Anna Rihlmann (2 v.r.) mit Kolleg:innen in einer aktuellen Theaterproduktion in traditioneller koreanischer Kleidung © Anna Rihlmann
Von Ehrenberichterstatterin Jasmin Mikolay aus Deutschland
Die deutsche Schauspielerin Anna Rihlmann lebt und arbeitet seit über einem Jahrzehnt in Seoul. Unter ihrem koreanischen Künstlernamen Anna Yoon hat sie sich in der Theater- und Filmszene etabliert und bringt internationale Perspektiven in die koreanische Kulturlandschaft ein.
Vom 8. bis 16. September 2025 sprach Jasmin Mikolay, Ehrenberichterstatterin von Korea.net aus Deutschland, in einem schriftlichen Interview mit ihr über ihren außergewöhnlichen Karriereweg und ihre Erfahrungen zwischen den Kulturen sowie ihre persönliche Verbindung zu ihrem zweiten Zuhause.
- Frau Rihlmann, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für das Interview mit Korea.net nehmen. Könnten Sie sich den Leser:innen, die Sie noch nicht kennen, kurz vorstellen?
Mein Name ist Anna Rihlmann, ich lebe seit mittlerweile 11 Jahren in Seoul, Korea, und arbeite hier als freiberufliche Künstlerin. Mein koreanischer Künstlername ist Anna Yoon, den Nachnamen habe ich von meiner koreanischen Gastfamilie übernommen, mit der ich über 10 Jahre zusammengelebt habe und die mich wie eine Tochter aufgenommen hat.
- Was hat Sie ursprünglich nach Korea gebracht und was hat Sie dazu bewegt, Ihre Karriere als Schauspielerin hier zu beginnen?
Ich habe mich schon früh für Filme abseits des Mainstreams interessiert, vor allem für Geschichten über Figuren, die oft als Außenseiter gelten. Mit 16 entdeckte ich zufällig die Filme des koreanischen Regisseurs Kim Ki-duk und war von seiner Darstellung der koreanischen Gesellschaft fasziniert. Von da an begann ich, mich intensiver mit der koreanischen Kultur und Sprache zu beschäftigen.
Nach dem Abitur studierte ich Koreanistik und Medienwissenschaft. Während eines Praktikums beim Radiosender EBS in Seoul wurde ich zu einem Theaterstück eingeladen und habe dort meine Liebe fürs Theater entdeckt. Ich wollte unbedingt auf die Bühne. Noch im selben Jahr, 2014, bekam ich die Chance auf eine Nebenrolle in einem Stück mit sehr bekannten Schauspielern. Damals wusste ich noch nicht einmal, wie man richtig auf der Bühne steht, aber es machte mir Spaß, und ich wollte mehr lernen. So bewarb ich mich an der praxisorientierten Korea National University of Arts und wurde dort als erste ausländische Studentin im Masterstudium Schauspiel aufgenommen.
Anna Rihlmann bei ihrem Masterabschluss an der Korea National University of Arts in Seoul © Anna Rihlmann
- Sie waren die erste ausländische Studentin im Schauspielstudium an der Korea National University of Arts. Wie war diese ganze Erfahrung für Sie?
Am Anfang wollte ich diese „Außenseiterrolle“ so schnell wie möglich loswerden. Mit meinem koreanischen Namen, der Integration in die koreanische Kultur, Mentalität und Sprache. Ich wollte einfach „koreanisch sein“, um dazugehören zu können. Nach einer Weile stieß ich aber an Grenzen. Ich konnte nicht so frei improvisieren wie meine koreanischen Kollegen, und die nach wie vor starke Hierarchie in der koreanischen Gesellschaft machte mir zu schaffen.
Als Schauspielerin lernt man, bei sich selbst anzusetzen. Mit meinem selbst inszenierten „koreanischen Selbst“ war das schwer. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, meine Herkunft zu akzeptieren und sie aktiv in meinen Ausdruck einzubauen. Daraus entstand auch meine Masterarbeit, die sich mit den Herausforderungen ausländischer Schauspieler:innen in Korea befasst. Aus einer intrakulturellen Perspektive habe ich anhand von Theaterspielen eine Methode entwickelt, die sprachliche, kulturelle und gesellschaftliche Hindernisse leichter überwinden lässt.
- Als deutsche Schauspielerin in Korea: Welche besonderen Chancen, aber auch Herausforderungen haben Sie auf diesem Weg erlebt?
