Der folgende Kolumnenbeitrag wurde von Richard Kubitzki, einem Lehrer des Joseph-DuMont-Berufskollegs in Köln, verfasst und am 4. August 2020 von der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Korea.net hat die Erlaubnis des Autors erhalten, seinen Artikel zu veröffentlichen. |
Von Richard Kubitzki
Joseph-DuMont-Berufskolleg
Japan ignoriert die Tatsache, dass es in der Vergangenheit koreanische Zwangsarbeiter auf der Insel Hashima (Kriegsschiff-Insel) eingesetzt hat - in Deutschland ist dies dank der hart erarbeiteten Erinnerungskultur nicht möglich.
In Südkorea ist in letzter Zeit die Kritik laut geworden, dass Japan die koreanischen Zwangsarbeiter, die es im 2. Weltkrieg zum Kohleabbau auf der Insel Hashima (Kriegsschiff-Insel) einsetzte, völlig vergessen hat. Grund hierfür ist eine Ausstellung, die am 15. Juni 2020 im Informationszentrum für industrielles Erbe in Tokio eröffnet wurde, in der auf die koreanische Zwangsarbeit auf der „Kriegsschiff-Insel“ überhaupt nicht eingegangen wird.
Auch in Deutschland besteht die schmerzhafte Erinnerung an die Zwangsarbeit während des 2. Weltkriegs. In unserem Land gibt es jedoch schon seit vielen Jahren bis einschließlich heute eine staatlich und gesellschaftlich anerkannte Erinnerungskultur, in der auf ganz verschiedene Art und Weise den unterdrückten und ermordeten Menschen gedacht wird. Dies gilt ganz besonders für den Holocaust, schließt jedoch ausdrücklich auch Opfer der Zwangsarbeit ein.
Im Jahr 2006 wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick das zentrale Dokumentationszentrum für die NS-Zwangsarbeiter gegründet. Es dokumentiert die Lage der Zwangsarbeiter zu den Zeiten des Nationalsozialismus und ist bis heute das Einzige seiner Art.
Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte ist wichtig, um allen beteiligten Nationen den Weg in eine positivere Zukunft zu ebnen. Das von Japan eingerichtete Informationszentrum bietet jedoch eine sehr selektive Dokumentation der Geschichte. Anders als in deutschen Ausstellungen wird im japanischen Informationszentrum weder auf die Verschleppung von Menschen für die Zwangsarbeit eingegangen noch wird über die harten Bedingungen der Arbeit berichtet.
Dies ist zutiefst bedenklich. Auch in Deutschland wurden die Leiden der Zwangsarbeiter viele Jahre zunächst nachrangig behandelt. Menschen, die im Ausland lebten - darunter die vielen Zwangsarbeiter - waren praktisch von einer Entschädigung ausgeschlossen. Dies änderte sich jedoch im Jahr 2000, als die deutsche Regierung in Berlin die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gründete, die seitdem symbolische Entschädigungsleistungen für ehemalige ausländische Zwangsarbeiter bereitstellt. Zudem fördert die Stiftung internationale Versöhnungsprojekte. An dieser Initiative sind die deutsche Bundesregierung und über 6.000 Unternehmen der deutschen Wirtschaft je zur Hälfte beteiligt. Die Stiftung erhielt zu ihrer Gründung 5,2 Milliarden Euro, aus den Zinserträgen werden die laufenden Projekte finanziert.
Mit Gründung dieser Stiftung übernahm die deutsche Regierung, aber auch die Wirtschaft und die Gesellschaft politische und moralische Verantwortung für das Unrecht, das alle Opfer des Nationalsozialismus erlebten. Seit Bestehen der Stiftung wurden fast 4.000 Projekte mit 97,7 Mio. Euro gefördert. Da in der Stiftung viele Sitze an die früheren, kriegsbeteiligten Staaten vergeben wurden, ist mit dieser Stiftung echte Aussöhnung möglich geworden.
Die Haltung der japanischen Wirtschaft ist definitiv eine andere. Im Jahr 2018 wurde vom Obersten Gerichtshof Koreas entschieden, dass Opfer der japanischen Zwangsarbeit individuell Entschädigung - unter anderem von den Industrieriesen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries - einfordern können. Doch die japanische Regierung zeigte sich völlig uneinsichtig über dieses Ergebnis und kommentierte die Entscheidungen als „äußerst bedauerlich und völlig inakzeptabel“.
Dazu, dass Japan das Urteil des koreanischen Gerichtshofes ablehnt, kann man nur sagen: Hier ist Europa weiter. Der europäische Gerichtshof setzt schon seit langem das Recht in allen 27 EU-Staaten gleichartig durch. Dieser übergeordnete Gerichtshof nimmt auf nationale Belange keine Rücksicht nimmt, sondern für Recht in allen Nationen der EU sorgt. Wenn es eine solche Behörde im asiatischen Raum gäbe, könnte sich die japanische Wirtschaft gar nicht gegen eine Anerkennung der berechtigten Anliegen der Zwangsarbeiter wehren.
Es hat auch in Deutschland sehr lange gedauert, bis der Staat, die Gesellschaft und die Wirtschaft sich der Verantwortung aus der Vergangenheit gestellt haben. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Insgesamt hat sich Deutschland aber durch seine Bemühungen ein sehr gutes Verhältnis zu vielen seiner europäischen Nachbarn aufgebaut. Und dieses Ergebnis ist auch für die Deutschen selbst sehr wichtig.
Natürlich sollte so ein korrekter Umgang mit der Wahrheit auch im japanischen Informationszentrum stattfinden. Nur weil die Koreaner in der japanischen Gesellschaft gearbeitet haben, waren es natürlich trotzdem nicht Japaner, sondern sie blieben koreanische Zwangsarbeiter. In Deutschland würde ein solches Verhalten eines offiziellen Informationszentrums niemals hingenommen werden.
Richard Kubitzki unterrichtet seit 2002 Politik, Biologie und Sport am Joseph-DuMont-Berufskolleg in Köln.