Ausland

SPEZIALAUSGABE 2021

ZU GUT FÜR DIE MÜLLTONNE – IM KAMPF GEGEN DIE LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG

1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel landen jährlich weltweit auf dem Müll. [1] Und das, obwohl sie noch gesundheitlich einwandfrei und genießbar sind. Auch Korea ist sich dieses Problems bewusst, und es werden bereits seit vielen Jahren vermehrte Anstrengungen unternommen, um einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel zu leisten (u.a. ein erhöhtes Transportaufkommen als auch die landwirtschaftliche Überproduktion lassen die CO2-Emissionen in die Höhe steigen, und rund 4,4 Milliarden Tonnen Treibhausgase landen durch verschwendete Lebensmittel jedes Jahr in unserer Atmosphäre. [2]). Auch viele Unternehmen schenken den Themen rund um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und insbesondere der Lebensmittelverschwendung verstärkt ihre Aufmerksamkeit. Eines davon ist DamoGO – eine App, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen Lebensmittelverschwendung in Korea vorzugehen. Was genau sich hinter der App verbirgt, wieso der Gründer Lin Hwang sie ins Leben gerufen hat, wie er zur Nachhaltigkeit steht und wie er das Bewusstsein in Korea für dieses Thema einschätzt – eine Antwort auf diese und andere Fragen finden sich im folgenden Interview.

Guten Tag Herr Hwang, wie würden Sie jemandem, der noch nie von DamoGO gehört hat, das Konzept der App beschreiben?

Vielleicht waren Sie schon einmal am Abend in einem Supermarkt, in dem Produkte zum halben Preis angeboten wurden oder Lebensmittel mit einem kurzen Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) direkt günstiger ausgepreist waren. Supermärkte und andere Geschäfte versuchen so, ihre Ware, die sonst im Müll landen würde, noch zu verkaufen. Das ist im Wesentlichen das, was wir tun, nur dass es über eine mobile App und den jeweiligen Standort geschieht. Wir arbeiten mit Restaurants, Bäckereien, Lebensmittelgeschäften und anderen Betrieben zusammen, um ihnen dabei zu helfen, noch gut erhaltene, unverkaufte Lebensmittel günstiger zu verkaufen, anstatt sie in den Müll zu werfen. Wir sorgen dafür, dass die Kunden durch die App jeweils angezeigt bekommen, wo sie günstigere Produkte beziehen können. Auf diese Weise können sie enorm viel Geld sparen, es wird nichts weggeworfen, und die finanziellen Verluste der jeweiligen Betriebe werden reduziert. Unsere App richtet sich sowohl an Konsumenten als auch an die Unternehmen selbst. Wir arbeiten direkt mit den Landwirten zusammen und helfen ihnen, ihre Produkte, die nicht der Norm entsprechen (z.B. ist die Kartoffel mal kleiner als der Standard, oder die Karotte ist sehr krumm), an unsere Partnerrestaurants und andere Partner zu verkaufen.

Das DamoGO-Logo ©DamoGO


Wie funktioniert die App?

Über den Standort loggt man sich in der DamoGO-App ein und sieht, welche Restaurants, Supermärkte und andere Geschäfte in der näheren Umgebung Lebensmittel anbieten, deren Verfallsdatum bald abläuft oder die sie sonst am Abend wegwerfen würden. Man kann die Lebensmittel direkt über die App reservieren, einen Abholtermin vereinbaren, vorbeigehen und die Lebensmittel mitnehmen. Für unsere Partner, die ihre Produkte anbieten wollen, ist es genau umgekehrt: Sie registrieren sich als Partner über die App und können so direkt über uns Kunden gewinnen und ihre Lebensmittel verkaufen.

Wann und wieso kamen Sie auf die Idee, Ihr Start-up zu gründen?

Ich bin seit 14 Jahren in der Lebensmittelindustrie tätig und habe auf verschiedensten Ebenen dieser Branche gearbeitet. Zudem hatte ich bereits ein Franchise-Restaurant und habe so über all die Jahre miterlebt, wie groß die Lebensmittelverschwendung in dieser Industrie ist. Das konnte ich nicht länger mit ansehen und wollte etwas dagegen unternehmen. Dann traf ich in Korea meinen Mitbegründer, einen Studenten aus Indonesien. Wir teilten beide die Ansicht, dass sich etwas ändern müsse, machten uns Gedanken, und so entstand unsere Idee.

Wie viele Lebensmittel haben Sie bis jetzt gerettet?

Wir haben über 20.000 Portionen Lebensmittel und über 10 Tonnen nicht mehr so schön aussehende oder „krumm“ gewachsene Produkte vor dem Abfall bewahrt. Das ist erst der Anfang, und wir hoffen, in den nächsten Jahren noch viel mehr retten zu können!

Was sind die Vorteile für Kunden und Unternehmen, wenn sie Ihre App nutzen?

Es gibt verschiedene Gruppen, die durch unsere App profitieren. Zum einen die Restaurantpartner: Sie können bei uns Lebensmittel viel günstiger beziehen. Sie bekommen großartige Ware, die z.B. von Supermärkten nicht mehr gewollt ist, weil sie nicht die perfekte Form oder hier und da eine kleine schadhafte Stelle hat. Da die Produkte sowieso verarbeitet werden und dennoch von einwandfreier Qualität sind, ist es für Restaurants ein großer Gewinn, mit uns zu arbeiten. Umgekehrt helfen wir Landwirten, einen größeren Teil ihrer Ernte zu verkaufen, damit sie höhere Gewinne erzielen und „nicht so schöne Ware“ nicht einfach wegwerfen. Kunden und Konsumenten sparen über die App oft mehr als 50% des Normalpreises und erhalten dennoch tolle Lebensmittel und Gerichte, ohne Einbußen bei Qualität und Geschmack.


