Sci/Tech

10.06.2014

In alten Zeiten lag der Schlüssel für das Verstehen und die Behandlung von Krankheiten überall auf der Welt darin, dass menschliche Wesen in körperlicher und spiritueller Hinsicht als holistische Einheit betrachtet wurden. Die Menschen im Altertum klassifizierten Krankheiten im Hinblick auf sicht- und fühlbare Symptome. Sie konzentrierten sich auf Leiden wie Schwellungen, Blutungen, Schmerz, Taubheitsgefühle und Einschränkung der Körperfunktionen. Bei den Behandlungsmethoden ging es darum, sich von diesen Problemen zu befreien und die menschlichen Funktionen gleichzeitig wieder zu normalisieren. So bezieht sich das Verständnis von Krankheit auf das Verständnis der Möglichkeiten aller menschlichen Aktivitäten, die sorgfältige Beobachtungen und detaillierte Aufzeichnungen aller menschlichen Konditionen umfassen. 

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1. Alle externen Symptome sind Reflexionen des eigenen inneren Zustands

Verschiedene körperliche Erscheinungsformen des eigenen Körpers können als Indikatoren für die eigene Gesundheit verwendet werden. Damit ein Index als Vorbote für eine besondere Krankheit anerkannt werden kann, müssen eine Vielzahl von Menschen ihre Erfahrungen miteinander teilen. Damit man einem Index als universellem Wissen Glauben schenken kann, sollten jahrhundertelang Erfahrungen gesammelt werden. Das „Dongui Bogam“ ordnet auf systematische Weise die Erfahrungen ein, die durch menschliche Beobachtungen in größeren medizinischen Fachkreisen in Ostasien angesammelt wurden. In dem Werk finden sich Hinweise auf die Veränderung der eigenen Stimme, die Art und die Menge des Schwitzens, die eigenen Träume sowie Farbe, Form und Geruch von Urin und Stuhlgang, die in ihrer Gesamtheit als Indikatoren für die Veränderungen im eigenen Körper dienen.  

Einer der typischsten Indikatoren für den körperlichen Zustand eines Menschen ist das Gesicht. Aus Veränderungen im Gesichtsausdruck kann man Emotionen ablesen, aber laut dem „Dongui Bogam“ lassen sich aus den Veränderungen an Augen, Nase, Mund, Ohren, Stirn und Zunge Rückschlüsse auf die fünf inneren Organe und die sechs Eingeweide ziehen. Es heißt, dass Kurzatmigkeit und geblähte Nasenflügel auf eine Erkrankung der Lungen hinweisen. Eine Rötung der Augenränder ist ein Hinweis auf eine Lebererkrankung. Bei einer Herzkrankheit kann man das Einrollen und die Verkürzung der Zunge sowie eine Rötung im Gebiet um die Wangenknochen beobachten. Wenn Magen und Milz krank sind, hat man Probleme beim Essenschmecken. Auch verändern sich Farbe und Glanz der Lippen, wenn Magen und Milz nicht gesund sind. Für eine Erkrankung der Nieren können ein flüssiger Ausfluss oder Ohrenschmalz sprechen. 

Im „Dongui Bogam“ ist weiterhin vermerkt, dass Urin und Stuhlgang den inneren Zustand des Körpers widerspiegeln. Dort steht, dass „gelber Urin bedeutet, dass sich im Unterbauch und in der Leber Hitze befinden. Rote Farbe ist in erster Linie auf Alkohol zurückzuführen, während weiße Farbe auf mangelhafte und kalte ,niedrigere Quellen‘ zurückzuführen ist. Sämtlicher trüber Urin ist das Resultat von Feuchtigkeit und Hitze.“ Das Werk deckt verschiedene Erkrankungen ab, die im Zusammengang mit dem Urin stehen, so wie Schwierigkeiten beim Urinieren, Dysurie, Blasenkoliken (Dysurie mit Koliken im Unterbauch), Harninkontinenz, Nachtröpfeln beim Urinieren und Nykturie. Jedes einzelne dieser Symptome ist ein Indikator für bestimmte Krankheiten. Ebenso spiegeln Veränderungen in der Stuhlbeschaffenheit Veränderungen im körperlichen Zustand wider. 

