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BEQUEM UND ZEITSPAREND? - SO WOHNEN KOREANER

Typische Apartment-Siedlung in Südkorea (Alle Fotos: Karina Gur)

Während man sich in Deutschland ein Wohnen ohne Küche und Fenster kaum vorstellen kann, ist es in Südkorea für manche Menschen gewöhnlicher Alltag. Nach dem Koreakrieg sind Millionen von Koreanern nach Seoul gezogen. In der Hoffnung auf eine gut bezahlte Arbeit und bessere Lebensbedingungen. Allein in dieser Stadt sind die Einwohnerzahlen deshalb in den letzten 60 Jahren von über 2 Millionen auf etwa 10 Millionen gewachsen [1]. Aktuell beherbergen die Hauptstadt sowie die Satellitenstädte um sie herum insgesamt über 25 Millionen [2] Menschen. Für die Regierung ist es bis heute eine große Herausforderung ausreichend Wohnungen für solch eine gewaltige Nachfrage bereitzustellen. Derweil haben sich unterschiedliche Wohnkonzepte entwickelt, die sich dem Bedarf der Menschen, aber auch den vorhandenen Bedingungen anpassen mussten.

Die meistverbreitete Lösung für den Wohnungsmangel auf der Halbinsel sind viele Wohnungen auf geringem Raum - also hohe Wohnhäuser, denn das Land ist begrenzt. Schließlich besteht Südkorea zu etwa 70 % aus Bergen. Deshalb wird versucht, die Städte so kompakt wie möglich zu bauen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass hier ganze Apartment-Anlagen immer wieder aus dem Boden sprießen. Manche Häuser sind “gerade mal” 15 bis 20 Etagen hoch. Doch es gibt auch richtige Wolkenkratzer, die um die 50 Stockwerke aufweisen. Solche Apartment-Siedlungen werden meist von Familien und Senioren bewohnt, denn sie gelten als “groß” mit ihren vergleichsweise 55 qm und mehr. Außerdem befinden sich um die Wohnanlagen viele, teilweise kleine, Einrichtungen, die das Leben viel angenehmer gestalten, wie z.B. kleine Parkanlagen oder Tiefgaragen.

Familien mit Kindern sind auf der Suche nach Wohnungen, die sich bestenfalls nahe des
Arbeitsplatzes der Eltern befinden. Häufige Kriterien bei der Auswahl sind gute Schulen und Kindergärten, die fußläufig erreichbar sind. Natürlich müssen ebenfalls ausreichend Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe vorhanden sein. Idealerweise ist ein Einkaufszentrum nebenan genauso wie ein Krankenhaus. Eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel darf ebenfalls nicht fehlen. Im Optimalfall befindet sich alles im Zentrum der Stadt, denn je schneller man an seinem Zielort ist, desto sinnvoller kann man seine Zeit einsetzen. Natürlich ist es nicht für alle Familien möglich eine solche Wohnung zu finanzieren, denn all diese Kriterien haben ihren Preis.

Einige kleine Läden sind stets in wenigen Minuten fußläufig erreichbar.

Und so wird beim Bau von derartigen Apartmentanlagen häufig mitgeplant, dass zumindest ein Kindergarten sowie Schulen für verschiedene Altersklassen in der Nähe sind. Vor dem Eingang einer solchen Siedlung befinden sich häufig kleine Einkaufsgeschäfte, die das Nötigste verkaufen und bis in die Nacht oder sogar 24 Stunden geöffnet haben. Auf weniger lassen sich sogar Koreaner in den Randgebieten einer Stadt nicht ein. Jedoch streben sie stets nach immer besseren Wohnbedingungen.

Während koreanische Familien ähnliche Wohnungen wie die deutschen bewohnen, sieht die Lebensweise von jungen Erwachsenen in Korea ganz anders aus. Aufgrund der hohen Wohnkosten leben viele junge Koreaner bis in ihre 30-er Jahre häufig noch zusammen mit ihren Eltern. Doch die meisten von ihnen streben einen Weg nach Seoul an, denn dort befinden sich die besten Universitäten und Jobmöglichkeiten. Besonders hohe Ansprüche für die eigene Wohnung gibt es nicht, außer: günstig und so nah wie möglich an der Uni bzw. dem Arbeitsplatz.

Badezimmer ohne Duschkabine sind in Korea sehr häufig in kleinen Wohnungen zu finden.

