Kommentar

22.10.2021

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Dorothea Mladenova


Von Dorothea Mladenova

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ostasiatischen Institut, Japanologie, der Universität Leipzig

Am 28. September 2021 jährt sich die Aufstellung der „Friedensstatue“ im Bezirk Berlin-Mitte. Das zuständige Bezirksamt hat kürzlich den Aufstellungszeitraum um Jahr, bis zum 28. September 2022, verlängert. Dies stellt eine Kehrtwende gegenüber der Situation von vor einem Jahr dar, als die Statue frisch aufgestellt war.

Damals ordnete das Bezirksamt Mitte auf Bitten der japanischen Botschaft innerhalb von zwei Wochen die Entfernung der Statue an. Es ließ sich dabei von der Auffassung der japanischen Diplomaten überzeugen, dass es sich bei der „Trostfrauen“-Frage um eine rein bilaterale Angelegenheit zwischen Japan und Südkorea handele und dass Deutschland sich in diese Angelegenheit nicht einzumischen habe. Daraufhin regte sich breiter gesellschaftlicher Protest, übrigens auch von in Deutschland lebenden Japaner*innen, der das Bezirksamt dazu bewog den Widerruf der Genehmigung zurückzuziehen. Als Argumente für die Statue wurden etwa die Freiheit der Kunst, die durch die Verbrechen der NS-Zeit ausgelöste Verpflichtung Deutschlands zum Thema Geschichtsaufarbeitung sowie die Notwendigkeit, ein Denkmal gegen sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum zu platzieren, ins Feld geführt.

Die Statue wurde vom südkoreanischen Künstlerpaar Kim Seo-kyung und Kim Eun-sung gestaltet und von der AG „Trostfrauen“ im Korea Verband e.V. sowie einem multi-ethnischen Bündnis für die Friedensstatue aufgestellt. Die Skulptur stellt ein sitzendes Mädchen dar, neben dem ein leerer Stuhl steht, der Betrachtende dazu einlädt sich neben sie zu setzen und damit Teil des Kunstwerks zu werden. Mit inzwischen fast 100 Exemplaren, die auf der ganzen Welt verteilt sind, hat sie mehrere Bedeutungen auf unterschiedlichen Ebenen erhalten.

Erstens symbolisiert sie die sogenannten „Trostfrauen im Gefolge des japanischen Militärs“, die während des Asiatisch-Pazifischen Kriegs (1931-1945) zu sexuellen Handlungen mit Soldaten gezwungen wurden. Sie kamen überwiegend aus den damaligen japanischen Kolonien und den während des Kriegs besetzen Gebieten, aber auch aus den Niederlanden sowie aus Japan selbst. Zwar trägt die Statue eine koreanische Tracht, der leere Stuhl neben ihr kann jedoch als Möglichkeit gelesen werden, Frauen anderer Nationalitäten, die ebenfalls zu Opfern des „Trostfrauen“-Systems geworden sind, zu imaginieren. Auch Deutschland hat mit KZ-Bordellen, Wehrmachtsbordellen und Vergewaltigungen von Zivilistinnen als Kriegsmittel eine beklemmende Geschichte der sexuellen Gewalt im Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus ereignet sich weiterhin weltweit sexuelle Gewalt, etwa im Bosnienkrieg (1992-95) oder an ezidischen Frauen durch den IS (seit 2014), auf die das Begleitprogramm zur Friedensstatue aufmerksam macht.

Zweitens steht die Statue für den transnationalen Aktivismus ehemaliger „Trostfrauen“, der mit der ersten öffentlichen Zeugenaussage Kim Hak-suns im Jahr 1991 bzw. mit der ersten Mittwochsdemonstration vor der japanischen Botschaft in Seoul im Jahr 1992 begann. Ihre Aktionen haben bereits vor 30 Jahren eine Art #Me-Too-Bewegung ausgelöst, denn daraufhin fühlten sich immer mehr Frauen ermutigt, ihr jahrelanges Schweigen zu brechen und eine Entschädigung zu fordern. Die Aktivist*innen haben dabei stets Frauen aus anderen Ländern unterstützt und auch Vergehen des eigenen Staates angeprangert. So gründeten sie den „Butterfly Fund“, der Vergewaltigungsopfer im Kongo und in Vietnam unterstützt. Sie trugen und tragen damit aktiv zur weltweiten Aufklärung über sexuelle Gewalt bei.

