Die Gründung des Jeonju International Film Festival im Jahr 2000 fiel zusammen mit dem Aufkommen der ersten digitalen Videokameras und dem Beginn eines medialen Umbruchs im Kinobereich. Dem trug das in Südkorea gelegene Festival Rechnung und rief das Jeonju Digital Project ins Leben, um „Teaser für die Filme der Zukunft zu schaffen, die uns inspirieren“ und das ästhetische Potenzial des digitalen Formats auszuloten. Im Rahmen des Jeonju Digital Project wurden von 2000 bis 2013 jährlich drei mittellange Filme bei Filmemacher*innen vor allem aus Asien, aber auch aus Europa, Afrika und den beiden Amerikas in Auftrag gegeben und danach zu einem abendfüllenden, bisweilen thematisch verbundenen Programm zusammengestellt. 2014 wurde aus dem Jeonju Digital Project das Jeonju Cinema Project. Das digitale Format war mittlerweile keine Neuheit mehr, sondern zum Standard geworden, entsprechend verschob sich der Fokus auf die Produktion von Low-Budget-Langfilmen.
Um die Arbeit des Jeonju International Film Festival zu würdigen und die Wahrnehmung von häufig nur wenig bekannten mittellangen Filmen namhafter Filmemacher*innen zu ermöglichen, zeigt das Arsenal eine Auswahl von elf Programmen des Jeonju Digital Project sowie einen Langfilm des Jeonju Cinema Project, mit dem die Kontinuität des Programms markiert werden soll. Es finden sich darunter Arbeiten von u.a. Shinji Aoyama, James Benning, Pedro Costa, Denis Côté, Claire Denis, Lav Diaz, Harun Farocki, Eugène Green, Bahman Ghobadi, José Luis Guerín, Mahamat-Saleh Haroun, Matías Piñeiro, Jean-Marie Straub, Hong Sang-soo und Apichatpong Weerasethakul.
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Programm
Do 1.2., 20h
Jeonju Digital Project 2001
GONG GONG CHANG SUO In Public Jia Zhangke KOR/China 2001 OmeU 32’
A CONVERSATION WITH GOD Tsai Ming-liang KOR/Taiwan 2001 OmeU 30’
DIGITOPIA John Akomfrah KOR/GB 2001 OmeU 30‘
GONG GONG CHANG SUO fängt in der ehemaligen Bergbaustadt Datung alltägliche Momente im öffentlichen Raum ein, auf Bahnhöfen, in Bussen, Diskotheken, Restaurants und Karaoke-Bars.
In A CONVERSATION WITH GOD bleibt Tsai Ming-liang auf dem Weg zu einem spirituellen Medium im Stau stecken – Menschen versperren den Weg, die sich zum Fest eines anderen Gottes versammeln. Mit seiner Kamera hält er fest, was ihm begegnet: einen Mann in Trance, schrille Karaoke-Mädchen, einen Stromausfall, einen Striptease. DIGITOPIA zeigt einen Mann, der verzweifelt auf der Suche nach Liebe ist und versucht, seine digitale in eine reale Beziehung zu verwandeln.
Fr 2.2., 20h
Jeonju Digital Project 2011
UN HÉRITIER An Heir Jean-Marie Straub F/KOR 2011 DCP OmeU 22‘
ALLER AU DIABLE To the Devil Claire Denis, F/KOR 2011 OmeU 45’
RECUERDOS DE UNA MAÑANA Memories of a Morning José Luis Guerin KOR 2011 OmeU 47’
In UN HÉRITIER wandert Jean-Marie Straub auf den Spuren eines jungen Landarztes im von den Deutschen okkupierten Elsass-Lothringen in Begleitung durch den Wald und spricht von der geballten Faust in der Tasche. ALLER AU DIABLE zeigt Claire Denis bei der Recherche: Mit dem Schauspieler Jean-Christophe Folly reist sie auf den Spuren eines Stammes ehemaliger Sklaven ins Grenzgebiet von Guyana und Surinam, um dort einen umstritten-charismatischen Goldwäscher zu treffen. RECUERDOS DE UNA MAÑANA: Nach dem Freitod eines Nachbarn aus dem Haus gegenüber, der oft auf dem Balkon Geige gespielt hat, erkundet Guerín in Gesprächen mit Anwohner*innen Hergang und Hintergrund und zeichnet ein Porträt der in seiner Straße lebenden Menschen.
