Ausland


„Der Westen will Idole, die ihre eigenen Geschichten erzählen“


Im Gespräch mit Thomas Sommer, Mitbegründer von SG Entertainment


Thomas Sommer ist Franzose und Mitbegründer der von Europäern geführten K-Pop-Agentur SG Entertainment. Sie unterstützt Künstler:innen in Südkorea dabei, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln und auf der Bühne zu verkörpern – aus koreanischer Sicht ein unkonventioneller Ansatz. Ein Interview über neue Perspektiven in der Musikindustrie, mentale Gesundheit und kulturelle Brücken.


Herr Sommer, wie kommt man auf die Idee, als Franzose eine K-Pop- Agentur in Seoul zu gründen?


Mein Geschäftspartner Joon Hae Spielmann, den ich seit der Schulzeit kenne, kam damit auf mich zu. Er ist koreanischer Abstammung, wurde von Franzosen adoptiert und wuchs bei Eltern auf, die in der Kultur- und Medienbranche arbeiten. Als die Hallyu-Welle in Frankreich ankam, produzierte Joon Hae bereits professionell Musik, und als K-Pop immer populärer wurde, schlug er vor, Konzepte aus dem Westen nach Fernost zu bringen, um die Erwartungen eines westlichen Publikums an koreanische Künstler:innen besser zu erfüllen und um mehr interkulturelles Verständnis zu schaffen. Ich habe glücklicherweise die Möglichkeit ergriffen und mich auf der anderen Seite der Welt in dieses Abenteuer gestürzt. Es ist aufregend, hier in Seoul Talente dabei zu unterstützen, ihre persönlichen Visionen zu entwickeln und zu erkennen, was sie als Menschen und als Künstler ausmacht – und wie sie ihre Fähigkeiten und Karrieren darauf aufbauen können.

Thomas Sommer (*1989 in Straßburg, r.) mit seinem Geschäftspartner Joon Hae Spielmann (l.).

Thomas Sommer studierte Politikwissenschaften an der Universität Straßburg und Betriebswirtschaftslehre an der Essec Business School Paris. 2018 gründete er die K-Pop-Agentur SG Entertainment in Seoul. Seit 2019 ist er in Korea aktiv.

(Fotos: SG Entertainment) 

Machen das koreanische Agenturen nicht?

Die koreanischen Firmen fokussieren sich auf die Hard Skills, also auf das, was junge Menschen offensichtlich mitbringen müssen, um vor allem auf dem asiatischen Markt erfolgreich zu sein. Dazu gehört unter anderem das Tanzen, Singen und gut auszusehen. Das ist mit hartem Training und extremem Stress verbunden – und kann schlimme Folgen für die Gesundheit haben. Mit unserem westlichen Hintergrund setzen wir andere Schwerpunkte und konzentrieren uns mehr auf Soft Skills, was in unserem Fall vor allem die persönliche Entwicklung betrifft. Uns ist wichtig, dass Künstler:innen auf ihre mentale Gesundheit achten und selbstbewusst durchs Leben gehen. Wenn jemand unter dem Druck zusammenbricht, bringt das niemandem etwas.

Es geht also um eine neue Sichtweise in der Musikindustrie?

Es wäre sinnlos, nach Korea zu gehen und Dinge zu tun, die andere Agenturen viel besser können. Es geht uns nicht darum, in Konkurrenz zu treten, sondern einen neuen Ansatz, eine andere Perspektive in die Industrie zu tragen. Wir wollen Vorbilder entwickeln, die anderen überall auf der Welt helfen, sich sicher zu fühlen, mit sich selbst zufrieden zu sein, die ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Wir sind überzeugt, dass der Westen Idole will, die nicht nur das tun, was von ihnen verlangt wird, sondern die ihre eigene Vision verkörpern und ihre eigenen Geschichten erzählen.





Die Sängerinnen KIM Jiyoon, KIM Jiyeon, LEE Chaeyeon, LEE
Yerin (v.l.n.r.)

Korea ist ein traditionelles Land, und die Musikindustrie hat eine lange Geschichte. Akzeptiert die Gesellschaft diesen neuen, westlichen Ansatz?

Jede neue Idee wird skeptisch betrachtet, das ist ganz natürlich. Es ist auch ganz normal, dass wir uns beweisen müssen. In Korea geht es mehr um den Erfolg einer Idee, als um die Idee an sich. Wir arbeiten bereits mit Künstlern, die sich für unsere Methoden interessieren, und ich bin zuversichtlich, dass wir noch mehr Menschen überzeugen werden. Denn um erfolgreich zu bleiben und sich langfristig unter westlichen Stars etablieren zu können, braucht die südkoreanische Industrie das Verständnis dafür, was den westlichen Musikmarkt ausmacht und wie er funktioniert. Wir haben viel erreicht, und ich sehe uns auf einem guten Weg, wir stehen aber erst am Anfang. Mal so gefragt: Warum sollten wir in Korea sein, wenn wir nicht anders wären?