Ein im Durchschnitt 5 qm großes Zimmer ist für viele deshalb vollkommen ausreichend, um Bücher, Kleidung und andere lebensnotwendige Kleinigkeiten zu verstauen. Viel Platz wird hier nämlich gar nicht gebraucht, schließlich ist eine Wohnung dieser Art meistens nur zum Schlafen da. Solche Mini-Wohnungen werden in Korea manchmal “Goshiwon” genannt und kosten in Seoul im besten Fall um die 230 Euro/Monat. Goshiwons entstanden hauptsächlich in der Nähe von Universitäten in Seoul in den späten 1970-er Jahren und wurden von Studenten bewohnt, die für Staatsexamen lernen mussten [3]. Schon damals galten sie als eine der günstigsten Wohnmöglichkeiten. Goshiwons bestehen aus einem kleinen Zimmer, die mit einem Einzelbett, Schreibtisch, Schrank und - wenn man Glück hat - einem Minikühlschrank ausgestattet sind. Ein Fenster ist vorhanden - meist ein relativ kleines oder wenn man Pech hat überhaupt keins. Das Badezimmer ist ebenfalls sehr spartanisch: nur eine Toilette und ein Waschbecken mit angeschlossener Dusche. Nicht einmal eine Duschkabine hat hier einen Platz, deshalb wird frei im Badezimmer geduscht.

Allerdings wird ein eigenes Badezimmer sogar in einem Goshiwon zum Luxus. Es kann durchaus vorkommen, dass es mit anderen Gebäudebewohnern geteilt werden muss. Genauso wie die Küche. Insbesondere die Studenten stört das aber wenig. Sie entscheiden sich für Goshiwons, nicht nur um Geld zu sparen, sondern auch um fokussiert lernen zu können. Zum Kochen haben sie sowieso keine Zeit, denn sie müssen diese effizient einteilen, um optimal für Prüfungen vorbereitet zu sein. Koreaner selbst nennen ihr Heimatland nicht umsonst “das Land der Prüfungen”. Deshalb entscheiden die Studenten: Anstatt in den nächsten 30 Minuten einkaufen zu gehen und zu kochen, lieber 30 neue Vokabeln zu lernen. Zudem finden sich in Korea zahlreiche Restaurants an jeder Ecke. Viele bieten Hausmannskost zu günstigen Preisen an, beispielsweise eine Mahlzeit für 3 Euro. Selber kochen lohnt sich also nicht. Ob sich Koreaner in einem Goshiwon tatsächlich wohlfühlen ist zu bezweifeln. Deshalb wird häufig in Cafés und Bibliotheken gelernt. Und gibt es dann doch die ein oder andere freie Minute, so wird diese entweder am Computer, Handy oder draußen mit Freunden verbracht.

Wer finanziell besser dasteht, entscheidet sich für ein sogenanntes “studio apartment” oder “one room” - eine 1-Zimmer-Wohnung, die deutlich größer ist als ein Goshiwon. One rooms vereinen Schlaf-, Wohnzimmer und Küche in einem Raum. Abgesehen von einer Kochecke, gibt es in einem one room häufig sogar eine eigene Waschmaschine. Diese Wohnmöglichkeit ist ebenfalls sehr beliebt bei Studenten, jungen Angestellten und Singles. Viele Koreaner unter 30 Jahre verzichten häufig bewusst auf eine Beziehung. Sie haben keine Zeit und wollen sich auf ihre Karriere konzentrieren. Aber auch Paare ziehen hier selten vor der Hochzeit zusammen, auch wenn die jungen Menschen hier mittlerweile der Idee offener gegenüberzustehen scheinen als zuvor. Und so bleibt die Nachfrage nach kleinen, günstigen Wohnungen für eine Person hoch.


Egal, ob 20 oder 40 Jahre alt, Single oder mit Familie - in Korea heißt es: Die Wege zwischen der Wohnung und der Schule, Universität oder dem Arbeitsplatz möglichst kurz halten. Denn Koreaner investieren viel Zeit in ihre Karriere. Arbeitszeiten von 10 oder 12 Stunden täglich sind nicht unüblich, insbesondere in kleinen Firmen. Schüler und Studenten lernen häufig bis in die Nacht hinein. Viel Zeit zum Herumfahren bleibt nicht. Deshalb sind für manche Koreaner ein paar wenige Quadratmeter als Wohnung nur ein sehr kleines Opfer.



[1] https://worldpopulationreview.com/world-cities/seoul-population
[2] 2019 Population and Housing Census (Register-based Census), Statistics Korea
[3] https://www.koreatimes.co.kr/www/nation/2018/11/119_259187.html


 
Bild von Karina Gur

Bild von Karina Gur

Foto: Karina Gur

Karina Gur

hat bisher für diverse Firmen als Online Marketing Manager gearbeitet. In ihrer Freizeit organisierte sie in den letzten Jahren einige koreabezogene Kulturprojekte. Jetzt legt sie ein Sabbatical ein, um in Südkorea die koreanische Sprache zu lernen und schreibt über das Leben auf der Halbinsel.