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              JUNG-HYUK KIM SCHICKT IN „DEIN SCHATTEN IST EIN MONTAG“ EINEN PROFESSIONELLEN DELETER LOS


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Haben wir nicht alle etwas, das wir nach unserem Tod gerne gelöscht oder vernichtet wüssten? Unsere Tagebücher und Liebesbriefe zum Beispiel, die Facebook-Accounts, die intimen Chatverläufe und die delikaten Fotos? Natürlich könnte man all dies frühzeitig verbrennen, schreddern oder löschen. Doch trennt sich niemand gern von privaten Dokumenten, zumal man ja auch nicht weiß, wann man wirklich sterben wird. Müsste man, strenggenommen, nicht eigentlich schon heute alles vernichten?


Jung-hyuk Kim: „Dein Schatten ist ein Montag“

Jung-hyuk Kim: „Dein Schatten ist ein Montag“

Jung-hyuk Kim
„Dein Schatten ist ein Montag“
Kriminalroman
Aus dem Koreanischen von Paula Weber
287 Seiten
frz. Broschur, dt. EA
ISBN 978-3-944751-20-7
20,00 €
©️cass Verlag, Bad Berka

Die professionelle Alternative wäre ein Deleter. Ihn könnte man damit beauftragen, nach dem eigenen Ableben diskret vorbeizuschauen und gezielt aufzuräumen. So einen wie Dongchi Gu, die Hauptfigur in Jung-hyuk Kims Krimi „Dein Schatten ist ein Montag“. Dongchi Gu hat sein Büro im so genannten Crocodile Building in einem in die Jahre gekommenen Viertel in Seoul, das grundsaniert werden soll. Das Crocodile Building hat einen bestialischen Eigengeruch, den die Bewohner mit Stoßlüften, Raumspray oder Küchendüften zumindest zeitweise zu mildern versuchen. Im Souterrain gibt es ein italienisches Restaurant, darüber einen Eisenwarenladen, eine Hapkido-Schule und ein Internetcafé. Dongchi Gu hat sein Büro im dritten Stock. Meist hat er wenig zu tun und viel Zeit, italienische Opern zu hören.

Die Geschichte beginnt damit, dass ein neuer Auftraggeber namens Yongmin Lee bei Gu vorbeikommt, um einige Speichermedien deleten zu lassen, die sich im Besitz eines Herrn Bae befanden, der unlängst von einem Hochhaus stürzte. Von besonderem Interesse ist dabei ein verschwundenes Tablet, auf dem sich Bildmaterial befinden soll, das den Generaldirektor eines Entertainment-Konzerns in große Schwierigkeiten bringen würde. Geld spielt keine Rolle, doch die Beschaffung des Tablets erweist sich als ausgesprochen schwierig, zumal die Kampfsportgruppe Wonsudojang wiederholt dazwischenfunkt, die einst einen Taekwondo-nahen Ehrenkodex besaß, inzwischen aber nicht mehr viel mehr ist als eine mietbare Schlägertruppe. Weil Bae womöglich ermordet wurde, tut sich Gu mit Polizeiinspektor Kim zusammen und ruft auch den stark behaarten Privatermittler Iri zur Hilfe. Gemeinsam versuchen sie, das brisante Tablet aufzuspüren. Diese Jagd aber gestaltet sich schwierig, da dabei etliche Figuren – weit mehr als die bisher genannten – miteinander in Konflikt geraten. Jung-hyuk Kim gelingt es, sie alle zu einem rasanten „Ballett de Tablet“ zu choreographieren, das zum Ende des Romans hin noch an Geschwindigkeit zunimmt.

Womit eine Stärke des Romans benannt ist, die aber zugleich eine Schwäche ist. Jung-hyuk Kim (*1971) kann gewieft konstruieren und schlau plotten – in „Dein Schatten ist ein Montag“, seinem dritten Roman, übertreibt es damit aber auch ein wenig. Das logische Gerüst der Jagd nach dem Tablet drängt sich im Laufe des Romans immer stärker in den Vordergrund und dominiert die Geschichte stark. Die leider fast ausschließlich männlichen Figuren regredieren dabei zu Erfüllungsgehilfen des vom Autor entworfenen Krimiplots. Dadurch wirkt die Handlung zu stark konzipiert und ist auch – vor allem zum Ende hin – zu kompliziert angelegt. Außerdem sind so viele Figuren involviert, dass der fehlerfreie Ablauf der Storylogistik all jene Energien frisst, die Jung-hyuk Kim besser in die charakterliche Ausarbeitung der wichtigsten Figuren gesteckt hätte. Dies hätte auch die Motive für ihr krimitechnisches Handeln nachvollziehbarer gemacht.

An Schreibtalent dafür mangelt es Jung-hyuk Kim nicht. Ganz herausragend sind ihm etwa die zahlreichen Dialoge gelungen, die diesem Roman Esprit und eine geradezu mobilehafte Beweglichkeit verleihen. Da wird debattiert und palavert, da wird gehandelt und geschachert, da wird gefrotzelt und geflachst, dass es eine Freude ist. Die deutsche Übersetzung hat in diesen Passagen besonders viel Witz. Fast scheint es, als habe Kim, der ganz beiläufig auch eine Drehbuchautorin im Crocodile Building einquartiert und zu Gus Nachbarin macht, beim Schreiben eine spätere Verfilmung im Hinterkopf gehabt. In ein Drehbuch ließe sich dieser dialogstarke Roman leicht verwandeln; er ist im wahrsten Sinne des Wortes filmreif.

Kein Wunder, denn Kim hatte beruflich lange mit Filmen und Comics zu tun, und er hat selbst gezeichnet, bevor er mit dem Schreiben begann. Dies merkt man auch den Räumen in seinem Krimi an. Diese Räume sind von schrulliger Schönheit, etwa das Crocodile Building mit seinem infernalischen Geruch, Generaldirektor Chons Riesenbüro mit eigener Tenniswand oder das von unzähligen Haustieren bevölkerte Kellerkontor vom haarigen Iri. Kim zeigt hier ein gestalterisches Talent, das auch eine stark poetische Note hat. Dieses Talent müsste er bloß seinen Figuren noch stärker zugutekommen lassen. Wichtig wäre es etwa gewesen, Drahtzieher Chons Seelenleben differenzierter zu betrachten und auch Dongchi Gus Freundschaft zu Inspektor Kim mehr Raum zu geben, die nicht nur Gus kriminalistische, sondern auch seine emotionale Beteiligung an der Tablet-Jagd erklärt. Auch die Frage, warum Gu kaum etwas über sein eigenes Vorleben preisgibt und sogar Anderen beim Löschen ihrer Vergangenheiten hilft, drängt sich auf. Kurzum: Gute Ideen sind Legion. Jung-hyuk Kim müsste sie nur noch etwas stringenter ausarbeiten. Gu, Chon und Bae hätten es verdient.

 

Foto von Katharina Borchardt

Foto von Katharina Borchardt

Foto: privat

Katharina Borchardt

Literaturredakteurin bei SWR2 und Mitglied der Jury der Bestenliste "Weltempfänger". Aufgrund ihrer Verdienste um die Förderung der koreanischen Literatur im Ausland ist sie Preisträgerin des 6th LTI Korea Outstanding Service Award, der im Dezember 2018 an sie vergeben wurde.