Menschen

11.02.2016

An der südlichen Spitze der koreanischen Halbinsel befindet sich die Küstenstadt Goheung in der Provinz Jeollanam-do. Noch weiter südlich liegt die kleine Insel Sorokdo. Viele Jahre lang war die Insel von Menschen bevölkert, die an Lepra erkrankt waren. Deshalb wollten oder konnten Besucher vom Festland generell nicht an den Ort reisen. 

Lepra, auch Hansen-Krankheit genannt, ist nun schon seit vielen Jahren heilbar, und jeder kann frei auf Sorokdo ein- und ausgehen, das technisch sogar keine Insel mehr ist, da es inzwischen eine Brücke gibt, die Festland und Insel miteinander verbindet. Damit Sorokdo all dies erreichen konnte, waren große Anstrengungen und der Einsatz  sehr vieler Menschen notwendig. 

1962 trafen zwei nichtkoreanische Krankenschwestern auf der Insel Sorokdo ein. Margreth Pissarek und Marianne Stöger, die ihre Ausbildung an einer Schwesternschule in Innsbruck, Österreich, absolviert hatten, kamen auf diese kleine koreanische Insel, um dort ihre medizinischen Dienste anzubieten. Bei ihrer Ankunft hatten sie jedoch nicht damit gerechnet, dass sie einmal die Hälfte ihres Lebens dort verbringen würden. 


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Margreth Pissarek (hintere Reihe, links) und Marianne Stöger (hintere Reihe, rechts) lassen sich 1970 zusammen mit dem medizinischen Team der belgischen Damien Foundation fotografieren. Pissarek und Stöger, die 1962 auf die Insel Sorokdo kamen, verbrachten dort rund 40 Jahre, um sich um Menschen mit Lepra zu kümmern. Von den Bewohnern Sorokdos werden sie „lebende Engel“ genannt. 



Bei ihrer Ankunft fanden sie fast 6000 Patienten und rund 200 Kinder vor, die von ihren leprakranken Eltern getrennt werden mussten. Fragen bezüglich ihres Arbeitsvertrags oder ihrer Arbeitsbedingungen rückten für sie sofort in den Hintergrund. Die beiden standen jeden Morgen um 5.00 Uhr auf, um sich um die Patienten zu kümmern. Sie aßen zusammen mit ihnen und trugen mit bloßen Händen Salbe auf deren Haut auf. Das war in Zeiten, in denen auch professionelle Ärzte die Haut von Leprakranken nicht freiwillig berührten - aus Angst, infiziert zu werden.  

Die beiden österreichischen Krankenschwestern stellten nicht nur manchen Irrglauben über die Lepraerkrankung richtig, sondern kümmerten sich auch um Arzneimittel und andere Annehmlichkeiten für die Patienten. Sie baten Familienangehörige und Bekannte darum, Medikamente zu schicken, und besorgten Nahrungsergänzungsmittel und Milchpulver für die Kinder, die unter Mangelernährung litten. Sie luden ausländische Ärzte ein, Operationen durchzuführen, und bezahlten aus eigener Tasche für medizinische Einrichtungen und die Physiotherapie der Patienten. Für die Kinder, die von ihren Eltern getrennt werden mussten, bauten sie eine Kindertagesstätte auf. Sie fertigten sogar per Hand Kleidung für die Kinder an. 

Dank all dieser Anstrengungen sank die Zahl der Patienten auf der Insel auf ungefähr 3000. Das medizinische Team, das zusammen mit den beiden Krankenschwestern die medizinische Versorgung der Patienten übernahm, verließ die Insel 1971, aber die beiden Krankenschwestern blieben. Nachdem ihre Arbeit immer bekannter wurde, begannen Ärzte und Krankenschwestern landesweit, ihnen zu helfen. Sie wollten trotzdem immer noch keine offiziellen Ehrungen und lehnten die meisten von ihnen ab. In den seltenen Fällen, in denen sie eine solche Auszeichnung annahmen, verwendeten sie das Preisgeld, um geheilte Patienten dabei zu unterstützen, die Insel zu verlassen und sich auf dem Festland niederzulassen. 

