Janna Langosch im Gespräch mit Lukas Brennecke, aktives Mitglied der Bremer K-Pop-Tanzszene
Janna Langosch im Gespräch mit Lukas Brennecke, aktives Mitglied der Bremer K-Pop-Tanzszene
Lukas Brennecke
Lukas Brennecke (©Amrei Töppich)
Wie bist du mit K-Pop und insbesondere mit K-Pop-Tanz in Berührung gekommen, und was fasziniert dich daran so?
Das erste Mal bin ich Anfang 2017 mit K-Pop in Kontakt gekommen, als ich auf YouTube-Musikvideos von BTS gestoßen bin. Die fand ich sehr faszinierend und bin daraufhin sehr schnell Fan der Gruppe geworden. Zum K-Pop-Tanz bin ich dann über das YouTube-Video der „Boy-meets-Evil”-Performance von J-Hope gekommen. Das hat mich so beeindruckt, dass ich bei einer Tanzschule in Bremen selbst mit dem K-Pop-Tanz angefangen habe. Neben den anspruchsvollen Performances ist das Besondere für mich das Gemeinschaftsgefühl innerhalb meiner Tanzschule, aber auch auf K-Pop-Partys oder K-Pop-Tanz-Contests.
Was ist das Besondere am K-Pop-Tanz?
An sich ist K-Pop-Tanzen keine neue Stilrichtung. Es ist sehr stark angelehnt an Hip-Hop und greift Elemente aus verschiedenen Tanzrichtungen wie Contemporary Dance oder High Heel Dance auf. Was K-Pop allerdings besonders hervorhebt, ist eine wahnsinnig enge Bindung an den Beat, die Melodie und den Gesang des jeweiligen Songs. Die Tanzschritte visualisieren die Lyrics. Es ist fast unmöglich, die Choreografie eines K-Pop-Songs auf einen anderen Tanz anzuwenden. Außerdem ist K-Pop-Tanz von sehr komplexen, streng aufeinander abgestimmten Gruppenformationen gekennzeichnet. Ich habe den Eindruck, dass der westliche Hip-Hop weniger stark durchchoreografiert ist. Darüber hinaus hebt sich K-Pop-Tanz durch seine Vermarktung ab, denn es handelt sich um einen integralen Bestandteil des Gesamtprodukts K-Pop. Das Tanzen steht im Fokus der Musikvideos und der Konzertperformances und kann nicht losgelöst vom restlichen K-Pop-Kosmos betrachtet werden.
Außerdem werden auf Youtube extra Performance-Videos und Dance-Routine-Videos veröffentlicht, die Fans zum Nachtanzen anregen sollen. K-Pop-Tanz ist also wesentlicher Teil eines umfassenden Gesamtkonzepts.
Du hast deine Bachelorarbeit über K-Pop-Tanz als Bestandteil von Hallyu in Deutschland geschrieben. Worum ging es da genau?
Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit der Aneignung von K-Pop-Tanz am Beispiel der Tanzszene in Bremen befasst. Ich habe ganz konkret untersucht, wie sich Fans die Tänze generell aneignen, wie sie dieses Element in ihren Lebenskontext einarbeiten und welche Bedeutung es für sie spielt. In meiner Forschung fand ich es spannend zu sehen, dass der Aspekt der Partizipation in einer Gemeinschaft eine besondere Rolle spielt, gemeint sind also Vereine, Tanzevents, aber eben auch das Gemeinschaftliche des übergeordneten K-Pop-Fandoms.
Was ist das Fazit deiner Arbeit: Welchen Stellenwert hat K-Pop-Dance mit Bezug auf die gesamte „Koreanische Welle“?
K-Pop ist seit den späten Zweitausender Jahren der führende Antrieb der Globalisierung der koreanischen Populärkultur. K-Pop-Tanzen spielt in diesem Kontext natürlich eine große Rolle. Man kann K-Pop nicht ohne den visuellen Aspekt der Performances denken, wie schon erwähnt. Außerdem bietet der tänzerische Aspekt eine weitere Partizipationsmöglichkeit für das Fandom. Fans schauen nicht nur passiv zu, sondern schlüpfen selbst in die Rolle eines Idols und tanzen ihre Lieblingschoreografien nach. Ich würde die These aufstellen, dass diese Möglichkeit zur aktiven Teilnahme beim K-Pop-Tanzen ein zentraler Impuls ist.
