Ehrenberichterstatter

09.10.2021

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Türkische Autorin Duygu Didem Demir im Hanbok zu Besuch bei der Familie ihres koreanischen Ehepartners. 


Von Korea.net-Ehrenberichterstatterin Duygu Özturan aus Deutschland | Fotos: Duygu Didem Demir 

Habt ihr auch kürzlich in den Instagram-Stories eurer koreanischen Freunde Fotos und Videos von Familienzusammenkünften gesehen, bei denen vor einer Art Paravent (kr. 병풍) ein langer, flacher Tisch voller Essen unglaublich ordentlich - ja fast schon akribisch - angerichtet wurde? In meinem Umkreis habe ich viele dieser Videos gesehen. Aber warum ist eine Längsseite des Tisches versperrt, sodass sich dort niemand mehr hinsetzen kann? Warum gibt es immer genau fünf Früchte? Was haben die Kerzen an den beiden Enden des Tisches zu suchen? Und warum sind Türen und Fenster weit geöffnet? Ich weiß zumindest, dass kürzlich Chuseok war; das Erntedankfest Koreas. Auf den Spuren zur Linderung meiner Neugierde habe ich vieles über diesen königlich gedeckten Tisch herausfinden können. Ich habe mich mit koreanischen Freunden ausgetauscht und was ich gelernt habe, möchte ich mit euch teilen!

In der Tat hat das Festmahl Bezug zum Erntedankfest, aber nicht nur. So ein Festmahl gibt es neben Chuseok auch an Neujahr und zum Todestag der Vorfahren, meistens der Großeltern oder Urgroßeltern. Diese Tage zählen im Grunde zu den wichtigsten Feiertagen Koreas. Das Festmahl ist Teil eines Rituals zu Ehren der Geister der Vergangenheit, d.h. zu Ehren der Ahnen. Man nennt die Gesamtheit des Rituals inklusive Festmahl auch Charye. Es gibt einiges zu beachten, wenn man ein Charye durchführen möchte.

Hält man ein Charye ab, dann kommen die Ahnen als Geister zu Besuch, um sich ein Festmahl mit der noch lebenden Familie zu gönnen. Daher muss der Tisch in eine bestimmte Richtung ausgerichtet werden. Nicht nur der Tisch erhält eine Reihenfolge, sondern auch die Kerzen, das Geschirr und das Essen.

Die Kerzen markieren die Sitzplätze dieses ehrenvollen Besuches. Autorin Duygu Didem Demir des Romanes „Kore’deki çatıkatımdan sesleniyorum” (dt. Ich rufe aus meiner Dachgeschosswohnung in Korea) berichtet von einem für sie besonders gruseligen Moment des Rituales: Vor dem Beginn der Charye-Vorbereitungen müssen Türen und Fenster im Raum weit geöffnet werden. Auf diese Weise treten die Geister bzw. die Seele in das Haus ein. Wer die Serie „Vampire Diaries“ gesehen hat, wird eventuell wie ich an die Einladung zum Betreten des Schutzraumes denken. Die Fotos für diesen Beitrag hat Duygu Didem Demir uns netterweise zur Verfügung gestellt.


Das schöne Geschirr für die Ahnen wird in Zeitungspapier verpackt und gut verstaut. 


Schließlich wird der Tisch vorbereitet. Hierfür gibt es ein gesondertes Geschirrset, welches nur an diesen drei Feiertagen ausgepackt wird. Da dies ein Tisch ist, der von verstorbenen Geistern besucht wird, muss alles in umgekehrter Weise gedeckt werden. Was für uns Lebende rechts ist, ist das Links der Verstorbenen. Eine Schale Reis wird normalerweise links neben dem Hauptgericht serviert, hier wäre es umgekehrt. Auch Gerichte, die nach Himmelsrichtungen aufgestellt werden, werden in verdrehter Reihenfolge serviert. Dieses Sortieren nennt sich Joyulishi sowie auch Hongdongbaekseo. Ersteres beschreibt die Sortierung von links nach rechts und das Zweite die Sortierung von rotem Essen nach Ost und weißem nach West. Kimchi wird z.B. rechts serviert. Am persönlichsten ist es hierbei, die Lieblingsgerichte der verstorbenen Person vorzubereiten.


Das Essen selbst wird oftmals von Mutter, Tochter oder Schwiegertochter zubereitet. Die männlichen Kandidaten der Familie sind meistens dafür zuständig, das Essen den Verstorbenen anzubieten. Es können allerdings auch weibliche Angehörige hierbei assistieren. So ist das meistens in kleineren Familien, bei denen etwa keine männlichen Angehörige anwesend sind. Das könnte folgendermaßen aussehen: Vater und Sohn positionieren sich auf der Bambusmatte vor dem Tisch. Der Sohn würde etwa dem Vater assistieren. Nachdem ein Löffel in ein trockenes Gericht gesteckt wird, sagt der Vater der Familie: „Du bist sicher durstig. Wir haben dir etwas zu trinken vorbereitet.“ Ein Glas Wasser wird in die Richtung der Kerze gereicht. Es können auch Essstäbchen auf Gerichte gelegt werden. Das Besteck ermöglicht es den Geistern symbolisch, dass sie sich bedienen können. So interpretiere ich zumindest diese Geste. In zahlreichen Religionen spielt Wasser eine bedeutende Rolle, so etwa auch im Islam, in dem es ein Segen ist, älteren Menschen Wasser anzubieten. Im Christentum werden Kinder vom Pastor in Wasser getauft.

Jedes Gericht wird den Ahnen vorgestellt. Jedes Obst, das serviert wird, muss fünf Mal vertreten sein. Die Zahl fünf scheint sehr bedeutend zu sein, allerdings konnte ich nicht herausfinden, weshalb. Falls nur vier Stücke Obst zu sehen sind, liegt das daran, dass eines in der Küche darauf wartet, geschnitten zu werden. Symbolisch betrachtet bedeutet das, dass immer Nachschub kommen wird. Die Gerichte an sich haben auch symbolische Bedeutungen. Koreanische Birnen stehen für Weisheit, getrockneter Fisch steht für die ausschwärmenden Ahnen, koreanische Datteln stehen für den König und Äpfel stehen für Liebe und Frieden in der Familie. Ab einem gewissen Punkt verbeugen sich Vater und Sohn und evtl. auch die anderen Familienangehörigen wie bei einem muslimischen Gebet vor dem Essensaltar. Zwischendurch schenken sie den Ahnengeistern auch alkoholische Getränke ein, wie z.B. Soju. „Genießt euer Mal und passt gut auf uns auf“, sagt der Vater letztlich und verabschiedet sich schließlich im Namen der Familie. Das Essen wird natürlich nicht weggeschmissen. Es wird auf einen anderen Esstisch getragen und gemeinsam verzehrt.



Duygu unterstützt die Familie bei der Zubereitung der Gerichte. 


jesimin@korea.kr


Dieser Artikel wurde von einer Korea.net-Ehrenberichterstatterin verfasst. Unsere ehrenamtlichen Reporter kommen aus der ganzen Welt und teilen ihre Liebe und Leidenschaft über alle Dinge in Korea.