Die Zeit verstrich, und die Zahl der Patienten sank auf etwa 600 von den ursprünglich 6000. Im Laufe der Jahrzehnte glichen sich die beiden Frauen, die bei ihrer Ankunft in ihren Zwanzigern gewesen waren, immer mehr den Frauen an, die man in Koreas ländlichen Küstenstädten findet. Ihre Familien in Österreich nahmen irgendwann an, dass sie erst nach ihrem Tode eingeäschert in Urnen nach Europa zurückkehren würden. 


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Pissarek (oben) und Stöger (unten) kümmern sich auf der Insel Sorokdo um die Kinder von Patienten. 



Im November 2005 kehrten Pissarek und Stöger nach Österreich zurück. Sie verließen Sorokdo in aller Stille, ohne ein „Auf Wiedersehen“ oder eine Abschiedszeremonie. Damit kehrten sie einer Insel den Rücken, auf der sie mehr als 40 Jahre ihres Lebens verbracht hatten. Bei sich trugen sie nur die abgenutzten Koffer, die sie 43 Jahre zuvor dorthin mitgebracht hatten. 

Sie hinterließen allerdings einen kurzen Brief an die Menschen von Sorokdo: 
,,Wir haben mit unseren Kollegen gesprochen und gesagt, dass wir vielleicht weggehen müssen, bevor wir zu alt und zu einer Last für andere werden. Wir dachten, dass es nun an der Zeit sei, unseren Worten Taten folgen zu lassen. Danke für den großen Respekt und die Liebe, die Sie uns entgegengebracht haben, und bitte vergeben Sie uns, falls wir als Nichtkoreanerinnen jemals Ihre Gefühle verletzt haben sollten.“

Es war ein bescheidener Abschied in aller Stille. Die Leute auf der Insel wären allerdings traurig gewesen, hätten sie gewusst, dass die beiden Österreicherinnen ihren Abschied planten, und das hätte wiederum die beiden Frauen noch trauriger gemacht. Als die Menschen auf der Insel den Fortgang der beiden entdeckten, hielten sie in ihren alltäglichen Aktivitäten inne und beteten für die beiden. 


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Pissarek beim Empfang des inzwischen verstorbenen Kardinals Stephen Kim Sou-hwan während dessen Besuch auf der Insel Sorokdo. 


Elf Jahre sind seit dem Abschied der beiden Frauen vergangen. 

2016 verkündete das Landkreisbüro Goheung-gun, dass es Pissarek und Stöger für den Friedensnobelpreis vorschlagen werde. In dem Landkreis wird auch ein Dokumentarfilm gedreht, der einen Blick auf das Leben der beiden auf der Insel Sorokdo wirft. Der Film ist Teil der Feierlichkeiten aus Anlass des 100. Geburtstags des Sorokdo National Hospital, der am 17. Mai dieses Jahres gefeiert wird. Die Häuser der beiden Krankenschwestern und einige persönliche Besitztümer werden offiziell zu Kulturerbegütern erklärt, und für die beiden wird eine Gedenkhalle errichtet. Für den 100. Geburtstag wird Stöger Sorokdo erstmals nach 11 Jahren wieder besuchen. Leider kann Pissarek aufgrund von gesundheitlichen Problemen nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen. 

„Sei freundlich und bescheiden”. Diese Botschaft ist immer noch an der Tür des Hauses der beiden Krankenschwestern auf Sorokdo zu lesen, und dies war ihre Lebensüberzeugung. Es ist nicht besonders schwierig, eine Botschaft an einer Wand anzubringen und auf diese Weise regelmäßig daran erinnert zu werden. Aber es kann sehr schwierig sein, nach dieser Botschaft zu leben. Stöger und Pissarek haben ihre Überzeugung in Taten umgewandelt. Dies ist der Grund, warum die Menschen insbesondere auf Sorokdo und auch die in Goheung die beiden nicht vergessen können. 


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„Sei freundlich und bescheiden”. Eine Botschaft, die von einem Bekannten der beiden Krankenschwestern niedergeschrieben wurde und die man als ihr Lebensmotto bezeichnen könnte, hängt immer noch an der Wand ihres Heims in Sorokdo, in dem sie viele Jahre lebten. 



Von Chang Iou-chung
Redakteur, Korea.net 
Fotos: Landkreisbüro Goheung-gun 
icchang@korea.kr