Du bist ja gerade selbst in Seoul und machst dort dein Auslandssemester: Wie ist die Tanzszene vor Ort?
Sehr besonders ist die Busking Scene[1] in Hongdae[2]. Hier werden von Amateuren und Professionals K-Pop-Choreografien getanzt oder Songs gecovert. Die Leute auf der Straße nehmen diese Atmosphäre auf und beginnen zu performen und zu feiern. Etwas Vergleichbares findet man in Deutschland nicht.
Busking-Gruppe in Hongdae
Busking-Szene in Hongdae: Die Tanzgruppe „Black Mist“ tanzt hier im Seouler Stadtteil Hongdae die Choreografie zu dem 2022 erschienenen BLACKPINK-Song „Pink Venom“. Hochgeladen von „HealingTime“ (11.09.2022); https://www.youtube.com/watch?v=503RLljGpm4, Minute 00:26
Neben deinem Studium bist du selbst Filmemacher, und auf deinem YouTube-Kanal „Ayato” veröffentlichst du unter anderem Musikvideoanalysen. Was unterscheiden K-Pop-Musikvideos von denen der westlichen Popmusik?
Wenn die Leute das erste Mal K-Pop-Musikvideos schauen, empfinden sie diese oft als überfordernd, laut und sehr bunt. Dennoch werden sie zumeist gefangengenommen und bleiben interessiert. Das liegt eben auch an dem auffallend dynamischen visuellen Gesamtbild. Als Filmemacher kann ich sagen, dass dies einen großen Arbeitsaufwand und ein hohes Level an Professionalität erfordert.
Wenngleich K-Pop-Musikvideos zunächst schrill und überfordernd wirken können, lassen sich durchaus auch Schemata und Systematiken erkennen, die auch in westlichen Musikvideos zu finden sind: Es gibt immer eine Performance-Ebene mit Tanz, Rap und Gesang - eine Narrativ-Ebene - und dazwischen Aufnahmen, die man als Modelling Shots[3] bezeichnen kann. Das Ganze ist in einer kontrastreichen und bunten Montage verschachtelt, die wahnsinnig schnell geschnitten ist. Es wird diese charakteristische Pop-Ästhetik geschaffen, die sehr viele Reize bedient. Außerdem weisen die Videos eine starke Symbolik auf, durch eine große Anzahl an Metaphern und an künstlich aufgebauten Sets. Es ist mehr als nur eine Begleitung zum Song oder die Visualisierung eines Narrativs, es ist ein Spektakel und eine Performance. Gerade deshalb sind K-Pop-Musik-Videos so erfolgreich und ein wichtiger Marketingfaktor. Wie sehr sie K-Pop vorantreiben hat man vor zehn Jahren schon beim Video zu „Gangnam Style” von PSY gesehen.
Welche Gruppe oder Solo-Künstler:in produziert besonders bemerkenswerte Videos?
Ich muss da einfach BTS nennen. Die Herangehensweise der Gruppe ist der Grund dafür, warum sie so immens erfolgreich ist und auch das gesamte Genre global populär gemacht hat. Ich fokussiere mich ja in meinen Videoanalysen sehr auf die Narrativ-Ebene der Videos. Nicht alle K-Pop-Videos haben Handlungsstränge in ihren Videos, aber BTS hat über lange Zeitspannen hinweg komplexe Narrative z.B. über das Erwachsenwerden erzählt.
Außerdem sind die Videos sehr theatralisch gestaltet: mit großen Sets und fiktiven Charakteren, individuellen Storylines, wiederkehrenden Motiven. Daraus wurde ein „BTS-Universe” geschaffen, in dem sich viele Fans verlieren konnten. Die Band spricht wirklich sehr universelle Themen an, die für junge Menschen weltweit relevant sind und mit denen sie sich identifizieren können. Deswegen muss ich da einfach BTS nennen, weil das in Form und Ausmaß doch einzigartig ist.
BTS J-Hope
Trailer-Video: J-Hope und seine energetische Solo-Performance im Zusammenhang mit dem Intro-Song „Boy Meets Evil“ des BTS-Albums „Wings“ (2016). BTS (방탄소년단) WINGS „Boy Meets Evil“ Comeback Trailer
Hochgeladen von "HYBE LABELS" (26.09.2016), https://www.youtube.com/watch?v=iJJSh-eEdRk, Minute 02:15
Worin unterscheidet sich K-Pop-Tanz für weibliche und männliche Idols?
