Inmitten des Krisenjahres 2020 lassen Jeongmin Lee und Andreas Meyndt in Busan die oberbayerische Traditionsbrauerei Turmbräu wiederauferstehen. Von einem südkoreanischen Weihnachtswunder.
Inmitten des Krisenjahres 2020 lassen Jeongmin Lee und Andreas Meyndt in Busan die oberbayerische Traditionsbrauerei Turmbräu wiederauferstehen. Von einem südkoreanischen Weihnachtswunder.
„Am Ende mach ich doch immer, was ich will“, sagt Jeongmin und lacht. Die Frage war, ob ihre Eltern denn nicht protestiert hätten, als sie davon hörten, was Jeongmin und ihr Ehemann Andreas im Schilde führten: die untergegangene Turmbräu-Brauerei aus Oberbayern wieder auferstehen lassen, und zwar in Südkorea. Inmitten der Corona-Krise. Ungeachtet des stürmischsten koreanischen Sommers seit Langem. Garstigen Nachbarn und hochnäsigen Geschäftspartnern zum Trotz. In eher unvorteilhafter Lage fernab von den Ausgehvierteln.
Von Mühldorf nach Busan: Jeongmin Lee und Andreas Meyndt stoßen auf die Eröffnung an.
(Copyright Fotos: Andreas Meyndt)
Weder sind sie weltfremde Nostalgiker noch risikosüchtige Gründungs-Hasardeure. Jeongmin und Andreas haben einfach eine gesunde Portion Optimismus und Mut. Sie wollen das Wagnis eingehen und den koreanischen Biermarkt im Sturm erobern. Derart überspitzt würde es das sympathische junge Ehepaar natürlich nicht formulieren. Fürs Erste wären sie schon damit zufrieden, wenn ihnen ihre Brauerei mit angeschlossenem Restaurantbetrieb den Lebensunterhalt finanzierte. Anfang 2020 begannen sie unermüdlich, an diesem Traum zu arbeiten. Er, das ist der lebende Beweis dafür, wie weltgewandt und tiefverwurzelt in süddeutsche Traditionen man zugleich sein kann. Im dezenten Trachtenjankerl erzählt Andreas, wie er Mandarin als Teil seines Sinologiestudiums lernte. Jetzt ist er dabei, die seiner Meinung nach noch härtere Nuss Koreanisch zu knacken. Sie, das ist auf den ersten Blick eine beinahe einschüchternd eloquente koreanische Karrierefrau, die sich nach ihrem Studium an der renommierten Pusan National University als Managerin von Convenience-Stores im rauen Geschäftsleben behauptete. Jeongmins warmherziges und jugendliches Wesen zeigt sich auf den zweiten Blick. Etwa dann, wenn sie ihrem Ehemann inmitten großer Geschäftigkeit liebevoll übers Haar streicht, oder wenn sie über seine manchmal noch unbeholfen klingenden koreanischen Ausspracheversuche kichert.
Eingeschworene Gemeinschaft: die stolzen Gründerväter der Turmbräu-Brauerei
Die Reisschnaps-Bier-Mischung Somaek (소맥) komme nicht auf die Getränkekarte, sagt Andreas. Hier gibt sich der sonst lockere Bierexperte kompromisslos. Auch viele abenteuerliche Aromakombinationen der in Korea gerade hippen IPA-Biere – Kaffeesalz und Kirschblüten-Marshmallow zum Beispiel – überzeugen ihn eher weniger. Vergleichsweise puristisches Helles, Weiß- und Roggenbier nach deutschem Reinheitsgebot seien einfach unübertroffen lecker. Er will damit an die Tradition seiner Vorfahren anknüpfen, die im Jahr 1907 im oberbayerischen Mühldorf am Inn anfingen, Malz, Hopfen und Wasser zum besagten Turmbräu-Bier zu veredeln. Später musste das Familienunternehmen wie viele andere kleinere Brauereien schließen. Die geheimen Rezepte wären wohl für immer in Vergessenheit geraten, wenn sich Andreas nicht dazu entschlossen hätte, in die Fußstapfen seines Urgroßvaters zu treten. Dank unzähliger Brausessions mit einem betagten ehemaligen Turmbräu-Mitarbeiter – es brauchte etwas Überzeugungskraft, bis dieser mit dem Wissen rausrückte – kam Andreas dem ursprünglichen Geschmack nahe. Doch warum soll die familiäre Braukunst nicht am Flussufer des Inn, sondern am koreanischen Ostmeer in Busan eine Renaissance erfahren?
