Palast Changdeokgung (Foto: pixabay)
Von Selin Vurgun
Farben beeinflussen, wie der Mensch seine Umgebung wahrnimmt, und sie können sogar einen Einblick in die menschliche Psyche geben. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Farben unterbewusst bestimmte Gefühle hervorrufen können. So assoziiert der Mensch im Laufe seines Lebens mit einer Reihe von Farben und Farbkonstellationen bestimmte Emotionen.
Daraus lässt sich schließen, dass es ebenso möglich ist, durch die Welt der Farben ein Verständnis für eine andere Kultur zu gewinnen. Um einen tieferen Einblick in die koreanische Kultur zu erhalten, lohnt es sich bereits, nur einen Blick auf die koreanische Flagge zu werfen und ihre Farben zu analysieren.
In Korea gibt es nämlich ein spezielles Konzept der Farben, welches Obangsaek (오방색) genannt wird. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Fünf Richtungs-Farben“. Gemeint sind hier die fünf Kardinalfarben, die für je eine Richtung stehen: Weiß (Westen), Blau (Osten), Rot (Süden), Gelb (Zentrum) und Schwarz (Norden). Gleichzeitig repräsentieren diese Farben aber jeweils auch ein Element der Natur, eine Jahreszeit sowie ein mythisches Fabelwesen.
Ihren Ursprung haben diese traditionellen Farben im alten China und beziehen sich demnach auf die kosmologische Lehre von Yin und Yang. Im Vordergrund steht hier besonders das Konzept von Harmonie, Frieden und Tranquillität.
Die Farbe Weiß steht für das Element Metall oder Gold und wird durch den weißen Tiger repräsentiert. Der weiße Tiger gilt in der koreanischen Mythologie als Beschützer der Menschen. Außerdem verkörpert die weiße Farbe Tugendhaftigkeit, da sie mit Unschuld, Reinheit und Ehrlichkeit assoziiert wird.
Blau steht für das Element Holz und wird vom blauen Drachen symbolisiert. Die Farbe Blau läutet den Frühling und gleichzeitig auch die Einkehr neuen Lebens ein.
Mit der Farbe Rot werden das Element Feuer und der heiße Sommer verbunden. Repräsentiert wird die Farbe von dem Phönix; sie stellt die Schöpfung neuen Lebens dar.
Gelb steht für das Element Erde und das Zentrum allen Seins und somit auch für spirituelle Sicherheit. Auch dadurch, dass diese Farbe das Zentrum bildet, gibt es keine spezifische Schutzgottheit oder Jahreszeit, mit der sie in Verbindung gebracht wird. Im koreanischen Schamanismus und auch im Buddhismus wird die Farbe verwendet, um böse Geister zu vertreiben.
Das Element Wasser und der Winter werden schließlich durch die Farbe Schwarz dargestellt. Symbolisiert wird die Farbe durch die schwarze Schildkröte. Sie verkörpert Weisheit und ein langes Leben.
Im Alltag finden sich diese Farben in der koreanischen Küche, der Architektur und auch der Kleidung wieder. Bibimbap, eines der bekanntesten koreanischen Gerichte, Reis mit verschiedenem Gemüse und Fleisch, wird sehr farbenfroh angerichtet. Auch in der Guksu, einer koreanischen Nudelsuppe, finden sich die Obangsaek in der Garnitur wieder. Um die Guksu schön anrichten zu können, werden zuerst die gekochten Nudeln in eine Schale gegeben, denn auf ihr wird die Garnitur angerichtet. Nach Belieben werden dann zum Beispiel Zucchini, Gim (essbarer Seetang), Chili und ein frittiertes Ei in dünne Streifen geschnitten. Diese bunten Streifen werden nun in kleinen Mengen auf dem Nudelbett platziert, damit die Farben zur Geltung kommen. Anschließend wird die Suppenbrühe vorsichtig in die Schale gefüllt, und die Guksu kann nun serviert werden.
Ein weiteres Beispiel für die Verwendung der Obangsaek ist das Dancheong. Dancheong bezeichnet eine traditionelle koreanische Art der Malerei. Hierbei werden die Fünf Farben verwendet, um sowohl Tier- und Pflanzenmuster, als auch geometrische Figuren darzustellen. Bemalt werden vor allem Holzbauten oder koreanische Instrumente wie die Buk, eine Trommel. Auf den Dächern der koreanischen Paläste finden sich ebenfalls Verzierungen nach dieser Methode.
Auch in der traditionellen Kleidung, dem Hanbok, sind die Obangsaek zu sehen. Ein besonders schönes Beispiel sind die Saekdongot (Kleidung mit vielen Farben), eine Art des Hanbok, bei dem die Ärmel der Jeogori, also der kurzen Jacke, aus bunten Streifen in den Farben der Obangsaek bestehen.
Über die Autorin:
Selin Vurgun ist Studentin der Koreastudien/Ostasienwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie interessiert sich besonders für die koreanische Sprache und Kultur.
Selin Vurgun (Foto: privat)