Der Cultural Corps of Korean Buddhism bietet Reisenden seit einigen Jahren ein Templestay-Programm an, das ihnen die Gelegenheit bietet, in Dialog mit ihrem inneren Selbst zu treten.
Von
Korea.net-Ehrenberichterstatterin Sarah Fleischer aus
Deutschland | Fotos:
Korea.net DB
Unweit von Seouls geschäftigem Zentrum, nur eine dreiviertel Stunde mit der U-Bahn entfernt, liegt der Tempel
Jinkwansa (진관사). Man schreitet durch das große Steintor, welches am Ende eines leicht ansteigenden Weges liegt, und betritt eine andere Welt: Keine brausenden Autos oder telefonierenden Geschäftsleute, auch nicht die sonst allgegenwärtige Musik und Leuchtreklame. Stattdessen – Ruhe, Vogelzwitschern, viel Grün und frische Luft. Bewohnt wird der Tempel von Nonnen in grauen Kutten, mit traditionell kahl geschorenen Köpfen und gelegentlich auch Besuchern, die zum Temple Stay gekommen sind. Denn Seoul ist laut, Seoul ist hektisch, Seoul ist wach. So viel Spaß das bringt, auf die Dauer kann es anstrengend werden. Wer also eine Auszeit braucht und sucht, ist hier genau richtig.
Der Cultural Corps of Korean Buddhism listet für Interessierte einige Möglichkeiten, koreanischen Buddhismus hautnah zu erleben, von einfachen Tempeltouren über Teezeremonien und
Balwoogongyang (발우공양), traditionellen Tempel-Menüs bis zu mehrtägigen Aufenthalten in Tempeln. Um letzteres soll es in diesem Text gehen.
Ich selbst hatte das Glück, im Rahmen meines Auslandsaufenthaltes während des Studiums an einem Temple Stay im eingangs erwähnten Jinkwansa teilnehmen zu dürfen. Einen Tag und eine Nacht lang teilt man das Leben mit den Nonnen und bekommt so einen Einblick in ihren Alltag. Nicht nur Touristen kommen für diese Erfahrung, auch viele KoreanerInnen suchen regelmäßig Tempel auf, um eine Auszeit von ihrem hektischen Arbeitsalltag zu finden und, wenn auch nur für kurze Zeit, zur Ruhe zu kommen.
Laut einer Studie geben Ausländer, die an einem Templestay teilgenommen haben, um ihren Geist und Körper zu beleben, auf ihre Zufriedenheit eine Punktzahl von mehr als 90 von 100 an.
Nachdem man mit traditioneller Leinenkleidung und Schuhen ausgestattet wurde, geht es mit einer Führung durch die Tempelanlage los, bei der man auch vieles über die Philosophie des Buddhismus lernt. Bei diesem Spaziergang steht, wie während des ganzen Aufenthaltes, Achtsamkeit und Bedacht im Vordergrund. Speed Walking, laute Unterhaltungen oder Ähnliches sind hier fehl am Platz und sollten unterlassen werden, ebenso Dauerfotografieren. Denn ja, die Tempel sind wunderschön und beeindruckend, doch beim Temple Stay geht es darum, sich auf sich selbst und sein Inneres zu konzentrieren und im Moment präsent zu sein. Ertönt ein Gong, ist es Zeit für das Gebet. Dazu betritt man, niemals barfuß oder mit Straßenschuhen, den Gebetsraum und folgt den Anweisungen der vorbetenden Nonne oder des Mönchs. Selbst wenn man kaum etwas von dem Gebet versteht, ist die Erfahrung einzigartig und wertvoll.
Was in buddhistischen Tempeln ins Auge fällt, ist die große Glocke, meist an zentraler Stelle in einer kleinen Pagode aufgehängt. Sie ist Gegenstand eines Rituals, bei dem die Glocke mit einem speziellen Klöppel angeschlagen und dabei stumm Wünsche oder Intentionen formuliert werden.
Die Tempelküche ist eine Form der Seelenfindung.
Auch für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt. Buddhistische Tempelküche ist sehr ausgewogen, immer vegan und folgt dem traditionellen koreanischen Schema: Reis, eine klare Suppe mit Algen und dazu allerlei verschiedene Gerichte aus Gemüse und Tofu. Das Ganze wird meist im Buffet-Stil serviert, und man kann so viel nehmen, wie man möchte. Aber – auch hier gilt das Prinzip der Achtsamkeit. Sich in „All You Can Eat“-Manier den Teller voll zu häufen und die Hälfte übrig zu lassen, widerspricht der buddhistischen Philosophie, die Verschwendung und Überfluss zu vermeiden sucht. Wer außerhalb eines Temple Stays buddhistische Tempelküche probieren möchte, kann eines der Restaurants in Seoul besuchen, die von buddhistischen Vereinen und Orden betrieben werden und gegen oft nur wenig Geld köstliches Essen für Jedermann und Jederfrau anbieten.
Nach dem Abendessen steht Freizeit zur Verfügung, allerdings ist es ratsam, sich dem Rhythmus der Mönche und Nonnen anzupassen und zeitig schlafen zu gehen, denn am nächsten Morgen heißt es: Aufstehen um 4 Uhr 30 für die 108 Kniefälle (백팔배,
Baekpalbae). Die Zahl 108 hat im Buddhismus eine besondere Bedeutung, welche von der anleitenden Nonne oder dem anleitenden Mönch erklärt wird. Der Mensch besitzt 6 Sinnesorgane: Augen, Ohren, Haut, Nase, Zunge, Verstand. Dazu kommen die 6 dadurch möglichen Wahrnehmungen: sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken, denken. Dies alles geschieht in 3 Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So kommt man auf die Formel 6x6x3=108. Dann geht es auch schon los mit Verbeugen, Knien, Aufrichten, 108 Mal. Zwar alles in einem gemächlichen Tempo, doch wer es einmal gemacht hat, weiß: Der Muskelkater ist garantiert. Trotzdem – es lohnt sich. Die frische Morgenluft, wenn die ersten Vögel erwachen und vor dem Gebetsraum zwitschern, die rhythmischen Verbeugungen und das fast angenehme leichte Ziehen in den Beinen danach. Nach getaner Arbeit freut man sich umso mehr auf die letzte Mahlzeit im Tempel, das Frühstück. Auch dieses basiert nach koreanischer Art auf Reis und Gemüsegerichten und soll Kraft für den kommenden Tag geben. Und dann sind sie auch schon um, die 24 Stunden im Tempel. Jetzt heißt es, Tempelkleidung ablegen, danken, Abschied nehmen und zurück ins wuselige Leben. Doch man fühlt sich anders – ruhiger, mehr bei sich selbst. Diese Erfahrung in seinem Herzen zu behalten und in dem oftmals hektischen Alltag wieder hervorholen zu können, macht den Temple Stay zu einer interessanten und empfehlenswerten Erfahrung.
Wer Interesse an einer Auszeit im Tempel hat, wird auf der offiziellen Website des Temple Stay fündig. Dort sind alle Tempel gelistet, die solche Programme anbieten, sowie Informationen zu den Aufenthalten und Verhaltensregeln vor Ort.
jesimin@korea.kr
Dieser Artikel wurde von einer Korea.net-Ehrenberichterstatterin verfasst. Unsere ehrenamtlichen Reporter kommen aus der ganzen Welt und teilen ihre Liebe und Leidenschaft über alle Dinge in Korea.