Frauenuniversität in Seoul. Es ist bald zehn Jahre her, dass in Korea mit der intelligenten Vernetzung der Städte begonnen wurde.

Die Akzeptanz gegenüber neuer Technik ist außergewöhnlich hoch in Südkorea. Und so hat sich auch die smarte Sensorik der Smartphones auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche erstreckt. Die virtuelle Welt und die physische Infrastruktur verschmelzen immer weiter.

Gingen die Analysten der amerikanischen Firma Frost & Sullivan vor fünf Jahren noch von einer weltweit enormen Zunahme sogenannter Smart Cities, intelligenter Städte, bis 2020 aus, hat die Corona-Pandemie nun zu konkretem Nutzen der technologischen Innovationen geführt. „Zur Pandemiebekämpfung werden Technologien wie künstliche Intelligenz und Big Data stark nachgefragt werden,” waren sich die Analysten im Oktober 2020 sicher. Anwendungen wie Crowd Analysen, Open Data Dashboards und öffentliche Online-Dienste werden dazu an Bedeutung gewinnen.

Einmal vorüber, werden die Erfahrungen aus der Pandemie auch für den Energie- und Verkehrssektor wichtig werden, sagen Frost & Sullivan voraus. Auch dabei ist Korea Vorreiter in der Stadtentwicklung „Die Dichte bringt Konsequenzen mit sich in fast allen Bereichen, die die Stadtplanung betreffen”, sagt der Architekt und Stadtplaner Daniel Tändler, der in Deutschland aufgewachsen ist und seit Jahren als Architekt in Seoul arbeitet. 

Auch Songdo kennt Tändler: „Der zentrale Park mit der Skyline im Hintergrund, das hat natürlich schon etwas Mondänes auf den ersten Blick. Aber wenn da niemand herumläuft, wirkt das so entvölkert. Das hat irgendwie etwas Skurriles.” Was vor einem halben Jahrzehnt noch skurril war, ist an die heutigen Zeiten perfekt angepasst.

Eine Shoppingmall in Songdo. Weitläufig und nicht so voll wie Korea sonst oft erscheint (© Malte E. Kollenberg)

Leben hinter der Fassade

Im 20. Stock des G-Tower in Songdo hat das Unternehmen Masterbell seinen Sitz. Jung Jiwon ist deren Sprecherin und sieht Masterbell führend in Smart-City-Technologien. „Weil Songdo auf einer Landaufschüttung im Meer errichtet worden ist, war es einfach, die Infrastruktur aus einem Guss zu bauen“, erklärt sie. Die Bewohner/innen müssen quasi nur noch einziehen.

Dann kann der Hausmeister vom heimischen Sofa aus per Videochat kontaktiert werden. In einem virtuellen Forum können sich Mieter untereinander austauschen. Was früher auf der Straße zwischen Nachbarn stattgefunden hat, wird in Songdo schon immer zu einem Großteil ins Internet verlegt. Eine Kamera, eingebaut in den Fernseher im Wohnzimmer, ermöglicht den Kontakt mit der Außenwelt.

Was im hektischen Korea vor allem Zeit sparen sollte, muss anderswo heute nachgerüstet werden. „Wir haben das Kommunikationssystem auch in lokalen Geschäften installiert“, sagt Jung Jiwon. „Beispielsweise in Reisebüros und Schönheitssalons.“ Fast alles kann in Songdo von zu Hause erledigt werden. Vor die eigene Türe zu gehen ist kaum mehr nötig.

All die Technik wird administriert aus einer aufgeheizten, fensterlosen Steuerungszentrale inmitten des Gebäudes. In der trockenen Hitze sitzen die Techniker und kümmern sich um das Leben der Bewohner/innen. Von hier aus kann auf Anforderung in jede Wohnung geschaltet werden. Alltagsaufgaben werden nicht mehr privat, sondern zentral verwaltet. Bevor die Nachhilfestunde anfängt, sendet das System beispielsweise automatisiert eine Erinnerung in die Wohnung bzw. auf ein Smartphone.

Am schönsten ist es ohnehin zu Hause

Kurz nach Eröffnung der Stadt sagte die damals 46-jährige Jung Juyeon, sei sie schlichtweg begeistert gewesen. „Zu Hause sein ist hier viel angenehmer.“ Der Fernseher mache das möglich. Auch der Kontakt mit den Nachbarn.

Songdo war ein Experiment, um an der Stadt der Zukunft zu bauen. Im Jahr 2021 ist die Stadt in der Gegenwart angekommen. Auch die koreanische Hauptstadt Seoul und viele andere Städte weltweit werden nach dem Vorbild Songdos mit technischen Raffinessen ausgestattet. Diese intelligenten Kleinigkeiten sind es, die nach Ansicht der Smart-City-Befürworter/innen einen großen Beitrag zur Lösung globaler Probleme leisten werden.


¹ LEED: Leadership in Energy and Environmental Design
² Der Bloomberg Innovation Index ist ein globales Ranking des Unternehmens Bloomberg, in dem die Innovationskraft verschiedener Länder anhand sechs verschiedener Kriterien gemessen wird

 

Teaserbild Homepage: Unsplash /Hanbyul Jeong

 

Malte E. Kollenberg

Malte E. Kollenberg

Foto: Malte E. Kollenberg

Malte E. Kollenberg

hat seinen Jindo-Mischling 2016 aus Korea mitgebracht. Als Multimediakorrespondent arbeitete er in Südkorea und auf den Philippinen. Er lebte einige Jahre in Berlin, bevor es ihn in den ländlichen Raum zog. Heute wohnt er mit Hund in Brandenburg und arbeitet u.a. für KBS World Radio und den Deutschlandfunk Kultur.