Lin Hwang (M), der Gründer der App DamoGO ©DamoGO

Was hat sich in Korea in den letzten Jahren insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung verändert?

Den Nachhaltigkeitsgedanken gab es vor 10 Jahren fast gar nicht. Länder im Westen sind bereits viel weiter in dieser Thematik gewesen. Der Westen hatte mehr Zeit, ein Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensweise zu schaffen Es ist noch nicht lange her, dass Korea ein Land der Dritten Welt war. Die jetzige ältere Generation der Koreaner war in der Vergangenheit meist darauf konzentriert, zu überleben und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es blieb einfach keine Zeit, der Umwelt und deren Schutz vermehrt Beachtung zu schenken. Doch gerade in den letzten Jahren ist das Umweltbewusstsein vieler Koreaner stark gewachsen. Plastiktüten werden nicht mehr bei jedem Einkauf frei herausgegeben, und Plastikstrohhalme sind mittlerweile verboten. Auch die koreanische Regierung geht durch verschiedene Programme gegen den Klimawandel vor, und Unternehmen kümmern sich um einen nachhaltigeren Fußabdruck. Junge Leute und Studenten machen sich große Sorgen um die Umwelt, ihre Zukunft und die nächsten Generationen - was einen enorm positiven Effekt hat, da sie damit Menschen in ihrer Umgebung zum Mitmachen ermuntern und inspirieren. Die junge Generation lebt der älteren Generation einen respektvolleren Umgang mit unserer Natur vor.

Und wie steht es um das Thema der veganen Ernährung?

Auch der Veganismus hat in den letzten zwei bis drei Jahren enorm zugenommen. Vielleicht nicht so stark wie in Europa oder den USA. Aber er wächst stetig weiter. Es gibt bereits viele Unternehmen, darunter auch große wie Lotte und CJ, die ihr Sortiment um vegane und vegetarische Produkte erweitert haben. Es ist nicht mehr unmöglich, in einem Supermarkt eine vegane Ramen zu finden oder sich unterwegs einen veganen Kuchen zu kaufen. Der Veganismus und das Bewusstsein für eine fleischfreie Ernährung verbreiten sich immer stärker in der koreanischen Gesellschaft. Zwar hat Korea viele Gerichte, die traditionell mit Fleisch und tierischen Produkten zubereitet werden. Dennoch sehe ich immer mehr Menschen, die sich für Alternativen entscheiden und trotzdem einen authentischen koreanischen Geschmack kreieren.

Korea ist die weltweite Nr. 1 der Lieferdienste - was hat sich in Korea in den letzten Jahren geändert?

Das Netzwerk für Lieferdienste in Korea ist riesig. Dies führte zu einer Tonne mehr Lieferungen und veranlasst die Leute, wie verrückt zu bestellen. Covid hat diese Entwicklung weiter beschleunigt. [3] Ich sehe es als unsere Aufgabe an, dieses Wachstum nicht zu stoppen, es aber im Hinblick auf nachhaltige Konzepte zu perfektionieren. Wir können weiter die Nr.1 der Lieferdienste sein – dabei sollten wir aber vor allem an erster Stelle die Umwelt sehen und so gut es geht Plastikmüll und Lebensmittelverschwendung unterbinden.


Ein Beispiel für Boxen mit aus einem Restaurant geretteten Lebensmitteln ©DamoGO

Denken Sie, dass Corona positive Auswirkungen auf den grünen Wandel hat?

Covid hat die Menschen dazu gebracht, viel mehr Zeit zu Hause zu verbringen, was dazu geführt hat, dass viel weniger Treibhausgase erzeugt und freigesetzt werden. Viele Branchen waren rückläufig. Für unsere Wirtschaft ist dies natürlich mit schwerwiegenden Folgen verbunden. Gleichzeitig hat sich diese Situation aber auch positiv auf unsere Umwelt ausgewirkt. Gerade als Unternehmer sehe ich beide Seiten. Dennoch denke ich, dass die gesamte Welt aus dieser Krise etwas Gutes mitnehmen und unsere Natur, unsere Freiheit und das Leben an sich mehr wertschätzen wird!

Was möchten Sie und Ihr Team zukünftig in Ihrer Branche erreichen?

Wir wollen die gesamte Lebensmittelversorgungskette so effizient wie möglich gestalten und durch den Einsatz von neuen Technologien Lebensmittelverschwendung verhindern. Wir möchten, dass die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung Standard in allen Bereichen der Lebensmittelbranche wird! Vielleicht sind wir noch zu jung, um als Vorbilder zu agieren. Dennoch hoffen wir, dass wir andere zumindest dazu inspirieren können, über all diese wichtigen Themen nachzudenken und besonders im Wirtschaftsbereich einen positiven Einfluss auszuüben.

Bild von Lara Leipholz

Bild von Lara Leipholz

Foto: privat

Lara Leipholz

ist leidenschaftliche Fotografin und studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin. Nach Ihrem Studium fand sie ihren Weg in das Brand Management. Sie entwickelte bereits viele vegane und vegetarische Produkte als Head of Brand and Product in einem Berliner Food-e-commerce. Seit mehr als 9 Jahren beschäftigt sie sich mit der koreanischen Kultur, war schon viele Male in Korea, lernt die Sprache und schreibt bereits seit vielen Jahren ehrenamtlich für die Regierungswebsite Korea.net Artikel und Reportagen. Ihr Wunsch ist es, nach Korea auszuwandern, vor Ort Teil der vegetarischen und veganen Entwicklung zu werden und diese in einem koreanischen Unternehmen voranzutreiben.