□ Historischer HintergrundIm 12. und 13. Jahrhundert hat die ostasiatische Medizin ein neues logisches Modell der medizinischen Informationen auf Basis des Neokonfuzianismus entwickelt. Im gleichen Zeitraum vermehrte sie das medizinische Wissen durch die Zusammenstellung von Daten aus ganz Ostasien, das in Büchern veröffentlicht und durch die Entwicklung der Druckkultur weiterverbreitet wurde. Allerdings bestand das Problem darin, dass trotz dieser Wissensakkumulation ein Wissensdefizit in Bezug auf die Nutzung dieser Daten für die aktuelle Behandlung bestand. Mit anderen Worten bedurfte man eines präziseren, effektiveren und komprimierteren Wissens, um es in der medizinischen Praxis schnell anwenden zu können. Im 16. Jahrhundert erschienen zunehmend Medizinbücher, die über die praktische Behandlung informierten. In China gelten das 1515 veröffentlichte „Yixue Zhengchuan“ (‚Orthodoxe Übertragung von medizinischem Wissen‘) und das 1575 veröffentlichte „Yixue Rumen“ (‚Einführung in das medizinische Wissen‘) als repräsentativ. In Japan wurde „Keitekishu“ (‚Sammlung zur Erkenntnis‘) von Manase Dosan (1507–1594) veröffentlicht. Unter diesen medizinischen Klassikern ist das „Dongui Bogam“ (‚Geschätzter Spiegel der östlichen Medizin‘), das 1613 in Joseon veröffentlicht wurde, der repräsentativste. Unter den therapeutischen Techniken wie der Anwendung von Kräutern und Akkupunktur, die bis zu dieser Zeit in Ostasien auf verschiedene Weise zusammengestellt wurden, wählte man die besonders nützlichen medizinischen Methoden sorgfältig aus und stellte sie im „Dongui Bogam“ zusammen. Deshalb sind dort zahlreiche Behandlungsmethoden erhalten und bis heute für den klinischen Bereich nützlich.

□ Der Wert des „Dongui Bogam“Das „Dongui Bogam“ umfasst sämtliches Behandlungswissen der damaligen Epoche - nicht nur das Wissen über die Anatomie des menschlichen Körpers und über Meditationstraining, sondern auch Dokumente über verschiedene Krankheiten in verschiedenen Ausprägungen, hochqualitatives Wissen über die Behandlung von Krankheiten und die leicht umsetzbaren Methoden für die allgemeine Bevölkerung. Darüber hinaus umfasst es ausführliche Diskussionen über die Art und Weise, wie Menschen in der Joseon-Zeit chinesische Medizin als Teil der ostasiatischen Medizin verstanden und akzeptiert haben und darüber, inwiefern die medizinische Philosophie der Joseon-Ära von der Chinas unterscheidbar war. Darüber hinaus hat es Bedeutung als Gesamtwerk, durch das wir in jedem Fachgebiet, das - wie Naturwissenschaften, Medizinkultur, Medizintechnik, Medizinpsychologie und Medizinphilosophie – einen Bezug zur Medizin hat, das Ausmaß der ostasiatischen Medizin während des 16. und 17 Jahrhunderts verstehen können. Da es auch zahlreiche Datenquellen enthält, denen wir die Methode der Unterscheidung zwischen importierten und einheimischen Kräutern, die neue Nomenklatur einheimischer Kräuter sowie die Verteilung und Verwendung derselben entnehmen können, führen nicht nur Gesundheitsdienstleister, sondern auch Forscher auf verschiedenen Gebieten derzeit Studien auf Basis dieser Inhalte mit großem Interesse durch. Die Veröffentlichung des „Dongui Bogam“ wurde zunächst von der Regierung beaufsichtigt und ist als solche ein medizinisches Werk, das an die Schaffung eines landesweiten Gesundheitssystems gekoppelt ist. Aus Sicht des Staates handelte es sich um eine unschätzbare Datenquelle des medizinischen Wissens, die kontinuierlich überprüft und aktualisiert werden musste.□ Der Einfluss des „Dongui Bogam“ in Ostasien
Seit seiner Publikation 1613 wurde das „Dongui Bogam“ der repräsentativste Text der koreanischen Medizin. Sämtliche Medizinbücher, die später herausgegeben wurden, nehmen in irgendeiner Weise Bezug auf das „Dongui Bogam“. Das „Gwangje Bigeup“ (‚Geheime Schulmappe von großem Nutzen‘) und das „Jaejung Shinpyeon“ (‚Neuer Band zum Nutzen der Bevölkerung‘) sind deutliche Beispiele, die den starken Einfluss des „Dongui Bogam“ auf die koreanische Medizinergemeinschaft zeigen. Das „Dongui Bogam“ war der meistgelesene medizinische Text unter den koreanischen Medizinern in den nachfolgenden Jahrhunderten. Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen zahlreiche gekürzte Publikationen des „Dongui Bogam“. Es war auch eines der Standardwerke der koreanischen Medizin seit der Befreiung 1945.
