Von Christine Kottig
Unter dem Begriff Xylografie können sich die wenigsten etwas vorstellen. Dabei steht dieser sperrige Fachbegriff für die bekannte Technik des Holzschnittes. Heute meist nur noch zu künstlerischen Zwecken verwendet, war es vor der Einführung von technischen Innovationen, wie den beweglichen Metalllettern, eine der wenigen Alternativen zu den zeitaufwendigen Handschriften, die nur Einzelexemplare hervorbrachten. Mit der Xylografie gelang es, dasselbe Werk in vielfacher Ausführung drucken zu können, Schriften günstig herzustellen und somit Bildung unter das Volk zu bringen.
Wie in umliegenden Ländern auch, war der Holzschnitt in Korea die zentrale Technik des Kunst- und Schrifthandwerks und existierte nachweislich bereits in der Zeit der Drei Königreiche (삼국 시대, Mitte des 1. Jhd. v. Chr. bis 668). Aus Korea stammt sogar einer der ältesten erhaltenen Holzschnitte der Welt. Die buddhistische Schrift namens “Große Dharani Sutra” (kor. 무구정광대다라니경) ist vermutlich zwischen Anfang und Mitte des 8. Jahrhunderts gedruckt worden und wurde 1966 bei Restaurierungsarbeiten an der Steinpagode Seokgatap (석가탑) in Bulguksa Tempel (불국사) gefunden. Wie wichtig die Technik der Xylografie für Korea und vor allem die Ausübung des Buddhismus war, zeigt die Tripitaka Koreana (팔만대장경). Im Haeinsa Tempel (해인사) im Süden der Halbinsel wird die eindrucksvolle Sammlung von 81.258 Holzschnittplatten mit buddhistischen Schriften aufbewahrt. Die Platten sind trotz ihrer Entstehungszeit von vor 750 Jahren in einem ausgezeichneten Erhaltungszustand. Seit 1962 ist die Sammlung Nationalschatz Südkoreas und seit 1995 UNESCO-Weltkulturerbe.
Auch in der Kunst war der kostengünstige Holzschnitt sehr beliebt. Ähnlich wie in Europa konnten Werkstätten ihre Kunst schneller in größeren Mengen herstellen und somit auch für das einfache Volk zugänglich machen, denn diese statteten ihre Wohnräume gerne mit symbolisch aufgeladenen Drucken aus. Während der Holzschnitt-Boom in Europa mit der Einführung von anderen Techniken wie dem Kupferstich oder der Radierung allmählich an Bedeutung verlor, behielt die Xylografie in Korea sein Ansehen bei. Bis in das 20. Jahrhundert hinein griffen viele Künstler zu der Technik.
Über die Autorin:
Christine Kottig, Masterstudentin der Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Sie absolvierte 2024 ein Praktikum im Koreanischen Kulturzentrum und hat ein ausgeprägtes Interesse an der koreanischen Kultur von der Prähistorie bis zur Gegenwart.