Rund 187 Historiker/innen aus aller Welt gaben am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie darauf drängten, dass die japanische Regierung in Bezug auf die sogenannten „Trostfrauen“ ein akkurates und angemessenes Geschichtsbild vermittelt. Das Statement wurde nach einem jährlich stattfindenden offenen Forum der Association for Asian Studies veröffentlicht, das im März in Chicago stattfand; nach der Veranstaltung hatte es unter Historikern und Gelehrten der Japanstudien viele Diskussionen über das Thema gegeben. Die Gelehrten aus den USA, Deutschland, Kanada, Australien und anderswo veröffentlichten ihren „offenen Brief in Unterstützung von Historikern in Japan“, in dem es hieß: „Die unterzeichnenden Gelehrten für Japanstudien bringen ihre Einigkeit mit den vielen couragierten Historikern in Japan zum Ausdruck, die nach einem akkuraten und angemessenen Geschichtsbild des Zweiten Weltkriegs in Asien streben.“ Es folgt die vollständige Version des Briefes in deutscher Übersetzung.
Offener Brief in Unterstützung von Historikern in Japan
Die unterzeichnenden Gelehrten für Japanstudien bringen ihre Einigkeit mit den vielen couragierten Historikern in Japan zum Ausdruck, die nach einem akkuraten und angemessenen Geschichtsbild des Zweiten Weltkriegs in Asien streben. Da Japan für viele von uns sowohl eine zweite Heimat als auch ein Forschungsfeld ist, schreiben wir aus einer gemeinsamen Sorge über die Art und Weise, wie die Geschichte Japans und Ostasiens erforscht wird und wie man sich ihrer erinnert.
In diesem wichtigen Gedenkjahr schreiben wir auch, um 70 Jahre des Friedens zwischen Japan und seinen Nachbarn zu zelebrieren. Die Geschichte des Nachkriegs-Japan der Demokratie, der zivilen Kontrolle des Militärs, der Einschränkung der Polizeigewalt und der politischen Toleranz in Kombination mit Beiträgen zur Wissenschaft und der großzügigen Unterstützung anderer Länder sind alles Dinge, die es ebenfalls zu feiern gilt.
Dennoch stellen Probleme der historischen Interpretation ein Hindernis zur Feier dieser Errungenschaften dar. Eines der spaltendsten historischen Ereignisse ist das System der sogenannten „Trostfrauen“. Dieses Thema wurde durch nationalistische Schmähungen in Japan, Korea und China so verzerrt, dass viele Gelehrte – ebenso wie Journalisten und Politiker – das grundlegende Ziel der historischen Nachforschungen aus den Augen verloren haben, die einen Beitrag dazu leisten sollten, die menschliche Kondition zu verstehen und sie zu verbessern.
Die Ausbeutung des Leidens der früheren „Trostfrauen” für nationalistische Ziele in den Ländern der Opfer erschwert die Verabschiedung einer internationalen Resolution und stellt eine weitere Beleidigung für die persönliche Würde der Frauen dar. Ebenso inakzeptabel ist es für sie, das Geschehene zu verleugnen oder zu verharmlosen. Unter den vielen Fällen von sexueller Gewalt und Prostitution für das Militär zu Kriegszeiten im 20. Jahrhundert zeichnete sich das „Trostfrauen“-System durch sein Ausmaß und das systematische Management unter dem Militär aus, sowie durch die Ausbeutung junger, mittelloser und verletzlicher Frauen in den Gebieten, die von Japan kolonialisiert oder besetzt wurden.
Es gibt keinen einfachen Weg zu einer „gerechten Geschichte”. Der Großteil des Archivs der Kaiserlich Japanischen Armee wurde zerstört. Die Handlungen lokaler Vermittler, die das Militär mit Frauen versorgten, wurden vielleicht niemals aufgezeichnet. Aber Historiker haben zahllose Dokumente entdeckt, die die Beteiligung des Militärs am Transfer von Frauen und an der Kontrolle von Bordellen belegen. Wichtige Beweise ergeben sich auch aus den Aussagen von Opfern. Auch wenn ihre Geschichten mannigfaltig und von den Widersprüchen in der Erinnerung beeinflusst sind, ist die Gesamtsumme der Berichte, die sie liefern, überzeugend und wird von offiziellen Dokumenten sowie von den Berichten von Soldaten und anderen unterstützt.
Historiker sind sich über die genaue Zahl der „Trostfrauen”, die wahrscheinlich niemals eindeutig ermittelt werden kann, nicht einig. Die Etablierung von gut fundierten Schätzungen der Opfer ist wichtig. Aber letzten Endes wird die Frage, ob die Zahl der Opfer bei Zehntausenden oder Hunderttausenden liegt, nichts an der Tatsache der Ausbeutung ändern, die sich im japanischen Reich und in seinen Kriegsgebieten vollzog.