Das „Dongui Bogam“ hat andere Länder beeinflusst, die - wie Korea - chinesische Buchstaben verwendeten. Es wurde in China und Japan dutzendmal neu veröffentlicht und wurde auch in weiterem Umkreis bekannt, wie in Vietnam, in der Mandschurei und der Mongolei. Tokugawa Yoshimune (1684–1751), der achte Shogun von Japan, kannte sich im medizinischen Bereich gut aus und war bekannt dafür, immer eine Kopie des „Dongui Bogam“ bei sich zu tragen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde das „Dongui Bogam“ in den Büchergeschäften Pekings, der Hauptstadt der Qing-Dynasty, vertrieben und somit leicht zugänglich gemacht. Nachfolgend findet sich eine Liste mit verschiedenen Ausgaben des „Dongui Bogam“ im vormodernen China und Japan. In Ergänzung zu diesen Ausgaben gibt es zahlreiche Beispiel dafür, dass das „Dongui Bogam“ als diplomatisches Geschenk der Joseon-Dynastie an andere Länder übergeben wurde.
Japan1724 (Japan Kyoho First Edition, 日本享保初刊本) 1799 (Japan Kansei Second Edition, 日本寬政重刊本)China1763 (Qianglong Biyutang Edition, 乾隆壁魚堂刊本) 1766 (Qianling Lingyu Preface Edition, 乾隆凌魚序刊本) 1796 (Jiaqing Dunhuatang Edition, 嘉慶敦化堂刊本) 1796 (Jiaqing Yingdetang Edition, 嘉慶英德堂刊本) 1796 (Jiaqing quchengtang Edition, 嘉慶聚盛堂刊本) 1797 (Jiaqing Dingsi Year Edition, 嘉慶丁巳刊本) 1821 (Qingyunlou Edition, 慶雲屢刊本) 1831 (Zishantang Edition, 資善堂刊本) 1831 (Daoguang Fuchuntang Edition, 道光富春堂刊本) 1847 (Daoguang Chongshuntang Edition, 道光崇順堂刊本) 1885 (Guangxu Jiyou Year Edition, 光緖己酉刊本) 1885 (Baofang’ge Edition, 抱芳閣刊本) 1877 (Guangxu Jinwentang Edition, 光緖近文堂刊本) 1889 (Guangxu Jiangzuo Editon, 光緖江左刊本) 1890 (Saoyeshanfang Wood Edition, 掃葉山房木版本) 1890 (Guangxu Mincuixiang Preface Edition, 光緖閔萃祥序刊本) 1890 (Jiaojingshanfang Edition, 校經山房石印本) 1890 (Jinzhang Tushuju Edition, 金章圖書局石印本) 1890 (Qianqingtang Edition, 千頃堂石印本) 1890 (Guangyi Edition, 廣益石印本) 1908 (Saoyeshanfang Edition, 掃葉山房鉛印本) 1912 (Jinsushuju Edition, 錦素書局石印本) 1917 (Guangyushuju Copy Edition, 廣益書局影印本) 1917 (Jinzhangshuju Copy Edition, 錦章書局影印本)□ Das „Dongui Bogam“ und die koreanische Delegation
1599, nach sieben Jahren Krieg, ging die Beziehung zwischen Joseon/Korea und Japan in eine neue Phase über. Joseon forderte die Freilassung der Kriegsgefangenen und Japan entschuldigte sich für die Invasion. Das Joseon-Reich Koreas entschied sich zur Entsendung von Delegationen in Reaktion auf die formelle Entschuldigung Japans. Seither begannen sich die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verbessern. Unter der Herrschaft von Shogun Tokugawa war es sehr wichtig, Gesandte aus dem koreanischen Joseon zu empfangen, um sein Regime zu stabilisieren. Auf diese Weise gewann er die Anerkennung sowohl seitens der japanischen Bevölkerung als auch seitens der Nachbarländer.
