Ausland


VEREINT IM LEID UND DER HOFFNUNG

Auf dem Weg von der DMZ in den Süden des Landes


Auf dem Weg von der DMZ in den Süden des Landes (Foto: Stefanie Grote)

GEDICHTE ÜBER DEN KRIEG
 

Gedichte haben in Ostasien und insbesondere in Korea eine lange Tradition. So zahlreich die Anthologien, so auch die Art ihrer Funktionen. Gedichte wurden zu politischen Anlässen geschrieben, um die persönlichen Gefühle einem Tagebuch anzuvertrauen oder um der Geliebten ein paar romantische Zeilen zukommen zu lassen. Sie wurden von koreanischen Delegationen verfasst, die in regelmäßigen Abständen die chinesische Hauptstadt besuchten und ihre Freude über das Zusammentreffen mit chinesischen Gelehrten und Literaten in Form von Poesie ausdrückten. Obwohl die gebildete Schicht in Korea das klassische Chinesisch beherrschte und ihre wissenschaftlichen Arbeiten, Gedichte und politischen Korrespondenzen in dieser Sprache verfasste, konnte sie sich aufgrund unterschiedlicher Betonungen der chinesischen Schriftzeichen nicht im Chinesischen miteinander unterhalten und kommunizierte daher in der „Pinselsprache‘ (Pildam,필담). Das bedeutet, dass in chinesischen Schriftzeichen aufgeschrieben wurde, was man seinem Gegenüber mündlich mitteilen wollte. Dieses antwortete auf die gleiche Art und Weise. Die klassischen chinesischen Schriftzeichen waren sozusagen die Lingua franca in Ostasien, nur eben in geschriebener und nicht in gesprochener Form. Diese Korrespondenzen erfolgten oft in Gedichtform. Die Qualität der Gedichte wurde häufig zur Bewertung des Bildungsgrads einer Person herangezogen. Noch heute finden sich in südkoreanischen Pavillons in Holz geschnitzte Gedichte alter Meister, aber auch Gedichte nur lokal bekannter Lyriker der Gegenwart, deren poetische Einfälle in Stein gemeißelt Parkplätze zieren. Diese Gedichte werden wahrscheinlich nicht den Nobelpreis für Literatur gewinnen, aber die Idee ist sehr inspirierend. Auch gibt es kaum einen Bezirk, der keine Anthologie lokaler Dichter vorzuweisen hat.

In diesem Beitrag werden die Werke einiger ausgewählter Lyriker präsentiert, die den Koreakrieg (1950-53) beschreiben. Darin kommen das Leiden und Fühlen der Menschen zum Ausdruck, die noch in jedem Krieg zu den Verlierern gezählt haben.


Ein unbekannter Krieger
(Cheon Sang-byeong, Mai 1953)


Auf einem Haufen Dreck liegt
auf dem Schlachtfeld der Vergangenheit
Mit diesen hohlen Augen
Blickst du immer noch zum klaren Himmel hinauf?

Im Himmel mit dahinziehenden Wolken
Und darüber, weit darüber
Siehst du deine Mutter dort oben?

[...]

Deine Knochen wurden zur Wurzel der Ewigkeit.
Dein ganzer Körper ist im Dreck begraben.

[...]

Die Wurzeln werden zu Bäumen
und Wäldern
und ich glaube, dass du der majestätische Berggott geworden bist

Dieser Körper gehört einem Sohn
der sich selbst vergessen hat
Aber nicht seine Mutter.

Cheon Sang-byeong (1930-1993) ist kein Unbekannter in Südkorea. Geboren in Japan, kam er nach dem Ende der japanischen Kolonialzeit (1910-45) nach Südkorea und begann seine Karriere als Dichter. 1967 wurde er als politischer Gefangener gefoltert, setzte seine Dichterkarriere jedoch fort. Seine Werke verzichten fast vollständig auf dekorative Elemente, aber er schafft es, in einfachen Bildern existenzialistische Tiefen auszuloten, den Menschen auf sein Wesentliches zu reduzieren und dadurch die Welt auf eine allgemeinere Ebene der Humanität zu heben. Er ergreift nur für das Leben und die Menschlichkeit Partei, mit einem Funken Hoffnung, dass sich aus den Knochen des Soldaten Wurzeln von Bäumen bilden, die zu Wäldern werden und eine Zukunft ankündigen. Er bezieht sich insbesondere auf die vielen namenlosen Soldaten, darunter viele Studenten, die ohne Erkennungsmarken dem Krieg geopfert wurden. Seit 2004 wird in Südkorea jährlich der Cheon Sang-Byeong-Lyrikpreis vergeben, und seine Ehefrau Mok Sun-ok hat ihm in ihrer Biographie My Husband the Poet ein Denkmal gesetzt.



