Ausland

Lange Zeit war Abfall kein großes Problem in Südkorea. Seit dem Altertum schätzte man ein naturfreundliches Leben, und viele Gegenden waren bis zur Zeit nach dem Koreakrieg (1950-1953) noch sehr ländlich. Essensreste und Metall- oder Plastikabfall waren kostbar und wurden wiederverwendet. Erst durch die rasante Industrialisierung und den zunehmenden Konsum wurde vermehrt Müll produziert. Die Betreiber des Zero- Waste-Geschäfts The Picker betonen, dass sich die Koreaner erst über die Müllentsorgung Gedanken machten, als 2018 China aufhörte, Müll zu importieren. Von diesem Moment an formierte sich eine Bewegung, die für Umweltbewusstsein sensibilisierte und aktiv auf Veränderungen in Wirtschaft und Politik drängte. 


Es gibt größere Initiativen wie sistersgarden.org, die frisches Obst und Gemüse von lokalen Bauern unter (weitgehendem) Verzicht auf Plastikverpackungen versenden. Aber auch kleine Geschäfte finden sich mittlerweile an vielen Straßenecken. Ich habe die Betreiber/-innen von 3 Zero-Waste-Läden in und um Seoul befragt, und sie haben mir von ihren Erfahrungen, ihren „grünen“ Hoffnungen und ihrer Kundschaft erzählt.


Nachhaltige Produkte von Wasteupso (Foto: Katrin Maurer)

Das eingangs schon erwähnte, 2016 in dem beliebten Seouler Stadtviertel Seongsu-dong gegründete The Picker war einer der Vorreiter. Vor einigen Jahren hatten die Inhaber noch ein veganes Café mit einer kleinen Ecke, in der man verpackungslose Lebensmittel und nachhaltige Haushaltsgegenstände kaufen konnte. Heute betreiben sie ein komplettes Geschäft für nachhaltige Produkte, einschließlich einer Nachfüllstation, in der man Nudeln, Reis und anderes kaufen kann. Auch Seifen und Shampoo gehören zu dem Sortiment, das auch online zu bestellen ist. Gegründet wurde The Picker, weil die Betreiber hofften, ein umweltbewussteres Konsumverhalten fördern zu können, das korrekte Mülltrennung und -reduzierung vorsieht. Wenngleich durch die Corona-Pandemie die Anzahl der Kunden etwas rückläufig ist, steigt die Nachfrage seit 2016 dennoch kontinuierlich.


Die Gründerin der S.O.A.P Refill Station in Wirye/Seoul erzählt, dass ihr Geschäft vor sieben Monaten ins Leben gerufen wurde, als sie sich aufgrund gesundheitlicher Probleme dazu entschloss, ihren vorherigen Job zu kündigen. Schon vorher hatte sie für Lehrbücher Texte über Umweltprobleme geschrieben und Lösungsansätze präsentiert. Um sich auf die Geschäftsgründung vorzubereiten, befragte sie sogar dreißig Kolleg/-innen und Freund/-innen, aber fand heraus, dass nur wenige von ihnen bereits über das Konzept „Zero Waste“ Bescheid wussten. Dennoch war das Interesse an dem Unbekannten groß, was sie motivierte, die Geschäftsöffnung zu wagen. Anfangs waren es nur wenige Kunden am Tag, aber auch hier steigen die Zahlen trotz der Pandemie weiter an.


Meine dritte Interviewpartnerin war die Gründerin von Wasteupso, einem Zero-Waste-Geschäft in der Bangbae-Gegend von Seoul. Anders als die beiden ersten wird dieser von einer US-Amerikanerin geführt und ist somit auch besonders für all die in Korea lebenden, englischsprachigen Ausländer von Interesse. Neben Pop-ups¹ in ganz Seoul betreibt auch Wasteupso ein Online- und ein Offline-Geschäft. Die Besitzerin hatte vorher in der Provinz Gyeonggi-do im Nordwesten Südkoreas gelebt und war über das Konsumverhalten und das Müllaufkommen in Seoul sehr überrascht, woraufhin sie ihre Geschäftsidee entwickelte. Auch sie berichtet über ein zunehmendes Interesse an dem Konzept.


Auffüllstation für Waschmittel und Weichspüler im Emart in Seongsu
(Foto: Katrin Maurer)

Diesem Interesse ist es auch geschuldet, dass mittlerweile viele Cafés Rabatte geben, wenn Kunden ihre eigenen Behälter mitbringen. Auf Strohhalme wird vielfach komplett verzichtet oder mit Papierstrohhalmen eine Alternative angeboten. Alle drei Geschäftsinhaber/-innen erzählten, dass Metallstrohhalme vor einiger Zeit einen großen Boom erlebten. Die Besitzerin von S.O.A.P. erzählte, dass viele Leute noch glauben, ein nachhaltigeres Leben sei zu teuer und bringe zu viel Aufwand mit sich, daher fange sie klein an. Zahnbürsten aus Bambus, Natur-Luffas², Seifen und Shampoos erfreuen sich daher besonderer Beliebtheit. Die Produkte beziehen alle Läden fast zu 90% aus Korea, nur wenige importieren sie aus Ländern wie z.B. Vietnam, aber es wird darauf geachtet, dass die Produkte dort aus nachhaltiger Produktion kommen. 

