Kultur

30.04.2014

Secret Sunshine (2007) ("Milyang") Unter der Regie von Lee Chang-dong

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Die Hauptdarstellerin Shinae, gespielt von Jeon Do-yeon, und ihr Sohn sind auf dem Weg nach Milyang in Gyeongsangnam-do (südliche Gyeongsang-Provinz), der Heimatstadt ihres verstorbenen Ehemanns. Währen der Reise haben sie eine Autopanne und werden von Jongchan, gespielt von Song Gang-ho, aufgegriffen.

Jongchan ist ihr dabei behilflich, ein kleines Zimmer zu finden, in dem sie mit ihrem Sohn leben und den Kindern der Nachbarschaft Klavierstunden geben kann. So beginnt sie ein neues Leben in einer neuen Stadt. Jongchan hilft ihr in vielerlei Hinsicht, sich in der neuen Stadt einzuleben. Eines Abends isst sie mit den Nachbarn bis spät in die Nacht. Als sie nach Hause zurückkehrt, kann sie ihren Sohn Jun nicht finden. Kurz darauf erhält sie einen Anruf mit einer Lösegeldforderung.

Es stellt sich heraus, dass der Entführer Shinae seit langer Zeit im Auge hatte. Er beobachtete sie, wie sie Immobilien prüfte und hielt sie für eine reiche Frau. In Wahrheit jedoch hat Shiane nur Ersparnisse in Höhe von rund 87 Millionen Won. Dann wird Jun tot aufgefunden. Der Kidnapper entpuppt sich als Vorsitzender der Akademie für öffentliches Sprechen, die Jun besuchte.

Eine evangelische Nachbarin, die Shinae in tiefe Qualen stürzen sieht, lädt sie zur Kirche ein, wo sie anfängt zu glauben, dass ihre Psyche geheilt wird. Shinae beschließt, dem Kriminellen zu vergeben und besucht das Gefängnis, in dem er inhaftiert ist.

Sie ist jedoch schockiert, als er sagt, dass er bereits Reue gezeigt habe und glaube, Gott hätte ihm bereits vergeben. Daraufhin besucht Shinae die Kirche, unterbricht das Treffen und singt sehr laut das Lied „Das ist eine Lüge“. Sie beginnt, mit dem Ehemann der evangelischen Nachbarin zu flirten und versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie möchte die Heuchelei Gottes verspotten und wird schließlich selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus besucht sie einen Friseursalon, in dem sie zufällig auf die Tochter des Entführers und Mörders trifft. Die letzte Szene zeigt sie mit halb-geschnittenem Haar aus dem Friseursalon fliehen.


Kommentar der Filmkritikerin und Professorin der Dongguk-Universität Yoo Ji-na

„Secret Sunshine“, koreanisch „Milyang“ ist der Name einer kleinen Stadt, in die die Protagonistin Shinae zieht und die die Szenerie der ganzen Geschichte bildet. Regisseur Lee Chang-dong adaptierte die Kurzgeschichte „Stories of Insects“ (inoffizielle Übersetzung) des Autors Lee Cheong-jun, die eine große Bandbreite menschlicher Wirrungen nachzeichnet. Im Film deckt Regisseur Lee die Geheimnisse und Wünsche Shinaes auf und entwickelt die Geschichte um zu zeigen, dass was sie zu erleiden hat, schlicht ihr Schicksal ist.

Milyang ist die Heimatstadt von Shinaes verstorbenem Ehemann. Sie zieht von Seoul nach Milyang um mit ihrem Sohn zu leben. Shinaes Leben in der kleinen Stadt ist sehr anders. Als ihr Mann starb beschloss sie, seinem lebenslangen Wunsch zu folgen, dass ihr Kind auf dem Land, näher zur Natur aufwachsen solle. Sie sieht wie eine freundliche, weise, sanftmütige Ehefrau aus, die zu ihrem Ehemann aufschaut. Gleichzeitig ist sie ihrem Sohn gegenüber stets heiter und fröhlich. Sie ist fest drauf bedacht, den Wünschen ihres gestorbenen Ehemannes zu entsprechen und widmet ihr ganzes Leben dem Erfolg ihres Sohnes. Mit patriarchalen Begriffen umschrieben, ist sie der Idealtyp einer Ehefrau, nach dem die Gesellschaft sucht.