Einige Historiker streiten sich auch darüber, wie unmittelbar das japanische Militär involviert war, und ob Frauen dazu gezwungen wurden, „Trostfrauen“ zu werden. Die Beweise machen jedoch deutlich, dass diese große Zahl von Frauen gegen ihren Willen festgehalten und einer entsetzlichen Brutalität ausgesetzt wurde. Die Anwendung von legalistischen Argumenten, die sich entweder auf bestimmte Begriffe oder isolierte Schriftstücke konzentrieren, um die Aussagen der Opfer anzuzweifeln, verfehlt das grundlegende Thema und ignoriert den größeren Kontext des inhumanen Systems, das die Frauen ausbeutete.
Ebenso wie unsere Kollegen in Japan glauben wir, dass nur die sorgfältige Abwägung und die kontextuale Bewertung jeder Spur der Vergangenheit ein angemessenes Geschichtsbild hervorbringen können. Eine solche Arbeit muss sich Vorurteilen in Bezug auf Nationalität und Geschlecht enthalten und frei von Regierungsmanipulation, Zensur und privater Einschüchterung sein. Wir verteidigen die Freiheit der historischen Nachforschungen und rufen alle Regierungen dazu auf, dasselbe zu tun.
Vielen Ländern wird es schwerfallen, Ungerechtigkeiten der Vergangenheit anzuerkennen. Die Regierung der Vereinigten Staaten brauchte über 40 Jahre, um japanisch-stämmige US-Bürger für ihre Internierung während des Zweiten Weltkrieges zu entschädigen. Das Versprechen der Gleichheit von Afroamerikanern wurde erst ein Jahrhundert nach der Abschaffung der Sklaverei in die US-amerikanische Gesetzgebung aufgenommen, und die Realität des Rassismus ist bis zum heutigen Tag in der amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelt. Keine der Imperialmächte des 19. und 20. Jahrhunderts einschließlich der Vereinigten Staaten, der europäischen Nationen und Japans kann von sich behaupten, sich zufriedenstellend mit seiner Geschichte von Rassismus, Kolonialisierung und Krieg oder mit dem Leiden, das sie zahllosen Zivilisten in aller Welt zugefügt haben, auseinandergesetzt zu haben.
Japan würdigt heute das Leben und die Rechte eines jeden Individuums, einschließlich der verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft. Die japanische Regierung würde in der heutigen Zeit niemals die Ausbeutung von Frauen in einem System wie den militärischen „Troststationen“ tolerieren, weder im Ausland noch im eigenen Land. Selbst zur damaligen Zeit protestierten einige Beamte aufgrund von moralischen Bedenken. Aber die Kriegsregierung forderte vom Individuum absolute Opferbereitschaft im Dienst am Staat und verursachte großes Leid sowohl bei der japanischen Bevölkerung selbst als auch bei den Menschen anderer asiatischer Länder. Niemand sollte jemals wieder solches Leid erfahren.
Dieses Jahr bietet eine Gelegenheit für die Regierung Japans, ihre Führerschaft unter Beweis zu stellen, indem sie sich in Worten und Taten mit Japans Geschichte als Kolonialmacht und mit ihren Akten der kriegerischen Aggression auseinandersetzt. In seiner Ansprache vor dem US-Kongress im April dieses Jahres sprach Premierminister Abe vom universalen Wert der Menschenrechte und der Bedeutung der menschlichen Sicherheit sowie von der Konfrontation mit den Leiden, die Japan anderen Nationen zufügte. Wir begrüßen diese Meinungsäußerungen und fordern den Premierminister auf, sie mutig in die Tat umzusetzen.
Der Prozess der Anerkennung von vergangenem Unrecht stärkt eine demokratische Gesellschaft und fördert die Kooperation zwischen Nationen. Da die Gleichberechtigung und Würde von Frauen den Kern des „Trostfrauen“-Themas bilden, würde seine Lösung einen historischen Schritt hin zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Japan, Ostasien und der Welt bedeuten.
In unseren Klassenzimmern diskutieren Schüler aus Japan, Korea, China und anderswo diese schwierigen Themen mit gegenseitigem Respekt und mit Redlichkeit. Ihre Generation wird mit der Darstellung der Vergangenheit leben, die wir ihnen hinterlassen. Um ihnen zu helfen, eine Welt frei von sexueller Gewalt und Menschenhandel aufzubauen und Frieden und Freundschaft in Asien zu fördern, müssen wir einen möglichst vollständigen und vorurteilslosen Bericht über das Unrecht der Vergangenheit zurücklassen.
*Bitte klicken Sie auf die untenstehende PDF-Datei, um den vollständigen Brief zu lesen.