Welle
(Shin Kyong-nim, 1980)


Einige hinterließen einen Fleck auf dem Körper
Einige hinterließen Kratzer an Händen und Füßen
Einen harten Klumpen in der Brust
Eine Delle im Rückgrat
Manche Dinge bleiben Träume und Sehnsucht
Mit Bedauern und Traurigkeit
Verlassen in Schmerz und Hass
Dann werden sie alle zu weißen Wellen
Vom Wind getrieben und in den Schlamm geworfen
Auf der Brücke klammern sie sich an das Land
Jenseits des Horizonts kann man nicht mithalten
Weit, weit weg, so weit weg
Alles wird weiß

Shin Kyong-nim (*1936), der selbst den Koreakrieg miterlebt hat, behandelt in seinen Werken hauptsächlich das Leben der Landbevölkerung, der Bauern und Arbeiter, ohne sich jedoch auf Proteste und Aufstände zu konzentrieren. Der Verzicht auf konkrete Ereignisse transzendiert Ideologien und eröffnet Visionen von menschlicher Einheit, Frieden und zutiefst menschlichen Gefühlen eines Humanismus, mit dem sich jeder identifizieren kann. Alles wird weiß, weiße Wellen, die wie eine Mahnung an das Leid des Krieges erinnern, ohne Schuldige zu suchen. Der Schuldige ist immer der Krieg. Dieses Gedicht verfasste er zum 55. Jahrestag des Koreakrieges. Es beschreibt, wie es dem koreanischen Volk nicht gelang, sein Land vor der Teilung zu bewahren. Weit, weit weg, so weit weg - damit bezieht sich der Autor auch auf die durch den Koreakrieg getrennten Familien.



Nach Geochang gekommen
(Min Young, 2015)


Die Menschen, die sich noch an diese Menschen erinnern
Sind nirgends zu finden
Ein halbes Jahrhundert ist vergangen
Und die ganze Welt steht auf dem Kopf.

Junge Menschen werden erwachsen
Junge Männer sind blind vom Alter
Nun, die Leute, die sich an sie erinnern
sind nirgendwo auf der Welt zu finden.

Im roten Boden des Tals
Menschen, die unter falschen Anschuldigungen begraben wurden
Kein Name, kein Ton!
Die Seele allein schreit in der tiefen Traurigkeit!

Dieses Gedicht wurde von Min Young (geboren 1934) geschrieben. Es verdeutlicht durch die allgemein gehaltene Sprache den Irrsinn des Krieges, der nur leidende Menschen zurücklässt. Die Namenlosigkeit der Toten, die Stille, die nur durch einen Aufschrei der Seele durchbrochen wird, zeigt die nackte Seite des Krieges, eines jeden Krieges, der Menschen auslöscht und nicht einmal ihre Namen zurücklässt.

Übersetzung der Gedichte aus dem Koreanischen ins Deutsche: Alexander Reisenbichler

 

Alexander Reisenbichler (ganz rechts) mit seiner Familie (Foto: privat)

Alexander Reisenbichler (ganz rechts) mit seiner Familie (Foto: privat)


Alexander Reisenbichler

Der aus Österreich stammende Ethnologe Alexander Reisenbichler (*1977) lebt und forscht seit 15 Jahren in Südkorea und Indien. Derzeit schreibt er seine Dissertation über indische Christen im Bundesstaat Goa und arbeitet an einem Reisebericht über Südkorea und das Leben in einer südkoreanischen Community. Mit seiner koreanischen Frau und seinen beiden Töchtern hat er sein Basecamp in einem kleinen Dorf in den Jiri-Bergen in Südkorea aufgeschlagen.


Alexander Reisenbichler ist unter anderem Autor von ,,Die vielen Gesichter der dokkaebi: Auf den Spuren eines koreanischen Phänomens"", erschienen 2014 im OSTASIEN Verlag, Reihe Phönixfeder (http://www.reihe-phoenixfeder.de/rpf/024.html).