Vor rund einem Jahrzehnt habe ich für die Royal Asiatic Society eine wissenschaftliche Exkursion geleitet, die uns zu Koreas historischer Hauptstadt Gyeongju führte. Einer der Teilnehmer war ein wohlhabender Amerikaner, der fast alle Länder der Welt bereist hatte, aber es war sein erster Besuch in Korea. Er war Buddhist und hatte bereits alle anderen bedeutenden buddhistischen Kunststätten Asiens besucht. Als wir in die Vorkammer der Seokguram-Grotte eintraten, stand er einfach in stiller Bewunderung da, während hinter uns verschiedene Touristengruppen vorbeiliefen. Schließlich gingen wir nach draußen, und für eine Minute war er still und wirkte in sich versunken. Dann drehte er sich zu mir mit einem zweifelnden Blick um und fragte: „Warum habe ich nicht früher von diesem Ort erfahren? Das ist eines der großartigsten buddhistischen Kunstwerke der Welt!“ Ich konnte lediglich antworten, dass dies eine häufige Erfahrung für eine Nation ist, deren Attraktionen und Kulturschätze gewöhnlich weniger bekannt sind, als sie es verdienen, besonders dieser.
Die Seokguram-Grotte ist einer von Koreas Nationalschätzen und wird nun endlich international berühmt als einer der herausragendsten Schätze buddhistischer Kunst weltweit. Die Grotte ist Teil einer Einsiedelei am Tempel Bulguksa und wurde als buddhistischer Höhlenschrein zum Ende einer Ära geschaffen, in der viele ähnliche berühmte Kunstwerke über einen Zeitraum von 1000 Jahren in Indien, Zentralasien und China entstanden. Die Koreaner schufen nur einige davon, und dies ist der eindrucksvollste. Sie verwendeten selten natürliche oder eigenhändig ausgehobene Höhlen, um buddhistische Schreine zu bauen, wie es in anderen Nationen üblich war, sondern errichteten die Grotte aus Steinblöcken.
Die Grotte liegt etwas östlich vom Tempel Bulguksa, in Gipfelnähe des Berges Tohamsan. Sie ist nach Osten ausgerichtet und befindet sich mehr als 750 Meter über dem Meeresspiegel, im Gyeongju National Park. Sie können vom Tempel Bulguksa mit dem Bus, dem Taxi oder dem Auto dorthin fahren; die Fahrt dauert etwa 20 Minuten. Der vier Kilometer lange Aufstieg zu Fuß lässt sich in etwa einer Stunde zurücklegen.
Die Seokguram-Grotte in Gyeongju, Nationalschatz Nr. 24, ist die berühmteste buddhistische Einsiedelei Koreas (Foto: Yonhap News).
Die Grotte Seokguram wurde zusammen mit dem Tempel Bulguksa während der Herrschaft der Könige Gyeongdeok (regierte 742-765) und Hyegong (regierte 765-780) des Silla-Reiches errichtet, auf Anregung und unter der Leitung des damaligen Premierministers Kim Dae-seong. Der Zeitraum ihrer Erbauung liegt zwischen dem Jahr 742, als Kim sich vom Hof zurückzog, und dem Jahr 774, kurz nach seinem Tod.
Diese künstlich geschaffene Grotte setzt sich aus Hunderten Blöcken weißen Granits verschiedener Form und Größe zusammen. Die Seokguram-Grotte, die zum Ostmeer hin ausgerichtet ist, bezeugt Koreas brillante Tradition klassischer buddhistischer Skulptur. Auf ihren Wänden ist ein edles Pantheon von Gottheiten abgebildet, welche die buddhistische Philosophie und Ästhetik symbolisieren. Es ist ein Bauwerk von erhabener Schönheit, das religiöse Glaubensvorstellungen, wissenschaftliche Fortschritte und elegante handwerkliche Arbeit verkörpert, die im Goldenen Zeitalter der asiatischen Kunst ihre Blüte erlebten. Dieses Heiligtum aus Stein ist ein einzigartiges Beispiel für die globale religiöse Kunst, für die Quintessenz der bildenden Künste des Silla-Reiches und ein unerreichtes Meisterwerk, was die zahlreichen majestätischen geschnitzten Figuren mit ihrem realistischen Gesichtsausdruck und ihren einzigartigen Gesichtszügen angeht.