Zu Beginn meiner Karriere wollte ich meine deutsche Herkunft komischerweise immer ein Stück weit in den Hintergrund rücken. (Mit meinem Aussehen war das allerdings schwer möglich.) Mittlerweile sehe ich sie aber auch als Vorteil. Als Schauspieler:in muss man etwas Besonderes mitbringen, um aus der Masse herauszustechen. Unsere Theaterstücke haben oft gerade durch den internationalen Cast mehr Aufmerksamkeit bekommen, als es ein rein koreanisches Ensemble getan hätte.
- Sie haben in verschiedenen Produktionen mitgewirkt, darunter sowohl in Filmen wie Parasite als auch auf der Theaterbühne. Welche Unterschiede empfinden Sie in der Arbeit zwischen Theater und Film?
Beide Medien haben ihren eigenen Charme – und ich liebe beide. Theater hat mir eine neue Familie in Korea geschenkt: meine Theatergruppe Dreamplay. Theater bedeutet für mich Menschen und Kommunikation, mit den Kolleg:innen, dem Publikum und natürlich diese direkte Verbindung im Moment. Man sieht jeden Schweißtropfen, jeden Tag erlebt man ein neues Publikum, neue Reaktionen: einmal mehr Lachen, einmal weniger Tränen oder auch mal ein klingelndes Handy. Man ist gemeinsam im Raum, und man hat nur diese eine Chance. Genau diese Anspannung prägt auch den Probenprozess und die Zusammenarbeit im Team.
Szenen aus verschiedenen Theateraufführungen mit Anna Rihlmann im Ensemble © Anna Rihlmann
- In Ihrem eigenen Stück The Tale of Anna thematisieren Sie die Schwierigkeiten und Stereotypen ausländischer Künstler:innen in Korea. Was möchten Sie mit diesem Werk vermitteln?
Ich möchte zeigen, dass es als ausländische Künstlerin nicht immer leicht ist, in koreanischen Produktionen eine Hauptrolle zu bekommen. Deshalb habe ich mir mein eigenes Stück geschrieben, gemeinsam mit großartigen Kolleg:innen aus Indien, China und Belgien. Alles Künstler:innen, die seit über zehn Jahren in Korea leben, die Sprache beherrschen und eine professionelle Ausbildung haben. Aber auch meine koreanischen Kolleg:innen stehen mit auf der Bühne und auch sie kämpfen um Anerkennung und passende Rollen. Es geht also nicht nur um das „Fremdsein“, sondern generell um Fragen der Zugehörigkeit und darum, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.
- An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell? Gibt es etwas, worauf sich Ihre Fans besonders freuen dürfen?
Zurzeit arbeite ich an einem Indie-Spielfilmprojekt, bei dem ich die Hauptrolle spiele und gleichzeitig als Creative Producer am Drehbuch beteiligt bin. Neben der Schauspielerei habe ich in diesem Jahr auch die Arbeit als Produzentin für mich entdeckt. Mein Ziel ist es, mehr Werke von internationalen Talenten sichtbar zu machen und ihnen eine Plattform zu geben, um ihre Geschichten in die Welt zu bringen.
- Sie sind schon viele Jahre Botschafterin für Insadong und arbeiten hin und wieder an Projekten des Koreanischen Kulturzentrums in Berlin mit. Welche Rolle spielt Kulturvermittlung für Sie persönlich?
Mein erstes Praktikum nach dem Abitur machte ich im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin, und bis heute habe ich eine sehr enge Verbindung zum Zentrum. Für mich war es schon immer eine große Herzensangelegenheit, die koreanische Kultur – für die ich mich so sehr interessiere und die ich mittlerweile auch mit meiner Expertise vermitteln darf – an andere Menschen weiterzugeben. Und ich denke, jede:r, dem ich von Korea erzähle, spürt diese Begeisterung mit mir.
- Am 15. August 2025 feierte Korea einen besonderen Jahrestag: Zum 80. Mal jährte sich der „Tag der Befreiung“ (Gwangbokjeol). Da Sie bereits seit Jahren in Korea leben, welche Eindrücke haben Sie von dem Tag mitgenommen?
Rund um den 15. August gab es viele Veranstaltungen. Erst kürzlich war ich im National Memorial of the Korean Provisional Government. Dieses Museum habe ich anlässlich des Jubiläums zum ersten Mal für einen Dreh besucht und kann es wirklich auch anderen Gästen empfehlen.
- Korea wird weltweit immer stärker als Kulturstandort wahrgenommen, nicht nur wegen K-Pop oder K-Drama, sondern auch durch Theater und Film. Wo sehen Sie sich selbst in dieser Entwicklung?
Ich glaube, dass ich vor allem in der Theaterszene vielen schon bekannt bin. Diese Position möchte ich weiter ausbauen und verstärkt Projekte mit internationalen Künstler:innen umsetzen. Gleichzeitig möchte ich auch im Film künftig aktivere Rollen übernehmen. Bisher standen in all meinen Kurzfilmprojekten ausländische Hauptdarsteller:innen im Mittelpunkt und diesen Ansatz möchte ich gerne noch erweitern.
