Der deutsche Journalist Jürgen Hinzpeter (links) berichtet über den demokratischen Aufstand vom 18. Mai 1980 in Gwangju. ⓒ May 18 Memorial Foundation
Von Korea.net-Ehrenberichterstatterin Anna-Lena Kwelik aus Deutschland
Jürgen Hinzpeter wird für die meisten Deutschen ein wohl unbekannter Name sein. In Südkorea jedoch ist dies der Name eines Deutschen, welcher unter Koreanern und Koreanerinnen bekannt ist für seinen Mut und seine Rolle in der koreanischen Demokratiebewegung der 1980er-Jahre. Der deutsche Journalist und Kameramann, welcher in Südkorea – aber ganz besonders in der Universitätsstadt Gwangju im Süden Koreas – als Volksheld bezeichnet wird, war im Jahr 1980 im ARD-Studio in Tokyo tätig. Als er von den damaligen besorgniserregenden Geschehnissen in Gwangju erfuhr, machte er sich mit der nächstmöglichen Gelegenheit mit seiner Videokamera auf den Weg nach Südkorea, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen.
Am 12. Dezember 1979 hatte in Südkorea nach der langjährigen Militärherrschaft des durch einen Militärputsch an die Macht gelangten Park Chung-hees, welcher letztlich einem Attentat zum Opfer fiel, Chun Doo-hwan – ebenfalls mittels eines Putsches – die Macht in Südkorea ergriffen und damit die Militärdiktatur des Landes fortgesetzt. Nachdem es infolgedessen bereits in anderen Teilen Südkoreas zu Demonstrationen gekommen war, formten sich auch in der Stadt Gwangju am 18. Mai 1980 Studentendemonstrationen, welche sich gegen Chun Doo-hwan und seine Militärherrschaft, gegen das derzeitige verhängte Kriegsrecht sowie für die Befreiung des damaligen Oppositionspolitikers und späteren Präsidenten Südkoreas, Kim Dae-jung, positionierten. Diesen anfangs friedlichen Protesten der Demokratiebewegung (auf Koreanisch auch 5.18 광주 민주화 운동) wurde allerdings durch das Militär mit Gewalt begegnet.
Nach dem 18. Mai bildeten sich infolgedessen größere Demonstrationen, bei welchen nicht nur Studierende, sondern darüber hinaus viele andere Menschen teilnahmen und sich in großen Mengen im Stadtzentrum Gwangjus mobilisierten. Diesen Demonstrierenden wurde von Chun Doo-hwan und dem Militär vor allem am 20. und 21. Mai 1980 besonders brutal mit Gewalt begegnet, bis hin zur Einkreisung und Abriegelung der Stadt durch die militärischen Einheiten, nachdem sie keine Kontrolle über die Aufstände erhalten konnten. In der Stadt herrschten damals kriegsähnliche Zustände, bis das Militär die Aufstände am 27. Mai 1980 schließlich mit einem Blutbad beendete. Unzählige Menschen wurden damals verletzt, getötet, oder verschwanden und viele erlagen auch Wochen nach den Aufständen noch ihren Wunden.
Jürgen Hinzpeter. ⓒ May 18 Memorial Foundation
Es war ein Kampf des Militärs gegen das eigene Volk, was genug Grund dafür gibt, dass die damaligen Geschehnisse in Gwangju heute auch als Gwangju-Massaker bezeichnet werden. Die Angaben über Opfer-, Verletzten- , Verhafteten- und Vermisstenzahlen des Gwangju-Aufstandes unterscheiden sich stark je nach Quelle und lassen sich nicht genau benennen. Offiziell wurden bei dem Aufstand 154 Menschen getötet, 4141 verletzt und 74 galten als vermisst – allerdings ist zu vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen wahrscheinlich noch höher sind.