Selbst in der Krise, als sie ihren Ehemann verlor, blieb sie die „weise Mutter und milde Ehefrau“, wie es von der Gesellschaft erwartet wurde.

In der ersten Hälfte des Films gibt es eine lange Szene, die einen klaren, blauen Himmel zeigt. Ein breiter Sonnenstrahl fällt durch das Autofenster. Dem englischen Titel des Films entsprechend, lässt die Szene erahnen, was kommen wird: die geheimen Seiten des Sonnenscheins sind seine Schatten, die er wirft. Zur gleichen Zeit weist der Film auch auf die Welt des Christentums hin, einer Religion mit starken Hell- und Dunkel-Bildern und in der Gott mit dem Himmel assoziiert wird. Der Film widersetzt sich jedoch bald der Religion und reduziert sie auf formale Glaubenssysteme. Diese Bilder des Himmels lassen sowohl die Aspekte der Kamera erahnen als auch die Doppelzüngigkeit von Shinae selbst.

Als er ihr hilft, das Auto zu reparieren, stellte Shinae Jongchan , der sein ganzes Leben in Milyang verbracht hat, eine Frage: „Wie ist Milyang so?“. Er antwortet: „Es ist einfach. Nichts besonderes“.

In Milyang richtet sie in ihrem Haus einen kleinen Unterrichtsraum ein, in dem sie Klavierstunden geben kann und beginnt zu unterrichten. Ihren Sohn schickt sie zu einem Kurs für öffentliches Reden. Das Mutter-Sohn-Duo gewöhnt sich langsam an die fremde Stadt. Manchmal helfen sie in einer Boutique der Nachbarschaft beim Umdekorieren, um diese ein bisschen aufzuhellen - grade so als wollten sie zeigen, dass sie auf der Hauptstadt kommen. Außerdem schauen sie sich in der Stadt um und sammeln Informationen über Immobilienpreise, so als ob sie bald Eigentum erwerben wollten.

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Jedoch liegt die Wahrheit anderswo. Ihr jüngerer Bruder eröffnet ihr, dass ihr verstorbener Ehemann sie betrogen und eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt hat. Von diesem Moment an scheint Shinae verändert. Sie sieht zweifelnd und mit ihrem Leben recht unzufrieden aus. Im weiteren Verlauf des Filmes wird sie als heuchlerisch porträtiert, als jemand der vorgibt, Ehemann geliebt worden zu sein, plötzlich zur Witwe wird und nun den Wünschen des Verstorbenen anhängt.

Ausgestattet mit dieser „Doppelzüngigkeit“ täuscht sie vor, eine moderne, gebildete, weise und kluge Frau zu sein, als Ehefrau und auch als Mutter. Es ist jedoch nicht einfach, die Menschen von Milyang zu blenden. Sie versucht zu sagen „Ich bin eine Witwe, aber es geht mir gut“. Die evangelischen Nachbarn jedoch, die beide als Apotheker arbeiten, überzeugen sie, zur Kirche zu kommen, da alles was sie benötige, Gott sei. Der Besitzer der benachbarten Boutique, dem sie einige Tipps gab, redet hinter ihrem Rücken und bezeichnet Shinae als wahre Spinnerin. Nur Jongchan, der seine eigene Werkstatt besitzt, ist freundlich zu ihr, läuft mit ihr umher, hilft ihr und ist bemüht, einen positiven Eindruck zu machen.

