Ausland


FILM

DIE UNERTRÄGLICHE SCHWERE DES WEIBLICHEN SEINS

Filmrezension: Kim Ji-young, born 1982 von Kim Do-young 

Eine Frau mit einem Allerweltsnamen, die ein Allerweltsleben führt: Die Titelheldin Kim Ji-young steht stellvertretend für viele Frauen in Südkorea, auf der Welt. Auch die Romanautorin Cho Nam-Joo, und Kim Do-young, die Regisseurin der Verfilmung erzählen ihre Geschichte ganz bewusst im Allerweltstonfall, als sachliche Aneinanderreihung von kleinen Zumutungen, die sich zu einer tiefgehenden Erschütterung akkumulieren.

© Lotte Entertainment

Eine junge Frau (Jeong Yu-mi als Kim Ji-young), die erschöpft wirkt, steht auf dem Balkon und genießt die Sonnenstrahlen. Sie wirkt entrückt, und es dauert eine Weile, bis die „Mama“-Rufe ihrer kleinen Tochter aus dem Wohnzimmer hinter dem Glas der Balkontür zu ihr durchdringen. Etwas später sitzt sie mit einem Coffee-to-go-Becher neben dem Kinderwagen auf einer Parkbank, und wieder wird dieser kurze Moment introspektiver Ruhe gestört, dieses Mal durch eine Gruppe Berufstätiger, die sich in der Mittagspause abfällig über sie äußern: „Ich wünschte, ich könnte auch so auf der Parkbank Kaffee trinken, auf Kosten meines Ehemannes,“ frotzelt ein junger Mann - nicht mal hinter vorgehaltener Hand geflüstert, sondern laut und deutlich ausgesprochen, als wäre sie gar nicht da, oder doch eher, als wäre sie Nichts. Das ist nur eine von vielen Szenen, in denen die 1982 geborene Kim Ji-young als Frau und Mutter diffamiert wird, weil sie ja angeblich ein so leichtes Leben habe. Sogar als „Mama-Wurm“ wird sie einmal beschimpft. Ein Kind großzuziehen, gilt nicht als Wert und wird ganz selbstverständlich den Frauen zugeschrieben: „Kinder brauchen ihre Mütter zuhause“ feixt einmal der Chef in der Konferenz, andernfalls sei mit Problemen zu rechnen, mit rebellischen Söhnen. Die angesprochene Abteilungsleiterin kontert noch schlagfertig: „Warum nutzen wir das nicht gleich für unsere Werbekampagne? Vitamine für Kinder, die nicht von ihren Müttern großgezogen wurden, mit einem mütterlichen Herzen zubereitet.“ Doch dann holt sie selbst auch wieder nur Männer ins Leitungsteam - bei Frauen wisse man ja nie, ob die Familienplanung in die Quere kommt. Und sie selber habe seit langem aufgegeben, eine gute Ehefrau, eine gute Mutter zu sein.

Kim Ji-young ist niedergeschlagen und reizbar. Von postnataler Depression ist die Rede, gar davon, dass sie besessen sei. Sie müsse in Therapie oder doch besser gleich weggesperrt werden – so die Empfehlung unter Kollegen, von Mann zu Mann. Dass sie womöglich einfach nur damit hadert, jeden Tag in denselben Abläufen gefangen zu sein, dass sie sich nach Anerkennung im Beruf und Karriere-Erfolgen sehnen könnte, liest vor allem der Zuschauer aus ihren ernsten, traurigen Augen und ihren blassen Zügen. Die Alltagszumutungen und der Frust, den sie schüren, lösen einen Erinnerungs- und Reflexionsprozess in Kim Ji-young aus. In Gedanken durchstreift sie Stationen ihres Lebens, in der Kindheit, der Jugend, in der Berufswelt, in ihrer Beziehung, ihrer Ehe und ihrer Elternschaft, im Verhältnis zur Mutter, zum Vater, zu den Geschwistern, später zur Schwiegermutter. Dabei durchläuft sie nicht nur die eigenen Lebensstationen, sondern auch die verschiedenen Generationen von Frauen, die vor ihr dasselbe erlebt haben, sie spricht im Tonfall und Duktus der Mutter, der Großmutter. Als westlicher Zuschauer muss man wachsam lauschen, um die unterschiedlichen Stimmlagen zu erkennen, um die Schizophrenie zu entschlüsseln, in der Kim Ji-young gefangen ist. 