Der Markt in Deutschland ist für traditionelles Bier ziemlich gesättigt, weiß Andreas. In Korea sehe er bessere Chancen, aus der Konkurrenz hervorzustechen. Da drückt er sich vornehm aus. Die Zeitung „The Economist“ war im November 2012 hingegen auf Krawall gebürstet, als sie schrieb, dass sogar nordkoreanisches Bier besser als südkoreanisches schmecke. In Südkorea gebe es ein unheilvolles Duopol – die Marken Hite und Cass teilten den Markt unter sich auf. Das Ergebnis? Wässriges Aroma ohne Wums: „Fiery food, boring beer“. Die Expat-Szene fuhr rhetorisch noch größere Geschütze auf und ersann boshafte Spitznamen wie „Land of the Bland“ oder „Home of the Piss of the Devil“. Seitdem hat sich viel getan. Südkorea gilt in Asien inzwischen als Vorreiter der sogenannten Craft-Beer-Szene, die mit innovativen Kreationen Alternativen zum standardisierten Industriebier anbieten möchte. Doch daraus resultieren eben nicht selten die schon erwähnten flamboyanten Geschmacksbilder. Charakterstarkes, puristisches Traditionsbier – das könnte die Nische fürs Turmbräu-Revival sein.
Dann wären die rund 250.000 Euro, die Jeongmin und Andreas bisher in ihre Selbstständigkeit steckten, eine gute Investition. Familiäre Rücklagen machten es möglich, ohne Bankkredite auszukommen. Das mindert zwar etwas den ökonomischen Druck, nicht aber den emotionalen, denn wer will schon die eigene Familie enttäuschen. Ein nicht unerheblicher Teil des Geldes floss in die Herzkammer von Turmbräu, den Brauraum. Dort funkelt eine Reihe von hochglanzpolierten Kesseln, die Andreas in viel Eigenarbeit installierte. Von der im ersten Stock gelegenen Gaststube aus kann man durch ein Galeriefenster auf seine Brau-Choreografie hinabschauen. Zu tief ins Glas blicken sollten die Gäste allerdings nicht, denn die Treppe Richtung Hof führt ziemlich steil nach unten.
Vertreibt trübe Gedanken: die sonnengelbe Außenfassade
Im Hof erwartet einen dann nicht die Atmosphäre eines lauschigen oberbayerischen Biergartens, so ehrlich muss man sein. Zwar schmeichelt die warmgelbe Außenfassade dem Auge, aber der Platz ist beschränkt, die vielbefahrene Straße nah und der zanksüchtige Nachbar lauert auf jeden noch so nichtigen Anlass, um Radau zu machen. Das Viertel Gijang, in dem Turmbräu liegt, lässt die Leute an den neu eröffneten Ikea-Markt und den spektakulären Wassertempel Haedong Yonggungsa, nicht aber an Andreas' Spezialitätenbier, seine hausgemachten Schnitzel oder seine fruchtige Currywurstsoße denken. Bei der Standortwahl mussten Jeongmin und er Abstriche machen. Die Mieten in Busaner Szenevierteln wie dem pulsierenden Seomyeon waren einfach zu hoch, und die Deckenhöhe der dortigen Räumlichkeiten reichte nicht aus, um Braukessel zu installieren. Umso wichtiger wird es sein, Geld mit dem Vertrieb der Bierkreationen zu verdienen. Das ist die anspruchsvolle Aufgabe von Jeongmin. Ihr junges Alter und die Tatsache, dass sie eine Frau ist, irritieren manche Geschäftspartner in der noch immer patriarchalisch geprägten Gesellschaft Südkoreas. Da passiert es schon einmal, dass ein Telefonat nach wenigen Sätzen auf arrogante Weise beendet wird: „Na, na, na, wir sind ein paar Nummern zu groß.“
Der Anfang ist jetzt aber gemacht. Am 24. Dezember 2020 empfingen Jeongmin und Andreas zum ersten Mal offiziell Gäste bei der Turmbräu-Eröffnungsfeier. Ja, das war der Weihnachtsabend. In Korea hat das Fest einen anderen Status – es dient weniger der familiären Besinnlichkeit im Privaten als dem Konsum, Dating und öffentlichen Vergnügen. Ein paar Bier zu zischen und Pommes zu knabbern, ist also keineswegs Blasphemie. Jeongmin und Andreas liegt nichts ferner als mit Bierernst auf deutschen Traditionen zu beharren. Sie sind einfach nur froh, eine der schwierigsten und arbeitsreichsten Zeiten ihres Lebens gemeistert zu haben. Turmbräu im krisenreichen Jahr 2020, in dem alles andere zu schließen scheint, zu neuem Leben zu erwecken, das ist – so viel Pathos sei erlaubt – ein koreanisches Weihnachtswunder.
Lässt sich von Corona nicht die Stimmung vermiesen: Braumeister Andreas am Schanktresen