Ausland

Von Elif Koc


Dass sich Südkorea in den letzten Jahren zum Anziehungspunkt für Menschen der unterschiedlichsten Couleur entwickelt hat, ist kein Geheimnis. Das Land, in dem Moderne und Tradition auf einzigartige Weise aufeinandertreffen, steht nicht nur bei Touristen, sondern auch bei internationalen Studierenden, Berufstätigen und Künstlern hoch im Kurs. Durch die Teilung der koreanischen Halbinsel ist die Fläche Südkoreas relativ klein. Was dem Land in anderen Bereichen zum Nachteil gereichen mag, macht es aufgrund der kurzen Entfernungen zu einem idealen Ort für Inlandsreisen. Busan, die zweitgrößte Stadt des Landes, und die südlich der koreanischen Halbinsel gelegene Insel Jeju mögen zwar die beliebtesten Reisedestinationen Südkoreas sein, aber das Land hat noch weit mehr zu bieten: Orte, die weniger stark frequentiert, aber mindestens genauso attraktiv sind.

Die Bronzestatue von Admiral Yi Sun-sin (Fotos: Elif Koc)


Einer davon ist die Hafenstadt Tongyeong an der Südküste. Sie gehört zu den südlichsten Städten des Landes und ist unter Koreaner/-innen längst eines der beliebtesten Wochenendziele. Denn die Fahrzeit von Seoul nach Tongyeong mit dem Bus beträgt nur etwas über vier Stunden, und alle Sehenswürdigkeiten lassen sich fußläufig in nur wenigen Minuten erreichen. Gleichzeitig kommen Reisende in den Genuss der frischen Seeluft. Doch was macht diese Stadt so besonders? Nun, sie bietet eine ideale Kombination aus Natur, Geschichte und Kultur.

Zum einen ist Tongyeong historisch von großer Bedeutung. Zu Anfang des Imjin-Krieges (Imjin Waeran, 1592-1598) diente die westliche Meerenge zwischen den Inseln Hansan, Mireuk und Hwa als Schauplatz für ein legendäres Seegefecht. Angeführt von Admiral Yi Sun-sin, einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der koreanischen Geschichte, besiegte die koreanische Marine die japanischen Streitkräfte und schuf damit günstige Bedingungen für die folgenden Gefechte. Um dieses Siegs zu gedenken, wurde in Tongyeong der weitläufige Yi Sun-Sin-Park eingerichtet. An jener Stelle, an der Yi Sun-sin seine Befehle gegeben haben soll und die einen perfekten Blick auf jene Meerenge bietet, steht neben einer dem Admiral gewidmeten Bronzestatue auch eine Nachbildung der Cheonja Chongtong, einer Kanone, die während des Kampfes als Waffe gedient haben soll.

Neben ihrer reichen Historie ist die Stadt auch für ihre zahlreichen Inseln bekannt. Im Meer vor Tongyeong befinden sich insgesamt mehr als 500 Inseln. Einige sind unter koreanischen Reisenden sehr populär, da sie nicht nur perfekte Fotokulissen abgeben, sondern auch schöne Wanderwege bieten. Besonders Hansando, Maemuldo, Somaemuldo und das kleine Bijindo sind sehr beliebt. Die Südküste des Landes ist grundsätzlich wärmer als die Ost- und Westküste; so lässt sich bis Ende November beim Wandern oder dem sogenannten ‚Inselhopping’ der Sonnenschein genießen.

Obwohl sich Reisende in Tongyeong vor Punkten mit guter Aussicht kaum retten können, bietet der Gipfel des Berges Mireuk wohl den besten Ausblick. Dieser ist mühelos mit der Seilbahn Hallyeosudo, der längsten Seilbahn Südkoreas, zu erreichen. Von der Seilbahnstation bis zur Aussichtsplattform sind es nur wenige Minuten, und von dort kann man dank des atemberaubenden Panoramas das Meer und die Insellandschaft von Tongyeong bewundern.

Die Aussichtsplattform auf dem Berg Mireuk-san bietet einen atemberaubenden Blick auf die Insellandschaft von Tongyeong


Als weiterer Anziehungspunkt gilt das Dongpirang-Dorf. Der Name setzt sich aus den Wörtern „Dong” (Osten) und „Pirang” (,Hügel' im südlichen Dialekt) zusammen und verweist so auf die Lage des Dorfes auf einem Hügel. Dabei handelt es sich um ein kleines Dorf mit bunt bemalten Häusern, Cafés und zahlreichen Wandmalereien, welches an das Gamcheon-Kulturdorf in Busan erinnert. Hinter dem Dongpirang-Dorf mit seinen bunten Wandmalereien verbirgt sich eine ganz besondere Geschichte. Dongpirang sollte ursprünglich abgerissen werden, da sich die Gebäude in einem sehr desolaten Zustand befanden. Die Dorfbewohner protestierten dagegen, indem sie die Hauswände und Mauern bemalten, woraufhin die Stadtverwaltung entschied, das Dorf zu erhalten. Mittlerweile hat diese Geschichte Dongpirang zu einer wahren Touristenattraktion gemacht. Die Hügellage begünstigt einen schönen Blick auf das Meer und den Hafen von Tongyeong.