Drittens steht die Statue für den unermüdlichen Kampf gegen Versuche, Opfer sexueller Gewalt zum Schweigen zu bringen und die Geschichte umzuschreiben. Konservative und rechtsextreme Kräfte in Japan, die eine geschichtsrevisionistische Agenda verfolgen, führen seit Jahren regelrechte „Geschichtskriege“ im Ausland und drängen auf die Entfernung dieses und ähnlicher Denkmäler für die „Trostfrauen“. Sie leugnen historisch belegte Fakten über das System, wie den Zwangscharakter, die Federführung des japanischen Militärs und die geschätzte Opferzahl. Auch das japanische Außenministerium setzt sich gegen die Statuen ein.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass sexuelle Gewalt an nationalen Grenzen nicht Halt macht, sondern alle Länder dieser Welt betrifft, da patriarchale Strukturen ausnahmslos alle Nationen unserer Erde bis heute durchziehen. Der Begriff „Rape Culture“ verdeutlicht, dass sexuelle Gewalt kein Problem der Vergangenheit ist und auch nicht nur während kriegerischer Auseinandersetzungen stattfindet, sondern für viele trauriger Alltag ist. Der Fakt, dass es zahlreiche historische Beispiele für systematische sexuelle Gewalt im Krieg gibt, demonstriert ebenfalls, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt. Es ist daher wichtig, keine diplomatischen Fehden an der Statue auszutragen, da dies die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Anliegen ablenkt: dem Kampf gegen sexuelle Gewalt.

Die Statue erhält zudem immer wieder neue, unvorhergesehene Bedeutungen durch spontane Interaktionen der lokalen Bevölkerung mit ihr. Täglich pflegen Mitglieder der AG „Trostfrauen“ im Korea Verband e.V. die Statue und kommen dabei mit Passant*innen ins Gespräch. Seit Oktober 2020 nutzt außerdem die Initiative „Omas Gegen Rechts“ das Denkmal für Mahnwachen. Am 19. Februar 2021 gedachten die „Omas“ dort etwa den Opfern des rechtsextremen Anschlags in Hanau. Damit verknüpfen sie die Statue, die ein nicht-weißes Mädchen darstellt, mit ihrer anti-rassistischen Botschaft. Nur einen Monat später wurde an der Statue der Opfer des Attentats in Atlanta gedacht. Die AG „Trostfrauen“ vernetzt sich außerdem mit der postkolonialen Bewegung in Berlin. Solche unerwarteten Verknüpfungen haben die Statue lokal eingebettet und sie neben sexueller Gewalt auch zu einem Symbol gegen Rassismus gemacht.

Gegenstimmen in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte insistierten darauf, dass die Statue einseitig Stellung in einem bilateralen Konflikt zwischen Japan und Südkorea beziehe und damit die japanisch-deutschen Beziehungen gefährde. Zudem tauge sie durch ihre eindeutige Nationalität nicht als universelles Denkmal.

Dem kann allerdings die Frage entgegnet werden, warum eine asiatisch aussehende Statue, die für ein partikulares Ereignis steht, nicht als universell gelten kann. Welche Ethnie sollte denn dann eine „universelle“ Statue haben? Inwiefern ist es überhaupt möglich, über sexuelle Gewalt aufzuklären, ohne konkrete Ereignisse und konkrete Akteure zu benennen? Wenn es bei dieser Forderung allerdings darum geht, auch andere konkrete Ereignisse, wie etwa die Zwangsprostitution in den KZ- und in den Wehrmachtsbordellen darzustellen, warum muss dafür die Friedensstatue weichen? Können dann nicht mehrere Statuen nebeneinanderstehen, so wie die „Trostfrauen“-Aktivist*innen seit 30 Jahren solidarisch mit ihren transnationalen Bündnispartner*innen zusammenstehen?

Obwohl die Statue von der Zivilgesellschaft breite Unterstützung erfährt, scheint es unter den Entscheidungsträger*innen noch einige zu geben, die sie – vermutlich auf Grund des offiziellen Drucks aus Japan – am liebsten loswerden würden. Dabei hat das Begleitprogramm um die Statue, wie etwa die Bildungsarbeit mit Schulklassen oder die Aktionswoche gegen Femizid im August 2021 gezeigt, dass die Aufsteller*innen ausgehend vom „Trostfrauen“-System über sexuelle Kriegsgewalt im Allgemeinen informieren. Die spontanen Interaktionen der lokalen Bevölkerung haben weiterhin gezeigt, dass die Statue einladend wirkt, sich mit ihr niederschwellig zu beschäftigen, sich an ihr zu unterhalten und sie für Aktionen unterschiedlichster lokaler Anliegen zu nutzen. Durch diese Interaktionen erhält sich immer wieder neue, lokale Bedeutungen, während sie universelle Probleme anspricht.


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Dr. Dorothea Mladenova sitzt auf einem Stuhl neben der Friedensstatue in Berlin-Mitte. Foto mit freundlicher Genehmigung von Dorothea Mladenova