- Sie sprechen fließend Koreanisch und bewegen sich sowohl in der koreanischen als auch in der internationalen Kulturszene. Welche Brücken möchten Sie mit Ihrer Arbeit schlagen?
Ein Projekt, das mir sehr am Herzen lag, war ein Theaterstück über die koreanischen Krankenschwestern, die in den 1960er Jahren als Gastarbeiterinnen nach Deutschland kamen. Solche historischen Verbindungen würde ich gerne mit weiteren Projekten ausbauen, bestehende Verbindungen sichtbarer machen und neue Koproduktionen schaffen.
Anna Rihlmann als Moderatorin bei der “Induction Ceremony - Beyond the K” der Honorary Reporters und K-Influencer 2023 © Screenshot Jasmin Mikolay
- Sie haben auch Moderationen übernommen, zum Beispiel 2023 die Induction Ceremony der Honorary Reporters. Wie fühlt es sich an, auf diese Weise Teil des öffentlichen Kulturlebens in Korea zu sein?
Es erfüllt mich jedes Mal mit großer Freude zu sehen, wie Korea weltweit immer mehr an Popularität gewinnt. Als ich meinen Bachelor in Koreanistik begann, wurde ich oft mit schiefen Blicken konfrontiert. „Koreanistik? Wie – Demokratische Volksrepublik Korea oder Republik Korea? Ist da nicht noch Krieg?“ Das Wissen über Korea war damals noch sehr beschränkt, und die Reaktionen darauf oft ungläubig. Damals zählte das Nebenfach gerade einmal zehn Personen. Heute gibt es jedes Jahr über hundert Bewerbungen, eine Entwicklung, die mich wirklich glücklich macht.
- Wo sehen Sie sich in den nächsten Jahren – eher im Theater, im Film oder vielleicht sogar in beidem gleichermaßen?
Ich sehe mich in beidem – Theater und Film – und vielleicht sogar noch in der Forschung. Ich überlege, auf Grundlage meiner praktischen Erfahrungen im Bereich Koreanistik und Medienwissenschaft meinen PhD zu machen und mir damit zusätzlich ein Standbein als Hallyu-Expertin aufzubauen.
- Was möchten Sie jungen Künstler:innen, die eine internationale Karriere in Korea anstreben, mitgeben?
Sprich deine Wünsche laut aus. Ich war lange zu scheu zuzugeben, dass ich Schauspielerin werden wollte. Als ich es zum ersten Mal jemandem anvertraute, brachte er mich ins Theater und zwei Monate später stand ich das erste Mal auf der Bühne. Egal, wie groß, unmöglich oder absurd deine Wünsche klingen: Menschen sind bereit, dir zu helfen. Aber wenn du sie nie aussprichst, kann niemand davon erfahren.
- Zum Abschluss: Was bedeutet Ihnen persönlich Korea und welche Verbindung möchten Sie mit Ihrem Publikum – in Korea und weltweit – schaffen?
Korea ist die Heimat, die ich mir selbst ausgesucht habe. Ich bin hier gewachsen – an Herausforderungen, an Hindernissen, die mich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Die koreanische Mentalität hat mich stark geprägt: die Höflichkeit und der Respekt, der Fleiß, aber auch die Freude am Arbeiten, Teilen und Miteinandersein. Für mich ist vor allem der Austausch wichtig – Unterschiede und Gemeinsamkeiten offen zu erfahren und mit dem Publikum in einen lebendigen Dialog zu treten.
- Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Frau Rihlmann. Wir wünschen Ihnen für Ihre zukünftigen Projekte weiterhin viel Erfolg und bedanken uns herzlich für das Interview.
Anna Rihlmann alias Anna Yoon zeigt mit ihrem Weg, wie Kunst zur Begegnung wird – zwischen Theater und Film, zwischen Deutschland und Korea, zwischen persönlichen Erfahrungen und universellen Fragen. Ihre Arbeit macht deutlich, dass gerade an den Schnittstellen von Kulturen neue Impulse entstehen. Damit prägt sie nicht nur die koreanische Bühne, sondern setzt auch ein inspirierendes Zeichen für die internationale Vielfalt der Kulturszene.
Dieser Artikel wurde von einer Korea.net-Ehrenberichterstatterin verfasst. Unsere ehrenamtlichen Reporter kommen aus der ganzen Welt und teilen ihre Liebe und Leidenschaft über alle Dinge in Korea.
dlektha0319@korea.kr