In diese Atmosphäre, in der manches verborgen, versteckt und unklar erscheint, schlägt das Schicksal plötzlich zu. Shinaes Sohn wurde entführt und schließlich tot aufgefunden. Sie muss sogar ihren Sohn loslassen, der ihr ihre Identität garantierte. Ihre Trauer und ihr Groll steigern sich ins Extreme. Der Entführer ist der Direktor der Sprach-Akademie, die ihr Sohn besuchte. Er plante das Verbrechen, nachdem sie bei einer früheren Schulveranstaltung dem Direktor gegenüber äußerte, ein Stück Land erwerben zu wollen. Sie gab vor, wohlhabend zu sein aus Angst, dass die Anderen sonst womöglich auf sie herabschauen könnten. Der Preis für dieses Verhalten jedoch ist brutal.

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Nun wird Shinae zur erbärmlichsten und bemitleidenswertesten Frau der Welt. Milyang ist so eine kleine Stadt, in der die Leute alles übereinander wissen, so sogar die Anzahl der Löffel in Nachbars Küchenschublade. Sie ist in dieser kleinen Stadt allein gelassen. Mit dem Versuch, den Betrug ihres verstorbenen Mannes als eine patriarchische Fantasie zu verschleiern und durch die Besessenheit, ihrem Sohn ihre Liebe zu zeigen, gleitet Shinae durch das evangelische Pharmazeuten -Paar langsam in die Kirche. Sie wird eine religiöse Fanatikerin, die beginnt den Namen Jesus zu rufen und auf der Straße nach Konvertiten Ausschau zu halten. Schließlich gesteht sie während eines Kirchentreffens die bitteren Prüfungen ein, die sie in ihrem Leben erfahren musste. „Vielleicht hatte ich diese Nöte, weil Gott diese Begegnung zwischen ihm und mir arrangiert hat“, murmelt sie. Dies unterstützt ihre Behauptung, dass „alles von Gott bestimmt ist“. Durch den Glauben findet sie Mut und es gelingt ihr, die Herausforderung zu meistern, dem Verbrecher zu vergeben, indem sie Gottes Liebe dafür nutzt. Als sie ihn jedoch im Gefängnis trifft, ist er bereits Christ geworden, begrüßt sie mit einem strahlendem Lächeln und sagte, dass Gott im bereits vergeben habe. Das ist ein weitere großer Schock für sie.

Shinae blickt mit zur Grimasse verzogenem Gesicht zum blauen Himmel empor. Sie lehnt Religion ab, die Narben, die sie von ihrem repressiven Vater erhalten und verweigert die Existenz Gottes, der dem Entführer vergeben hat, bevor sie dazu in der Lage war. Sie beginnt mit dem Ehemann der Apothekerin zu flirten und stört die andächtige Stimmung der Kirche indem sie das Lied „This is a lie“ spielt. Shinae hat niemanden, bei dem sie über den Wahn ihres Schmerzes, ihre Schlaflosigkeit und ihren Groll klagen kann. Verzweifelt bewegt sie sich Richtung Selbstzerstörung.

Die Ironie will es, dass die Friseurin, die sie im Friseursalon nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrischen Klinik trifft, die Tochter des Entführer ist. Sie flieht aus dem Friseurgeschäft. Ein Büschel Haare fällt in einen Abfluss des grob gestrichenen Zementbodens. Es steht in deutlichem Kontrast zu den weißen Wolken, die am klaren blauen Himmel treiben.

Dort ist der strahlende Himmel, hier die Realität, weggeworfen auf den Boden. Es ist eine Frage, sich der Realität zu stellen und ihre eigene Existenz zu akzeptieren. Dies zeigt die Kluft zwischen der Vergebung Gottes und der der Menschen, die nicht gleich sein kann. Was ist Wahrheit und Vergebung? Was ist das innere Herz und das äußere Auftreten? Der Film lässt die Frage offen. Ist es möglich, das Leben auszutricksen und ihm zu entfliehen?

- Betrachtet von Yoo Ji-na, Filmkritikerin und Professorin der Dongguk Universität

*Diese Artikelreihe wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Koreanischen Filmarchiv möglich.

* Klicken Sie hier für den ersten Teil unserer „Serie Korea.nets Liste der Filme, die man unbedingt gesehen haben muss“

Übersetzung: Anja Kellner