Unweit des Dongpirang-Dorfes liegt der Jungang-Markt, der sich nicht allzu sehr von anderen koreanischen Märkten unterscheidet. Da Tongyeong eine Hafenstadt ist, bildet Fisch hier den festen Bestandteil einer jeden Mahlzeit. Dementsprechend lässt sich alles auf dem Markt finden, was das Meer zu bieten hat: von Lachs bis zu eher seltenen Meeresfrüchten. Als Delikatesse gilt die sogenannte Seescheide, die ähnlich wie das Reismischgericht Bibimbap auf weißem Reis mit verschiedenen Gemüsesorten und Algen serviert wird. Des Weiteren sind die Austern von Tongyeong besonders schmackhaft und in verschiedenen Variationen (z.B. als Zutat von Pancakes oder Eintöpfen) zu finden. Außerdem ist die Stadt für das Kkulbbang, ein süßes und klebriges Honigbrot, das es mit diversen Füllungen gibt, bekannt. Von Honigbroten mit Rote-Bohnen- bis zu Erbsen-Füllungen ist hier für jeden etwas dabei.


Eine Wandmalerei im Dongpirang-Dorf

Eine beliebte Touristenattraktion ist auch der Tongyeong-Unterwassertunnel. Er verbindet das Stadtzentrum mit der Insel Mireuk und wurde 1932 fertiggestellt, was ihn zum ältesten Unterwassertunnel Asiens macht. Mit einer Länge von 483 Metern ist er zwar nicht sonderlich lang, doch ist die Durchquerung ein einmaliges Erlebnis, da es nur sehr wenige Unterwassertunnel für Fußgänger in Südkorea gibt. Das Innere ist wie eine Ausstellung gestaltet und informiert durch Bilder und Texte über die Geschichte des Bauwerks.

Doch auch in anderer Hinsicht ist Tongyeong keine unwichtige Stadt, denn sie ist die Heimat einer Reihe von berühmten Persönlichkeiten. Eine der bekanntesten ist die Schriftstellerin Pak Kyongni (1926-2008), der eine Gedenkhalle gewidmet ist. Pak verfasste viele Romane, in denen Kriegswitwen als Heldinnen auftreten (besonders berühmt ist ihre 16-bändige Familiensaga „Land”), und wurde im Laufe ihrer Karriere mehrmals ausgezeichnet. Aber auch die Dichter Kim Sang-ok und Kim Choon-su sowie Ju Pyong, der in erster Linie Theaterstücke verfasste, sind in der Hafenstadt geboren und aufgewachsen. Sie alle verbindet neben ihrem Beruf auch die Tatsache, dass sie während der japanischen Kolonialzeit (1910-45) für die koreanische Unabhängigkeit gekämpft haben.
Des Weiteren sind in der Stadt eine Reihe von renommierten Künstlern geboren, darunter Kim Bong-ryong, der für seine handgemachten Keramikvasen und Möbelstücke bekannt ist, Kim Hyeong-gun, durch dessen Gemälde sich Blumenmotive ziehen, und Sim Mun-seop, der sich in erster Linie auf minimalistische Skulpturen konzentriert hat. Besonders hervorzuheben ist auch der Komponist und große Sohn der Stadt Yun I-sang, der ab dem Ende der 1950er Jahre bis zu seinem Tod in Deutschland lebte und seine Heimatstadt immer schmerzlich vermisste.

Mit all diesen Attraktionen und berühmten Persönlichkeiten bietet sich Tongyeong perfekt für eine Kurzreise an. Denn hier können Besucher nicht nur von dem Trubel der Großstädte flüchten und die Natur genießen, sondern auch einiges über die koreanische Geschichte lernen.

Nicht in Worte zu fassen ist die Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit der Stadtbewohner. Auch wenn sich die Kommunikation aufgrund des Gyeongsando-Dialekts zuweilen schwierig gestaltet, informieren die Einheimischen stets mit großem Elan über ihre Stadt, lokale Gerichte und die Natur und verschönern jedem Reisenden den Aufenthalt.

 

Elif Koc (Foto: Koreanisches Kulturzentrum) 

Über die Autorin: Elif Koc schloss ihr Bachelor-Studium in Koreanistik und Sinologie an der Ruhr-Universität in Bochum ab und belegt derzeit das Fach Politische Ökonomie Ostasiens als Master-Studiengang. Während ihres Studiums verbrachte sie insgesamt drei Semester an der Sogang University und an der Sungkyunkwan University in Seoul. Sie ist Ehrenberichterstatterin des Internetportals der koreanischen Regierung Korea.net und wird vom „Netzwerk junge Generation Deutschland-Korea” im Rahmen des Mentoringprogramms gefördert. Elif Koc interessiert sich insbesondere für politische und soziale Themen. Derzeit absolviert sie ein weiteres Auslandsstudienjahr in Korea.