Die prächtige künstlerische Ausführung der Grotte wird von einigen Gelehrten als Beweis für die zunehmende Akzeptanz des Buddhismus als vorherrschende Ideologie der damaligen Zeit gedeutet. Laut einer Legende erbaute Kim Dae-seong die Grotte, um die Eltern seines früheren Lebens zu ehren. Einige Details, insbesondere die Positionierung der zentralen Buddhastatue, die genau in Richtung des Unterwassergrabs von König Munmu (regierte 661-681) blickt, des ersten Herrschers des Vereinigten Silla-Reichs, und die Ausrichtung der Grotte zum Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende lassen allerdings darauf schließen, dass der Tempel womöglich gebaut wurde, um den König oder die königliche Linie zu glorifizieren.
Professor David A. Mason
Die Seokguram-Grotte besteht aus einer perfekt ausgerichteten rechteckigen Vorkammer, die das Irdische symbolisiert, einem Gang, der den Übergang von der irdischen zur himmlischen Sphäre symbolisiert, und einer Hauptrotunde mit einer kuppelförmigen Decke, die für den buddhistischen Himmel steht. Im Mittelpunkt der 9 Meter langen Rotunde befindet sich die Hauptstatue eines sitzenden Sakyamuni-Buddhas. Er ist etwa 3,5 Meter hoch und sitzt auf einem lotusblütenförmigen Podest, das mehr als ein Meter hoch ist. Bei ihm handelt es sich um die größte freistehende Buddhastatue, die jemals im vormodernen Korea geschaffen wurde, und um eine der schönsten und eindrucksvollsten Buddhastatuen weltweit. Die Grotte wurde so konstruiert, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne auf den Buddha fallen und durch ihre Reflektion die heiligen Figuren anstrahlen, die ihn umgeben: Buddhisattvas, Jünger und Götter, die verschiedene Aspekte der buddhistischen Lehren verkörpern. Rumpf und Brust des majestätischen Buddhas sehen kraftvoll aus und vermitteln ein Gefühl von Stärke und Stabilität. Gleichzeitig trägt er auf seinem Gesicht einen friedlichen, allwissenden Ausdruck, der tiefe Konzentration und Güte ausdrückt.
Verborgen hinter dieser Hauptfigur und nur für die Augen der Elite bestimmt, die ihre rituellen Umwanderungen hier durchführen darf, steht die Statue eines elfköpfigen Gwanseeumbosal oder Avalokitesvara, des Boddhisattvas des Mitgefühls, der für seine außergewöhnliche Schönheit bekannt ist und als beste Einzel-Bas-Relief-Schnitzerei gilt, die jemals im traditionellen Korea angefertigt wurde.
Die gesamte Statue ist aus feinem, weißem Granit gemacht und zeigt ein hohes Niveau an Fähigkeiten und Kunstfertigkeiten - sie ist der Höhepunkt dessen, was die Asiaten in der Steinbildhauerei erreichten. Die Kapelle der Grotte verströmt trotz der Vielfalt der Ikonen, die dort eingebettet sind, ein einzigartiges Gefühl von Frieden und Harmonie und strahlt eine intensive spirituelle Energie aus, die niemals ihre Wirkung auf Besucher wie meinen wohlhabenden Freund verfehlt.
Die Seokguram-Grotte wurde zum Nationalschatz Nr. 24 erklärt und 1995 zusammen mit dem Tempel Bulguksa zu Koreas erster Welterbestätte der UNESCO ernannt. Sie ist immer noch eine der wichtigsten touristischen Sehenswürdigkeiten der Nation, ein Objekt für wissenschaftliche Studien und ein Ziel für Pilger. Sie ist einer der großartigsten buddhistischen Kulturschätze der Welt.
Von David A. Mason
Professor für koreanischen Kulturtourismus an der Nam-Seoul University
Entdecken Sie Korea mit der RAS [ Der Korea-Zweig der Royal Asiatic Society, der im Jahr 1900 gegründet wurde, ist ein Zusammenschluss von Menschen, sowohl von Koreanern als auch Nichtkoreanern, die ihr Wissen über Leben, Kultur und Geschichte Koreas vertiefen und ihre Kenntnisse mit anderen in englischer Sprache teilen möchten. Website: http://www.raskb.com/]