In der Zeit von 1682 bis 1811 erlebte Japan zwölf Mal einen Regimewechsel. Jedes Mal entsandte Joseon eine große Delegation mit mehreren hundert Leuten, einschließlich des Vizeministers der Regierung. Diese Delegationen wurden ursprünglich im Interesse der Rückführung von Kriegsgefangenen entsandt. Allerdings entwickelte sich der Akt der Entsendung von Delegationen im Laufe der Zeit zu einem kulturellen Ereignis, da die Delegierten von Musik- und Tanzgruppen begleitet wurden. Der Weg, den die Delegationsteilnehmer nahmen, ist als bedeutende kulturelle Stätte in Japan bis heute erhalten geblieben. Die Delegationen bestanden auch aus Gelehrten und Medizinern, womit sich für Joseon eine Gelegenheit bot, die koreanische Kultur in Japan bekannt zu machen.
Auf dem Gebiet der Medizin haben sich insbesondere japanische Mediziner landesweit in Gruppen zusammengefunden und koreanische Mediziner befragt. Sie haben die Gesprächsinhalte sogar in Büchern wiedergegeben. Derzeit sind noch über vierzig Dokumente dieser Gespräche unter koreanischen und japanischen Medizinern in Japan erhalten. Der repräsentativste all dieser Dialoge ist einer über das „Dongui Bogam“ und über koreanischen Ginseng. Koreanischer Ginseng war seinerzeit ein teures Gewürz. Japanische Mediziner waren stark daran interessiert, von den Medizinern Joseons mehr über die fortschrittlichen Techniken des Anbaus und über die Ernte von Ginseng sowie über dessen Anwendung zu erfahren. Ebenso wurde das „Dongui Bogam“ nach seinem Erscheinen 1613 in Japan populär. Japanische Ärzte waren nach der Befragung der Joseon-Ärzte sehr neugierig auf das Buch. Die vollständige Fassung des „Dongui Bogam“ wurde neu gedruckt. Es gab einige Bücher, die aus dem „Dongui Bogam“ lediglich die Kapitel über die Kräuter enthielten. Darüber hinaus beschäftigten sich ein Technikbuch von 1718 und eines von 1721 mit der im „Dongui Bogam“ beschriebenen Herstellung von Kräutern und verglich die einheimischen Kräuter Japans systematisch mit denen Koreas. Anliegen dieser Auseinandersetzung war es, die im „Dongui Bogam“ beschriebenen Behandlungsmethoden unter Anwendung japanischer Kräuter zu übernehmen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die den praktischen Wert des „Dongui Bogam“ belegen, nachdem es erstmals veröffentlicht und in Ostasien verbreitet wurde.
* Diese Artikel über das „Dongui Bogam“ wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Korea Institute of Oriental Medicine ermöglicht.