Peggy Gou – die House-Meisterin
Wie eine Koreanerin in Berlin zum Star-DJ wurde
Von Rainer Rippe
Von ihren Fans wird sie so überschwänglich gefeiert, dass in der House-Musikszene längst von „Gou-mania“ die Rede ist. Der in Berlin lebenden Koreanerin Peggy Gou gelang innerhalb weniger Jahre der Aufstieg zum Star-DJ. Die 28-Jährige, die weltweit auf den größten Festivals auflegt, kann jedoch noch mehr.
Als Peggy Gou 2011 ein Studium am London College of Fashion begann, hatte sie das Ziel, Stylistin zu werden. Doch bald wurde ihr klar, dass sie nicht gut darin ist, andere Leute zu stylen: „Es machte mir keinen Spaß. Dass einzige, was mir wirklich gefiel, war, mich selbst zu stylen.“
Die junge Studentin ging damals oft in Clubs tanzen, in denen R&B und Hip Hop gespielt wurde. Aber dann gab ihr ein Freund eine Platte, die ihr Leben veränderte: „Fatty Folders“ von Roman Flügel. Das Album „begeistert mit überbordender Energie und hochschraubender Euphorie“, schrieb das Musikmagazin Spex im September 2011. „Eine Lehrstunde in Sachen House.“
Auch Peggy Gou war wie elektrisiert: „Dieses Album hat mir die Augen geöffnet. Es gibt darauf viele verschiedene Genres, und ich konnte nicht aufhören, es mir anzuhören. Es war eine große Inspiration für mich, daher googelte ich Roman Flügel und versuchte, jedes Stück von ihm zu finden. Es hat meinen Geschmack total verändert und ich wollte mehr Musik wie diese finden.“
Statt am College verbrachte sie viel Zeit in Plattenläden, entdeckte Untergrund-Clubs und tauchte in die House-Musikszene ein. Auf einer Studentenparty legte sie erstmals selbst auf. Das Know-how hatte sie von ihrem ersten Freund gelernt, einem Neuseeländer, der in Seoul als DJ arbeitete. Von ihm übernahm sie auch den Namen Gould, den sie später um zwei Buchstaben kürzte. Weitere Auftritte an der Uni kamen hinzu, und Peggy Gou postete Fotos davon auf Facebook, was einen Clubbetreiber auf sie aufmerksam machte.
Dass sie sich immer mehr mit Musik beschäftigte, hatte Folgen: Sie fiel durch die Prüfung und geriet in Streit mit ihren Eltern, die darauf bestanden, dass sie das Studium zu Ende führe. „Sie konnten es nicht verstehen, insbesondere, dass ich um 1 Uhr nachts ausging und um 5 Uhr morgens nach Hause kam.“
Als Peggy Gou schließlich ihren Abschluss geschafft hatte, arbeitete sie zunächst als Moderedakteurin für Harper’s Bazaar Korea in London. In ihrer Freizeit lernte sie bei dem südafrikanischen DJ und Produzenten Esa Williams, wie man Musik produziert. In seinem Studio entstanden die Aufnahmen zu ihrem ersten Stück „Hungboo“, das nach einer Figur aus einem koreanischen Märchen benannt ist. Darauf sind Klänge des koreanischen Saiteninstruments Gayageum zu hören.
2014 brach sie schließlich ihre Zelte in London ab und ging nach Berlin, um sich dort ganz der Musik zu widmen.
„Nach Berlin zu ziehen, war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe, auch wenn die ersten beiden Jahre nicht einfach waren. Ich hatte glücklicherweise vorher bereits ein paar Freunde dort gefunden. Immer wenn ich dort war, hatte ich eine tolle Zeit, also zog ich nach Berlin und konzentrierte mich auf die Musik. Berlin war die perfekte Stadt für mich, um meine Fähigkeiten auszubauen. In meinem ersten Jahr habe ich in einem Plattenladen gearbeitet, zu Hause an meiner Musik getüftelt und bin jeden Sonntag ins Berghain gegangen – das war mein Leben.“
In der Panorama Bar des weltberühmten Techno-Clubs beobachtete sie, wie man ein Set aufbaut und das Publikum auf eine musikalische Reise mitnimmt. Sie nahm sich vor, als erste Koreanerin dort aufzulegen, was ihr im Sommer 2016 gelang, nachdem sie sich in den ersten Monaten des Jahres mit der Veröffentlichung von drei EPs einen Namen gemacht hatte. „So etwas wie die Clubszene hier hatte ich in anderen Ländern noch nicht erlebt. Vorher habe ich mich mehr für House interessiert, aber durch Berlin habe ich Techno besser verstanden.“ Der Einfluss von Techno hat ihre Musik zweifellos bereichert und ihre Gigs interessanter gemacht.