Wie kann ich mir die Arbeit von SG Entertainment genau vorstellen?

Joon Hae ist als Produzent und Direktor für das operative Musikgeschäft zuständig, ich für die Finanzen, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Wir sind ein festes Team von fünf Personen, je nach Projekt holen wir Leute dazu. Wir rekrutieren Künstler:innen, die zu uns passen, und bilden sie aus. Wir helfen ihnen, ihre eigene Vision und auch ihre musikalischen oder tänzerischen Talente zu entwickeln. Auf unserem YouTube-Kanal haben wir beispielsweise Cover-Videos veröffentlicht, was in Korea durchaus üblich ist. Trainees sollen bei diesen Interpretationen populärer Songs lernen, im Team zu arbeiten, vor der Kamera zu performen und sich schon einem Publikum vorstellen. Wir arbeiten ebenfalls mit etablierten koreanischen Künstler:innen und entwickeln gemeinsam Ideen für den europäischen Markt. Wir stellen Kontakte zu Veranstalter:innen oder Produzent:innen her, wir erklären ökonomische und kulturelle Unterschiede.


Eine Dokumentation von SG Entertainment auf YouTube zeigt den Alltag von Künstlerinnen in Ihrer Agentur. Gibt es konkrete Pläne für das im Film gezeigte Projekt Alpha Ray?

Unsere Pläne, Alpha Ray im Sommer 2022 auf den Markt zu bringen, wurden vor allem durch die Corona-Pandemie zurückgeworfen. Wir wollen das Projekt in den nächsten zwei Jahren verwirklichen. Unser Ziel ist es, den europäischen Markt zu erreichen. Wenn wir es schaffen, Alpha Ray in Europa bekannt zu machen, kommt der Erfolg vielleicht auch in Korea an.


Orientieren Sie sich dabei am Erfolgsmodell von BTS im Ausland?

Ja, noch bevor BTS in ihrer Heimat bekannt waren, hatten sie im Ausland bereits eine riesige Fan-Gemeinschaft aufgebaut. Die Menschen fühlten sich von ihren sozialkritischen Themen und Kampagnen angesprochen, die Community wuchs schnell immer weiter. Wir stellen fest, dass auch im Westen immer mehr junge Menschen zu einer starken Gemeinschaft gehören möchten, anstatt unabhängige Individuen zu sein, die ihre kulturelle Nische suchen. Psychologisch spielen hierbei die großen globalen Veränderungen der vergangenen Jahre und die damit verbundene Unsicherheit eine Rolle. Die Gemeinschaft, die extrem enge Bindung zwischen Künstler:innen und Fans, das macht K-Pop weltweit so erfolgreich.

Wie definieren Sie Erfolg?

Für mich persönlich bedeutet Erfolg, das eigene Potential zu erkennen, darauf aufzubauen und das Beste daraus zu machen. Es geht dabei nicht in erster Linie
ums Geld.

Sehen Sie sich auch noch in fünf Jahren in Korea leben und arbeiten?

Ich glaube, Südkorea wird international eine immer wichtigere Rolle spielen. Politisch, wirtschaftlich und auch kulturell. Wir sehen Korea beruflich und persönlich als eine Brücke zwischen den Kulturen. Das Land hat eine starke, frische Identität, alles ist sehr flexibel. Ich empfinde es als viel einfacher, hier etwas aufzubauen als in Europa, und wir wollen weitere Bereiche wie Finanzen oder Mode mit unserer Philosophie erreichen. Ich liebe die Freundlichkeit und den Respekt, den die Koreaner im Alltag zeigen. Die Dinge funktionieren gut und ruhig zusammen, alles läuft. Daher ja, ich sehe mich weiterhin hier arbeiten. Ich werde auch darüber hinaus mit dem Land verbunden bleiben, bald heirate ich meine koreanische Verlobte.


Die Sängerinnen KIM Jiyoon, CHO Yuri, PARK Hannah, LEE Yerin, LEE Chaeyeon, ZHALINOVA Aiganym, KIM Jiyeon (v.l.n.r., v. oben n. unten) 

 

David Lee Schramm (M.A.)

David Lee Schramm (M.A.)

Foto: privat

David Lee Schramm

arbeitet als Multimedia-Redakteur und -Journalist (M.A.). Nebenberuflich betreibt er den Blog hiwwe.de. Er war viele Jahre als Nachrichtenredakteur tätig und produziert digitale Inhalte aller Art. Aufgrund seiner (halb-)koreanischen Abstammung hat er eine enge Verbindung zu Südkorea und studierte unter anderem Koreastudien / Ostasienwissenschaften (B.A.) an der Freien Universität Berlin.