Model Kim Jong Wook träumt von einer Zukunft, in der die Existenz von Behinderten in der Gesellschaft eine absolute Selbstverständlichkeit ist. Das Foto vom 20. Oktober 2018 zeigt ihn auf der Hera Seoul Fashion Week 2019 in der Dongdaemun Design Plaza in Seoul. © Kim Jong-wook
Von
Kim Hyelin,
Ju Eunjin und
Elena Kubitzki
Kim Jong Wook wählt sorgfältig sein Outfit für den Tag und passende Accessoires aus. Mit einer Hand frisiert er seine Haare und trägt Make-up auf. Sobald seine Schuhe angezogen sind, kann er das Haus nach drei Stunden Vorbereitung verlassen. Im Studio und vor der Kamera wirkt er wie eine ganz andere Person, seinen Gesichtsausdruck ändert er mit jedem Foto ebenso mühelos wie seine Posen.
Dieses Shooting ist fast wie jedes andere, bis auf einen Unterschied: Das Model sitzt im Rollstuhl.
Der 25-jährige Koreaner ist das erste Model des Landes mit Gehbehinderung. Er wurde mit einem Hirnschaden geboren, hat Schwierigkeiten, seine linke Hand und sein linkes Bein zu benutzen und benötigt einen Rollstuhl, um sich zu fortzubewegen. Kim ist nicht nur ein Model, sondern erstellt auch seinen eigenen Content, der sein tägliches Leben und seine Behinderung mit seinen Fans auf Instagram und YouTube teilt.
"Ich betrachte meine Behinderung nicht als Hindernis, sondern als Werkzeug, das mich einzigartig macht", sagt er.
Am 26. November, eine Woche vor dem Internationalen Tag für Menschen mit Behinderungen (3. Dezember), sprach Korea.net mit Kim in einem Café in Dongducheon, Provinz Gyeonggi-do.
Kim studierte Sozialhilfe an der Universität und wollte den Wünschen seiner Mutter folgen, sich einen stabilen Arbeitsplatz zu suchen. Doch als er Mode als Leidenschaft für sich entdeckte, änderten sich seine Karrierepläne.
"Ich war zu der Zeit übergewichtig, weil ich Essen liebte und wenig Bewegung bekam", erinnert er sich. Doch als er eines Tages merkte, wie sehr ein Freund sich anstrengen musste, um ihm eine Treppe hinaufzuhelfen, wurde sich Kim eines bewusst: Sein Gewicht war nicht nur ein Gesundheitsrisiko für ihn, sondern auch eine Belastung für diejenigen, die ihm im Alltag halfen. Von dort an begann er eine Diät, gab weniger Geld für Bestellessen aus und entwickelte mit seiner schlankeren Figur Interesse an Kleidung und den neusten Trends.
Aus dem Interesse heraus entwickelte sich der Wunsch, Model zu werden. Dieser Entschluss verfestigte sich für Kim im Jahr 2017. Grund dafür war sein Besuch auf der Seoul Fashion Week in der Dongdaemun Design Plaza, bei dem er von Fotografen geradezu belagert wurde. Sowohl unter den Zuschauern als auch auf dem Runway war er die einzige Person in einem Rollstuhl.
Unter den viele Fotografen, die Interesse an ihm zeigten, fragte ihn einer, ob er als Model arbeite. "Die Frage hat mich wirklich ins Herz getroffen. Ich hatte noch nie ein Runway-Model im Rollstuhl gesehen. Wie aufregend wäre es also, wenn ich das erste Model wäre? Diese Gedanken rannten mir durch den Kopf."
Model Kim Jong Wook erzählt, er sei ein viel optimistischerer Mensch geworden, seitdem er seinem Model-Traum nachjagt. © Choi Taesoon
Zuerst suchte Kim nach Möglichkeiten für Fotoshootings, indem er KakaoTalk-Gruppenchats und Social-Media-Accounts abonnierte, die von aufstrebenden Models und Fotografen betrieben wurden. Er bewarb sich bei Castings und eröffnete seinen eigenen YouTube-Kanal, um für sich zu werben. Drei Jahre harte Arbeit ohne Bezahlung trugen schließlich in der zweiten Hälfte dieses Jahres Früchte, als er die Chance bekam, als Model für Marken wie Innovador und Disorder zu posieren. Im Oktober unterschrieb er einen Vertrag bei der Agentur Parastar Entertainment, Koreas erster Managementagentur für behinderte Sportler und Künstler.