Um in der von Männern dominierten DJ-Szene ernstgenommen zu werden, kleidete sich die modebegeisterte Peggy Gou bei ihren Auftritten anfangs sehr schlicht. „Als ich mit dem DJing anfing, wollte ich so seriös wie möglich aussehen. Ich trug meistens einfach ein weißes T-Shirt und eine Jeans. Aber jetzt weiß ich, dass Mode ein Teil von mir ist. Ich sehe mir lieber einen DJ mit einem Sinn für Stil an, als jemanden, der einfach nur schwarz trägt.“ Ihre immer zahlreicher werdenden Fans denken offenbar ähnlich. Allein auf Instagram schauen sich über 1,1 Millionen Follower die Bilder der bei Auftritten nun stets stylish gekleideten Peggy Gou an.
Der Durchbruch als Produzentin gelang ihr 2018 mit dem Song „It Makes You Forget" (,Itgehane'), den sie auf Koreanisch sang. „Ich wollte schon immer singen und dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, das bei diesem Stück zu tun, denn ich fand, dass ihm noch etwas fehlte. Also bat ich einen meiner besten Freunde, etwas Poetisches auf Koreanisch zu schreiben, weil ich dachte, dass es in meiner Muttersprache interessant sein könnte. Am Anfang hatte ich ein bisschen Angst davor, was die Leute denken würden und dass sie es nicht mögen würden. Aber es ist wichtig, diese Angst zu haben und an sich selbst zu glauben.“
An Selbstbewusstsein mangelt es Peggy Gou offenkundig nicht. Anfang 2019 gründete sie ihr eigenes Plattenlabel Gudu Records, auf dem vor allem Künstler aus Asien die Chance erhalten sollen, international bekannt zu werden. Die erste Veröffentlichung auf Gudu (benannt nach dem koreanischen Wort für „Schuh“) war die EP „Moment“ von Peggy Gou. Zum darauf enthaltenen Stück „Starry Night“ erschien im Sommer ein Musikvideo, das unter der Regie ihres Freundes Jonas Lindstroem und unter Mitwirkung des Schauspielers Yoo Ah-in in Korea entstand.
Außerdem wurde sie gebeten, ein Album für die berühmte DJ-Kicks-Reihe des Berliner Labels !K7 zusammenzustellen – ein Ritterschlag in der elektronischen Musikszene. Im Sommer erreichte es Platz 9 der amerikanischen Billboard-Charts bei den Dance/Electronic-Albumverkäufen.
Die meiste Zeit des Jahres ist sie inzwischen unterwegs, um irgendwo auf der Welt aufzulegen. Wie lange will sie das noch machen? „Ich weiß, dass diese DJ-Sache nicht ewig so weitergehen wird. Ich sehe mich nicht nur als DJ – ich will eine Künstlerin sein, die möglichst alles machen kann.“
Ihr jüngster Coup: ein eigenes Modelabel namens Kirin (Koreanisch für „Giraffe“). Die erste Kollektion für die Herbst-/Wintersaison 2019/2020 ist vor Kurzem in die Läden gekommen. Viele der farbenfrohen Kleidungsstücke sind mit Haetae bedruckt, einem mythischen koreanischen Tier. Außerdem taucht das Smiley-Logo aus dem Acid House auf. Die koreanische Herkunft und die Liebe zur Musik prägen deutlich den Stil ihrer Mode. Man darf gespannt sein, ob die „Gou-mania“ auf die Modewelt überschwappt.
Rainer Rippe (Foto: privat)
ist Politikwissenschaftler und hat sieben Jahre in Korea verbracht. Von 2008
bis 2011 hat er an der Hankuk University of Foreign Studies unterrichtet. Von 2012 bis 2016
war er für die Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit in Seoul tätig. Derzeit arbeitet er als
parlamentarischer Referent für Manfred Todtenhausen, MdB im Deutschen Bundestag.