Jürgen Hinzpeter spielte in den Aufständen in Gwangju damals eine wichtige Rolle. Nachdem er am 19. Mai 1980 mit dem Taxi von Seoul über Schleichwege bis nach Gwangju gelangt war, zeichnete er die Aufstände und Demonstrationen dort mit seiner Videokamera auf. Gwangju war damals nicht nur von Soldaten umstellt und damit praktisch abgeriegelt, auch die Medien wurden vom Militär kontrolliert. Die Realität auf den Straßen Gwangjus sollte nicht an die Öffentlichkeit gelangen und so hieß es in den Medien lediglich, einige Kriminelle randalierten in der Stadt. Für die Welt außerhalb Gwangjus war also kaum zu erahnen, was für Gräueltaten am eigenen Volk sich dort abspielten.
In dieser Situation riskierte Jürgen Hinzpeter sein Leben und filmte die Ereignisse auf den Straßen Gwangjus. Ein Großteil der Aufzeichnungen der Gwangju-Aufstände gehen allein auf Jürgen Hinzpeter zurück, der diese später in Keksdosen und am eigenen Körper versteckt zurück nach Japan brachte und sie von dort aus nach Deutschland sendete, wo sie schließlich in der ARD-Tagesschau gezeigt wurden und sich folglich weltweit verbreiteten. Daher lässt sich sagen, dass wohl ohne seinen Mut und seine Berichterstattung kaum an die Öffentlichkeit gekommen wäre, was damals in Gwangju wirklich vor sich ging. Hinzpeter sah es als seine journalistische Pflicht an, die Menschen über das Chaos in Gwangju aufzuklären und riskierte sein Leben um dort Videobeweise zu sammeln. Aus diesem Grund wird dem Journalisten in Südkorea eine zentrale Rolle in der Demokratiebewegung in Gwangju im Jahr 1980 zugeschrieben. Er wird als Volksheld und Ehrenbürger in Gwangju gefeiert und wurde im Jahr 2003 mit dem Song Kun-Ho-Pressepreis für seinen Beitrag für die koreanische Geschichte geehrt.
Der südkoreanische Film „A Taxi Driver” behandelt die Geschichte vom ‚Gwangju Democratic Uprising‘ und wie er von einem deutschen Reporter und einem Seouler Taxifahrer gesehen wird. ⓒ Show Box
Auch heute sind die Geschehnisse in Gwangju und die Heldentaten Jürgen Hinzpeters nicht vergessen – ganz im Gegenteil. Im Jahr 2014 erschien das Buch „Human Acts“ (deutscher Titel: „Menschenwerke“) der bekannten koreanischen Autorin Han Kang, in welchem sie die Schicksale verschiedener Personen während und nach den Gwangju-Aufständen authentisch und unverschönt darstellt und einen traurigen, aber realistischen Einblick in die damalige Zeit gibt. Darüber hinaus erschien im Jahr 2017 der Film „A Taxi Driver“ (택시운전사) mit Thomas Kretschmann und dem populären koreanischen Schauspieler Song Kang-ho, welcher von Jürgen Hinzpeter und seinem Taxifahrer Kim Sa-bok, der ihn nach Gwangju fuhr und damit ebenfalls sein Leben riskierte, handelt und sehr zu empfehlen ist. Ebenfalls erschien im Jahr 2018 der Dokumentarfilm namens „5.18 Hinzpeter Story“, welcher Videoaufzeichnungen Hinzpeters aus Gwangju sowie weitere Hintergründe zu den Ereignissen zeigt.
Im Jahr 2016 starb Jürgen Hinzpeter in Ratzeburg. Vor seinem Tod wünschte er sich, dass er auf eben jenem Friedhof beerdigt wird, auf dem auch die gestorbenen Demonstrierenden beerdigt wurden, und so wurden seine Haare und Fingernägel auf dem Nationalfriedhof in Gwangju bestattet. Dies zeigt, dass Hinzpeter auch 36 Jahre nach den Ereignissen den Menschen in Gwangju und der Stadt gedacht hat.
Es ist verwunderlich und schade, dass nur wenige Deutsche seine Geschichte kennen, aber hoffentlich können mithilfe dieses Artikels mehr Menschen von dieser beeindruckenden und faszinierenden Geschichte des Journalisten erfahren.
jesimin@korea.kr
Dieser Artikel wurde von einer Korea.net-Ehrenberichterstatterin verfasst. Unsere ehrenamtlichen Reporter kommen aus aller Welt und teilen ihre Liebe und Leidenschaft für Korea.