Seitdem er seinen Traum verfolgt, ist er ein optimistischerer Mensch geworden, sagt Kim: "Mein Selbstwertgefühl ist gestiegen. Ich werde immer noch angestarrt, wenn ich in meinem Rollstuhl unterwegs bin. Aber während ich früher dachte, die Leute sehen mich als bemitleidenswert an, denke ich jetzt, dass ihnen wohl meine Kleidung oder mein Make-up gefällt." Durch die Fotos, die von ihm geschossen werden, erkenne er ganz neue und bewundernswerte Seiten an sich selbst.
Auch für andere ist das Model ein Vorbild: Besonders Jugendliche mit ähnlichen Behinderungen kontaktieren ihn oft über seine sozialen Medien und tauschen sich mit ihm aus. Viele von ihnen sind schüchtern, erzählt Kim, oder werden von ihren Mitschülern gemobbt. Dass sie durch ihn in einem zuvor unerreichbar scheinenden Feld repräsentiert werden, spende ihnen Kraft, auch die eigenen Träume zu verwirklichen.
Er erinnert sich: "In gewisser Weise empfinden Menschen, die z.B. durch einen Unfall später im Leben eine Behinderung erleiden, ein größeres Verlustgefühl als die, die von Geburt an behindert sind." Eine solche Person habe ihn kontaktiert und gesagt, Kim habe sie dazu inspiriert, dem Leben eine zweite Chance zu geben. Dies habe Kim sehr ergriffen. Er folge schließlich nur seinem Traum. Andere dadurch zu stärken und zu ermutigen, mache ihn dankbar und motiviere ihn, sich in Zukunft noch mehr anzustrengen.
Der junge Koreaner sagt, er träume von einer Zukunft, in der die Existenz von Behinderten in der Gesellschaft eine absolute Selbstverständlichkeit ist, sodass Konzepte wie "Grenzen zwischen Nichtbehinderten und Behinderten durchbrechen" nicht mehr erforderlich sind.
Im Ausland gebe es behinderte Models auf Runways und einen eigenen Markt für die Zielgruppe, in Korea aber noch nicht. Daher sei sein kurzfristiges Ziel, eine Rollstuhl-Modenschau mit dem Rollstuhl als Modeartikel abzuhalten. Auch eine Kleidungsmarke, die Behinderten das Selbstvertrauen gibt, sich auffällig und chic zu kleiden, möchte er produzieren.
"Mit dieser Marke, die alle Grenzen zwischen Nichtbehinderten und Behinderten überschreitet, möchte ich unsere Möglichkeiten erweitern und gleichzeitig Arbeitsplätze für Behinderte in verschiedenen Positionen schaffen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die frei von Vorurteilen ist, damit die Nachfrage steigt und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ich hoffe, durch meine Modelkarriere diese Art von Gesellschaft voranzutreiben und meine eigene Marke zu erschaffen."
Zum Schluss sagt Kim noch, er feuere alle behinderten Menschen an, die sich der Verwirklichung ihrer Träume widmen. Sie müssen sich immer weiter neuen Herausforderungen stellen, um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern und die Bereiche zu vervielfältigen, in denen sie arbeiten können.
"Ich hoffe, mehr Geschichten über behinderte Menschen zu hören, die in unerwarteten Karrieren erfolgreich sind, und dass ihre Geschichten weltweit bekannt werden", so Kim. Auf diese Weise könne man international das Bewusstsein für außergewöhnliche Menschen mit Behinderung verbessern.
Menschen mit Behinderung sollten sich immer wieder selbst herausfordern, um neue Karrierewege für sich zu eröffnen, so Kim. Er feuere sie bei der Verwirklichung ihrer Ambitionen an. © Kim Jong-wook
kimhyelin211@korea.kr