Es ist schon so, dass es insbesondere im Hinblick auf die Geschlechterdarstellungen Unterschiede gibt. Boygroup-Tänze sind tendenziell „maskuliner”, vielleicht auch aggressiver, während Girl-Group-Tänze eher das Feminine, das Sexuelle oder das Sinnliche hervorheben. Natürlich gibt es da auch Spielraum. Es gibt Boygroup-Choreografien, die auch eine gewisse „Softness” darstellen, was sich umgekehrt auch für Girl-Group-Choreos sagen lässt, die dann eben „maskuline” Elemente einfließen lassen. Insgesamt fällt jedoch auf, dass eine geschlechterspezifische Dichotomie besteht, deren Flexibilität aber darin besteht, dass unter den Fans viele männliche Tänzer Girlgroup-Choreos covern und umgekehrt, was eine große Offenheit und Diversität offenbart.
K-Pop ist ein Konsumprodukt. Wie viel Marketingstrategie verbirgt sich dahinter?
Viel! Das merkt man allein daran, dass mittlerweile wahnsinnig viel Content im Zusammenhang mit den Choreografien veröffentlicht wird. Wenn manche Gruppen beispielsweise ein Comeback haben, dann gibt es ein Musik-Video, dazu ein Performance-Video, irgendwelche TikTok-Dance-Challenges aus der Choreografie. TikTok ist ja auch ein Paradebeispiel, um die Leute aktiv einzubinden und den Content weiterzuverbreiten. Und die Industrie hat irgendwann gemerkt, dass sich dahinter ein großer Werbemarkt verbirgt. Es gibt ja auch teilweise Online-Wettbewerbe, die von Entertainment-Firmen veranstaltet werden und an denen sich Fans beteiligen können. Kurz gesagt: Marketing ist ein zentraler Faktor.
Apropos Narrativ: Du interpretierst ja selbst viele Texte. K-Pop wird oft vorgeworfen, oberflächlich zu sein. Wie bewertest du diesen Vorwurf mit Bezug auf die Texte und die visuelle Gestaltung der Musik?
Ich finde „oberflächlich“ ist da ein ganz schwieriges Wort. Das wird auch viel zu inflationär benutzt. Als Beispiel: Ich kann kein Kinoticket für ein Michael-Bay-Film kaufen und dann Andrei Tarkowski erwarten. Viele K-Pop-Songs und -Musikvideos wollen gar nicht mehr sein als „Gute-Laune-Pop-Songs/-Videos“. Somit sollte sich auch niemand darüber beschweren, wenn entsprechende Substanz fehlt. Das wäre sehr unfair. Zugleich muss K-Pop aber auch kein Widerspruch sein zur Thematisierung unbequemer Wahrheiten. BTS ist ein gutes Beispiel, aber auch TXT, BLACKPINK, Monsta X oder Stray Kids. Songs wie „We lost the summer” von TXT oder „Life goes on” von BTS sind auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlslage zu Corona-Zeiten, wenngleich eine eher persönliche als politische, aber immerhin. Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass K-Pop als kommerzialisiertes Gesamtprodukt vieles simplifiziert und vieles verallgemeinert, schließlich will das Produkt an ein globales Publikum vermarktet werden. Nichtsdestotrotz: K-Pop ist nicht einfach nur Musik, sondern zugleich ein Synonym für komplexe Tanzchoreografien, die durchaus nicht oberflächlich, simpel oder substanzlos sind. Gleiches gilt für die Musikvideos. Als Filmemacher muss ich einfach sagen, dass das extrem beeindruckend ist, was da gemacht wird. In jeder einzelnen Sekunde eines Musikvideo passiert so wahnsinnig viel, und wenn man ein Gespür dafür hat, wieviel Arbeit dahintersteckt, ist das Pauschalurteil „oberflächlich“ und „simpel“ geradezu haltlos. Man kann die Musik nicht von den Choreografien oder der Inszenierung der Videos trennen und sagen, es gehe in den Songs nur um Sommer, Sonne, Spaß und Hurra. Das wäre eine unzulässige Verkürzung, selbst wenn sie bedeutungsschwere politische Inhalte entbehren.