2. Diagnostische Techniken durch Ablesen der qualitativen Veränderungen des Pulses

In der Medizin früherer Zeiten sowohl im Osten als auch im Westen war es üblich, Diagnosen zu stellen, indem der Puls am Handgelenk des Patienten gemessen wurde. Während die westliche Medizin die Betonung auf die Zahl und den Rhythmus des Pulsschlages legte, betonte die ostasiatische Medizin die Wahrnehmung des Pulses. Anders als die westliche Methode des Pulsmessens, in der lediglich seine Position als diagnostische Technik verwendet wurde, unternahm die östliche Pulsmessungsmethode den Versuch, jede mögliche Veränderung im menschlichen Körper aufzudecken. Medizinische Fachleute in Ostasien gingen so weit, anhand des Pulses eine Krankheit zu prognostizieren und die Lebenserwartung eines Patienten zu bestimmen. Deshalb hat „das Messen des Pulses“ in der ostasiatischen Medizin die gleiche Bedeutung wie „zum Arzt zu gehen“, und das Idiom wird noch heute verwendet. Der Puls in der Nähe der beiden Handgelenke ist eine akkurate Widerspiegelung des Herzschlags. Dennoch gingen medizinische Fachkreise in Ostasien davon aus, dass sich der Pulsschlag je nach Individuum oder Symptomen leicht verändert und dass er sich selbst beim selben Individuum oder bei den gleichen Symptomen mit der Zeit verändert. Mediziner begannen im Laufe der Geschichte, die leichten Veränderungen beim Puls in eine systematische Ordnung zu bringen. Das „Dongui Bogam“ liefert eine gute Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen einer Krankheit und den Veränderungen im Puls. Auch wenn die Diagnose durch Pulsmessen eine hochentwickelte Methode ist, die einzigartig in der ostasiatischen Medizin ist, muss es vermieden werden, allein auf der Basis des Pulses eine Diagnose zu stellen. Wenn es also um die medizinische Untersuchung geht, sollten wir immer andere diagnostische Methoden berücksichtigen, wie es im „Dongui Bogam“ betont wird. 

3. Verschiedene Arten von Individuen haben unterschiedliche Arten von Krankheiten

Das „Dongui Bogam“ konstatiert, dass die gleichen Symptome je nach Individuum unterschiedliche Gründe haben können. Deshalb müssen wir diesen Faktor berücksichtigen, wenn wir eine Krankheit diagnostizieren. Zunächst einmal müssen wir beachten, ob eine Person adipös (fettleibig) oder dünn ist. Die adipöse Person mit glänzender Gesichtshaut befindet sich in einem Zustand von ausreichendem Qi und Blut, während die adipöse Person ohne glänzende Gesichtshaut den Zustand von ausreichendem Qi bei Blutarmut reflektiert. Die dünne Person ohne glänzende Gesichtshaut spiegelt sowohl einen Mangel an Qi als auch eine Blutarmut wider. Deshalb müssen wir untersuchen, ob das körperliche Erscheinungsbild und das Qi in einem guten Zustand sind, um in Abhängigkeit von solchen Unterschieden eine Vielzahl von Behandlungen durchzuführen. 