Sind Zero-Waste-Läden wie diese also die Lösung für das Müllproblem? Nein, sagen alle drei Inhaber/-innen einstimmig und weisen darauf hin, dass die Kunden zwar ihren kleinen Teil zur Veränderung beitragen können, aber die Regierung und die Wirtschaft im Endeffekt ausschlaggebend sind. Im Gegensatz dazu stellte das Ministerium für Umwelt fest, dass das Thema Zero Waste noch eher eine Sache der Reichen sei und erklärte in einem Bericht der Zeitung The Korea Herald, dass es derzeit die Zero-Waste-Kampagnen besonders in den wohlhabenden Gegenden unterstütze, da der Rest der Bevölkerung oft den Trends der Reichen folge³. Das nähre die Hoffnung, dass die Zero-Waste-Bewegung so auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auf Zuspruch stößt. Die Betreiber/-innen der Zero-Waste-Geschäfte sehen die Sache aber nicht so einfach. The Picker appelliert an Hersteller und hofft auf mehr Umweltbewusstsein von dieser Seite, sowohl bezüglich der Produktion als auch der Verwertung. Man wünsche sich, dass es in Zukunft mehr Second-Hand-Märkte und Reparaturwerkstätten geben wird, damit Produkte, die bereits in Umlauf sind, für lange Zeit benutzt werden können.


Nachhaltige Produkte von The Picker (Foto: Katrin Maurer)

Die Gefahr eines Imageschadens lauert, wenn Produkte als umweltfreundlich ausgegeben werden, es aber nicht sind. Die Skincare-Kette Innisfree hat diese Erfahrung gemacht. Neben einem Recyclingprogramm für ihre Kosmetikbehälter betreibt die Kette in einem restaurierten Hanok [traditionelles koreanisches Haus] im Seouler Stadtteil Bukcheon ein Geschäft, das mit Böden aus recyceltem Plastik ihrer eigenen Produkte ausgestattet ist. Dort können Interessierte Kosmetik in recycelten Behältern kaufen und mehr über die einzelnen Initiativen dieses umweltbewussten Unternehmens erfahren. Dennoch musste sich Innisfree kürzlich rechtfertigen, als eine als „Paper Bottle“ deklarierte Flasche als Plastik-Flasche entlarvt wurde. Leider haben solche Fauxpas oft genau den gegenteiligen Effekt und befördern ein Misstrauen gegenüber einem Unternehmen, das im Verdacht steht, Umweltbewusstsein nur als Marketingstunt zu betreiben. 


Dennoch sind sich alle drei Geschäftstreibenden sicher, dass es positive Initiativen sowohl innerhalb der Gesellschaft, als auch auf Regierungs- und Unternehmerseite gibt. Die Besitzerin von Wasteupso betonte, dass viele Koreaner bereits nachhaltig handeln, ohne es zu wissen. Einkäufe werden oft in Kartons verpackt, die Supermarkketten gratis zur Verfügung stellen. Auch die Plastiktüten, die in den Supermärkten angeboten werden, dienen gleichzeitig als Mülltüten. Die Supermarkt-Kette Emart ist derweil auch auf den Geschmack gekommen und hat in einigen Filialen Nachfüllstationen für umweltfreundliche Waschmittel und Weichspüler eingerichtet. 


Es gibt also Bewegung in die richtige Richtung, und es scheint, als trügen die kleinen unabhängigen Läden dazu bei, die Bevölkerung von einem nachhaltigeren Lebensstil zu überzeugen⁴ - gute Gründe, hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken.


¹ Pop-up-Stores sind zeitlich befristet betriebene Geschäftsmodelle, die sich oft in Kaufhäusern oder Einkaufsstraßen finden.
² Luffa: Eine Gattung der Kürbisgewächse
³ http://www.koreaherald.com/view.php?ud=20210324001151 (The Korea Herald, 26.03.2021)
⁴ Die hier näher in Betracht genommenen Vorreiter informieren über Instagram und organisieren regelmäßige Veranstaltungen und Aktionen zum Thema „Zero Waste“ und Nachhaltigkeit: @kwpa_sistersgarden, @thepicker, @soaprefillstation_wirye und @wasteupso_thezerowasteshop

Teaser-Bild Homepage: Katrin Maurer

 

Bild von Katrin Maurer

Bild von Katrin Maurer

Foto: Saulo Aroca


Dies ist ein Beitrag des Online-Magazins "Kultur Korea" 

Katrin Maurer

hat in Tübingen Koreanistik studiert und ist im Anschluss für ihren Master nach Korea gezogen. Seit 2017 arbeitet sie als Lektorin für Videospielinhalte in Seoul.