Am 3. Oktober dieses Jahres haben die Deutschen mit viel Gelassenheit den 30. Jahrestag ihrer Wiedervereinigung gefeiert. Aber auf der koreanischen Halbinsel scheint angesichts des gescheiterten Gipfeltreffens von Kim Jongun und Donald Trump im Februar 2019 in Hanoi kaum Aussicht auf eine Annäherung, geschweige denn auf eine Vereinigung beider Landesteile zu bestehen. Ohne einen grundlegenden Strategiewechsel der USA gegenüber der Nuklearfrage in Nordkorea scheint die innerkoreanische Annäherung trotz des starken Willens der süd- und nordkoreanischen Regierung, wie er in den drei Gipfeltreffen von 2018 deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, kaum möglich zu sein. Die extreme ideologische Polarisierung der koreanischen Gesellschaft macht die Lösung der koreanischen Frage umso schwieriger. Wie ist diese Tragödie zu erklären?
Ohne einen historischen Vergleich lässt sich der wahre Grund nicht überzeugend erklären. Zunächst wäre die zeitliche Überlappung des Postkolonialismus und des Kalten Kriegs nach 1945 zu nennen. Durch die gescheiterte Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und die amerikanische antikommunistische Besatzungspolitik wieder gestärkt, konsolidierte sich in Südkorea die politische Macht der früheren projapanischen Kollaborateure. Der Kalte Krieg eskalierte in Korea, anders als in Deutschland, vor 70 Jahren in einen katastrophalen Bruderkrieg. Der Koreakrieg hatte mehrere Millionen Opfer, viele von ihnen Zivilisten, die hinter den Frontlinien massakriert wurden. Der Krieg ist bis heute ein kollektives Trauma in beiden Teilen Koreas und hat den Antikommunismus in Südkorea und den Antiamerikanismus in Nordkorea in der jeweiligen politischen Kultur tief verankert. Dies machte die Entstehung einer linksgerichteten Partei in Südkorea unmöglich. Große konservative Medien haben immer wieder antikommunistische und feindlich geprägte Nordkoreabilder in Südkorea reproduziert. Alle Bemühungen der demokratischen Regierungen von Kim Dae-jung, Roh Moo-hyun und Moon Jae-in mussten zunächst diese harte Blockade des konservativen und im Denken des Kalten Krieges gefangenen Lagers brechen.
Ein großer Unterschied der deutschen und koreanischen Teilung liegt in der Existenz der „Insel Berlin im Meer Ostdeutschland“. Dieses geopolitische Schicksal zwang die westdeutsche Regierung, alle Möglichkeiten zur Verhandlung zu nutzen, um das Existenzrecht Westberlins zu sichern. Vor diesem Hintergrund bemühte sich Willy Brandt ernsthaft, die menschlichen Folgen der Teilung abzumildern; so schloss er 1972 den Grundlagenvertrag mit der DDR ab und schuf damit die wichtigste Grundlage für die Wiedervereinigung. Die Bundesrepublik hat durch die ernsthafte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit großes Vertrauen bei den Nachbarstaaten gewonnen. Dies trug zur führenden Rolle der Bundesrepublik beim Prozess der europäischen Einigung bei. Auf dieser Grundlage schuf die KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Helsinki 1975 günstige Bedingungen für eine Wiedervereinigung Deutschlands.
Die Nachkriegsordnung in Ostasien basierte, anders als die in Europa, weniger auf multilateraler, als auf bilateraler Kooperation. Außerdem stellt die unzureichende Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit Japans ein großes Hindernis für die Formierung der regionalen Gemeinschaft dar. Damit ist der Einfluss der USA auf ihre Bündnispartner umso größer. Der Koreakrieg hat die militärische und sicherheitspolitische Abhängigkeit Südkoreas von den USA noch verstärkt und die innerkoreanischen Beziehungen in höchstem Maße konfrontativ gemacht. Eine Folge ist das tragische Schicksal der unzähligen getrennten Familien, die nicht einmal wissen, ob ihre Verwandten auf der anderen Seite noch am Leben sind und für die selbst Briefkontakt nicht möglich ist. Dies steht in scharfem Kontrast zu der „weichen Teilung“ in Deutschland, wo jedes Jahr Millionen von Menschen die innerdeutsche Grenze für Familien- und Verwandtenbesuche überquerten und wo die Menschen in Ostdeutschland jeden Abend Westfernsehen schauen konnten.