Es ist einfach, einen schlanken Patienten mit einer dunklen Hautfarbe zu heilen, während es schwierig ist, einen adipösen Patienten mit einer rötlichen oder weißen Hautfarbe zu kurieren. Menschen mit dunkler Hautfarbe sind nicht anfällig für Erkältungen, anders als solche mit einer rötlichen oder weißen Hautfarbe. Schlanke Menschen haben eine feste Muskelmasse, und adipöse Menschen haben weiche Muskeln. Wenn jemand weiche Muskeln hat, ist es schwierig, seine oder ihre Krankheit zu heilen. Die Übergewichtigen haben ein schwaches Qi und frösteln gewöhnlich leicht. Kälte generiert Feuchtigkeit, was in Folge Phlegma hervorruft. Schlanke Leute leiden unter Blutarmut und fühlen sich schnell erhitzt. Hitze generiert Feuer, und Feuer ruft Trockenheit hervor. Deshalb können adipöse Menschen leicht Symptome wie Kälte oder Feuchtigkeit aufweisen und schlanke Menschen Symptome wie Hitze oder Trockenheit.  

Die mutigen und feigen Menschen haben ein unterschiedliches Aussehen und unterschiedliche Charakterzüge, sodass sie unterschiedliche Krankheiten aufweisen. Es ist wichtig, zu bedenken, dass es bei den Krankheiten auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Für die Behandlung von Männerkrankheiten müssen wir uns detailliert über ihr Sexualleben informieren, insbesondere über Häufigkeit, Intensität und sexuelle Vorlieben. Bei Frauen sollten wir die genauen Details über ihren Menstruationszyklus und ihre Schwangerschaften nicht außer Acht lassen. Das „Dongui Bogam“ stellt die Behauptung auf, dass die sozialen Beziehungen ein Schlüssel zur Behandlung von Krankheiten sein können. In anderen Worten: Wenn eine wohlhabende Person verarmt, wird ihre Haut trocken werden und ihre Glieder werden irgendwann zu schwach sein, um sich zu bewegen. Wenn eine Person aus einem hohen Amt entfernt wird, führt dies definitiv zur Schwächung ihres Körpers. 

4. Über die Wichtigkeit, Erkältungen zu verhindern

In der altertümlichen Medizin wurde der menschliche Körper als eine holistische Einheit und eine unabhängige Lebenseinheit betrachtet, die in Harmonie mit ihrer Umgebung lebt. Er erhält Individuen am Leben, schützt sie und etabliert seine eigene Domäne. Das Auftreten einer Krankheit bedeutet, dass solch eine unabhängige Aktivität behindert wird. Wenn solch eine Veränderung auftritt, unabhängig davon, ob sich der Körper dessen bewusst ist oder nicht, informiert er uns in Form von verschiedenen Krankheiten und Schmerzen, dass bestimmte Maßnahmen ergriffen werden sollten. Der Beginn solch einer Veränderung wird gewöhnlich durch eine Veränderung der Stimmung signalisiert. Er beginnt gewöhnlich damit, dass sich der Körper erschöpft fühlt. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl, wenn wir unter einer Erkältung leiden. An einem bestimmten Punkt verschwindet das Gefühl der Motivation. Der Körper fröstelt allmählich, und seine Bewegungen wirken wie eingerostet. Darauf folgen Symptome wie eine laufende Nase und Husten. Die ganz normale Erkältung lässt sich gewöhnlich in einem bestimmten Zeitraum heilen. Sie verwandelt sich allerdings oft in eine chronische Rhinitis oder in eine Pharyngolaryngitis, oder sie verschlechtert sich und verwandelt sich in eine Lungenentzündung, die zum Tod führt. In der ostasiatischen Medizin wird die Krankheit, die auf eine solche Weise beginnt, „Kälteschaden“ genannt. Da es viele Arten von Kälteschaden gibt, bedeutet dies nicht nur einfache Kälte. 

Die Aufrechterhaltung der Gesundheit des Körpers, die Beibehaltung dieses Zustands durch eine angemessene Ernährung, durch Ausruhen und Übungen sowie der flexible Umgang mit den Veränderungen der Umgebung oder in den Emotionen sind nicht nur ein Weg, um Erkältungen zu verhindern, sondern auch ein Weg, um gesund zu bleiben und lange zu leben. 

*Diese Serie von Artikeln über das „Dongui Bogam“ wurde durch die Kooperation mit dem Korea Institute of Oriental Medicine ermöglicht.