Rückblickend sammelt sie Indizien für die allgegenwärtige Diskriminierung der Frau in der koreanischen Gesellschaft. Doch so wie ihre männlichen Kollegen Park Chan-wook oder Bong Joon-ho erzählt auch die Schauspielerin und Regiedebütantin Kim Do-young, eine der wenigen Regisseurinnen des Landes, ausgehend von den spezifisch koreanischen Verhältnissen eine universelle Geschichte, deren Wahrheiten auf der ganzen Welt greifen. Jede Frau hat die eine oder andere Form der Herabwürdigung, des Machtmissbrauchs, der Demütigung schon irgendwann einmal erlebt. Da ist der Arzt, der durchblicken lässt, dass er nicht wirklich versteht, warum ihr Handgelenk schmerzt, wo doch die Maschinen den Reis kochen und die Wäsche waschen. Da ist der Chef, der sich im Versammlungsraum laut und ausgreifend präsentiert, während die weiblichen Angestellten sich leise und devot zurückhalten. Da ist der junge Mann, der Kim Ji-young als Schülerin im Bus übergriffige Avancen macht. Da ist ihr Vater, der sich nicht über den zudringlichen jungen Mann aufregt, sondern über seine Tochter, die einen zu kurzen Rock trage und die unnötig weit entfernte gewählt habe. Die Vitamin-Aufbau-Präparate bestellt er ganz selbstverständlich nur für seinen Sohn und nicht für seine viel labilere Tochter. Immer wieder sind die Mädchen angehalten, ihre Lebensträume zugunsten ihrer Brüder zurückzuschrauben. Und dann ist da noch der Füller, den sich Kim Ji-young als Symbol ihrer Schriftstellerambitionen so sehnlichst wünschte, den aber ganz selbstverständlich ihr Bruder bekommt. Schon indem man diese Szenen aus dem unaufgeregten Fluss des Films löst, betont man sie eigentlich viel zu stark. 

© Lotte Entertainment

Bisweilen muten die gesellschaftlichen Reaktionen, denen Frauen und Mütter hier im privaten und im öffentlichen Raum ausgesetzt sind, frappierend rückständig und hier und da auch ein bisschen zu plakativ, fast klischeehaft an: die Dreistigkeit, mit der Männer unwidersprochen ihre Claims abstecken. Der vorauseilende Gehorsam der Frauen, die diese Vorherrschaft noch bestärken. Die Selbstverständlichkeit, mit der von Schwestern, Ehefrauen, Müttern und Angestellten erwartet wird, dass sie für ihre Brüder, Ehemänner und Söhne zurückstecken. In Korea gab es heftige Kontroversen, um das Buch, das millionenfach verkauft und in viele Sprachen übersetzt wurde, und um seine Verfilmung, die rund 3,7 Millionen Koreaner in die Kinos gelockt hat. Vor allem Männer setzten sich zur Wehr, riefen gar zum Boykott auf. Prominente, die sich öffentlich zu Buch oder Film bekannten, waren massiven Angriffen ausgesetzt. Auch Jeong Yu-mi und Gong Yoo, die das Ehepaar im Film so feinfühlig spielen, mussten mit Anfeindungen rechnen und um ihren Ruf fürchten, fanden das Thema aber zu wichtig, um das Risiko nicht einzugehen.

Umso erstaunlicher sind diese heftigen Reaktionen, da es gar nicht die Männer sind, denen in dieser Geschichte der Prozess gemacht wird. Vielmehr ist es das ganze toxische System, das nicht nur die Frauen zur Erfüllung altmodischer Erwartungen zwingt, sondern auch die Männer in festzementierte Vorstellungen von Männlichkeit. In der Tat wird die systemische Diskriminierung ja gar nicht nur von Männern gefordert, sondern mindestens genauso vehement von den Frauen gestützt, etwa der Schwiegermutter, die ihren Sohn stolz einen modernen Mann nennt, und im nächsten Moment die Schwiegertochter zur Schnecke macht, weil sie sein Angebot eines Elternjahres annimmt und er damit in seiner Karriere gebremst werden könnte. 

Das Besondere ist, dass in Kim Ji-young, born 1982 immer wieder spürbar wird, dass auch viele Männer mit der ihnen zugewiesenen Rolle ringen. Selten sind sie Unholde, meistens verständnisvoll und lernfähig, so wie vor allem Kim Ji-youngs Ehemann, der ernsthaft nach Möglichkeiten sucht, auch seiner Frau Selbstverwirklichung zu ermöglichen, auch wenn er sich nicht traut, sich dazu vor seinen Kollegen offen zu bekennen. Der Erzählstil, in dem sich Erlebnisse und Erinnerungen geradezu sachlich, fast dokumentarisch aneinanderreihen, ist außerordentlich unaufgeregt. Der ganze Film ist weniger wütende Anklage, als sachliche Bestandsaufnahme von frappierenden Missständen. Nur gelegentlich rastet mal jemand wirklich aus, eine Schwiegermutter, die für ihren Sohn um die Beibehaltung der chauvinistischen Strukturen kämpft, eine Mutter, die in einem verzweifelten, wütenden Ausbruch um die Lebensrechte ihrer Tochter kämpft, die sie selber nie genossen hat. Und am Ende auch die Titelheldin, die sich entschieden gegen die Vorurteile Fremder wehrt. So wird der Film zu einem starken und aussöhnenden Plädoyer für dringend nötige gesellschaftliche Veränderungen, in Korea, in der ganzen Welt. 

Bild von Anke Sterneborg

Bild von Anke Sterneborg

Foto: privat

Anke Sterneborg

Studium Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Publizistik in München und Berlin. Seit 1989 freie filmjournalistische Arbeit u.a. für Der Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung, Focus, epd-Film, rbbKultur. Diverse Veröffentlichungen u.a. in „Filmklassiker“ bei Reclam. Lebt in Berlin.