So 4.2., 20h
Jeonju Digital Project 2010
PIG IRON James Benning KOR/Kanada 2010 OmeU 31’
LES LIGNES ENNEMIS The Enemy Lines Denis Côté Kanada/KOR 2010 OmeU 43’
ROSALINDA Matías Piñeiro KOR 2010 OmeU 43’
In einem Duisburger Stahlwerk mit fixer Kamera und in Echtzeit gedreht, zeigt PIG IRON Züge, die Roheisen vom Hochofen abtransportieren, ergänzt um eine Tonspur mit mechanischen Geräuschen. Die Industrie des 19. Jahrhunderts scheint noch ganz nah. In LES LIGNES ENNEMIS streift eine Gruppe von sechs Soldaten auf der Suche nach einem Gegner im permanenten Kampfmodus durch den Wald. Die Bedrohung bleibt unklar. Es ist ein absurder Krieg. ROSALINDA zeigt eine Schauspieltruppe, die sich im Grünen trifft, um Shakespeares Komödie „Wie es euch gefällt“ zu proben. Luisa, die Rosalinda spielt, beendet zuvor per Handy ihre Beziehung. Schon bald wirbt Orlando um sie, und ein Spiel mit Rollen bzw. vorgetäuschten und echten Gefühlen beginnt.
Mi 7.2., 20h
Jeonju Digital Project 2002
A LETTER FROM HIROSHIMA Nobuhiro Suwa KOR 2002 OmeU 37’
SURVIVAL GAME Moon Seung-wook KOR 2002 OmeU 39’
THE NEW YEAR Wang Xiaoshuai KOR 2002 OmeU 33’
A LETTER FROM HIROSHIMA zeigt eine koreanische Schauspielerin, die in Hiroshima ankommt, um mit dem Filmemacher Suwa zu arbeiten. Doch der lässt sich nicht blicken. Sie erkundet die Stadt. Er schaut historische Fotos an und liest einen Brief des Filmemachers Robert Kramer vor. In SURVIVAL GAME fliegt ein Börsenmakler auf, der sich durch Betrug bereichert hat. Er wird zum Flüchtigen, der ziellos umherläuft, bis er ein Schlachtfeld erreicht. THE NEW YEAR: Eine junge Chinesin, die mit weiteren Familienmitgliedern in den USA lebt, kommt nach Hause zurück, um mit ihrem an Krebs erkrankten Vater den Beginn des neuen Jahrs zu verbringen.
Do 8.2., 20h
Jeonju Digital Project 2005
HAZE Shinya Tsukamoto KOR/Japan 2005 OmeU 24‘
DI-JI-TEOL SAM-IN-SAM-SAEK Magician(s) Song Il-gon KOR 2005 OmeU 40’
WORLDLY DESIRES Apichatpong Weerasethakul KOR/Thailand 2005 OmeU 42’
In HAZE erwacht ein Mann ohne Erinnerung in einem Labyrinth aus klaustrophobisch engen Betonschächten. Während er mühsam vorwärts kriecht, trifft er auf eine Frau. DI-JI-TEOL SAM-IN-SAM-SAEK: Jae-sung lädt an Silvester zwei Freunde ein, mit denen er früher in der Indie-Band Magician gespielt hat. Nach dem Freitod der Gitarristin an Silvester vor drei Jahren löste sich die Band auf. Die Zurückgebliebenen erinnern sich an die gemeinsame Zeit. In WORLDLY DESIRES flüchtet ein von ihren Familien verfolgtes Liebespaar auf der Suche nach einem glückbringenden verzauberten Baum in den Dschungel, dessen undurchdringliches Dickicht unvermittelt durch die Interpretation des Thai-Pop-Songs „Will I Be Lucky?“ aufgebrochen wird.
Fr 9.2., 20h
Jeonju Digital Project 2006
ABOUT LOVE Darezhan Omirbayev KOR/Kasachstan 2006 OmeU 38’
NO DAY OFF Eric Khoo KOR/Singapur 2006 OmeU 39’
TWELVE TWENTY Pen-ek Ratanaruang KOR/Thailand 2006 OmeU 30’
ABOUT LOVE: So nüchtern wie die nicht ausgelebten Gefühle zwischen einer verheirateten Frau und einem Freund ihres Mannes inszeniert Omirbayev seinen Kurzfilm nach der Erzählung „Stachelbeeren“ von Anton Tschechow. NO DAY OFF beschreibt ungeschönt das Leben von indonesischen Hausangestellten in Singapur. Exemplarisch für den modernen Sklavenhandel steht Siti, die ihr kleines Kind zuhause lässt, um für eine vermeintlich bessere Zukunft im Ausland Geld zu verdienen. TWELVE TWENTY ist eine elegant in Szene gesetzte Liebesgeschichte, die nur in Gedanken stattfindet und genau die zwölf Stunden und 20 Minuten eines Fluges dauert, die ein Mann und eine Frau nebeneinander sitzend verbringen.
Sa 10.2., 19h
Jeonju Digital Project 2008
THE BIRTHDAY Idrissa Ouédraogo KOR/Burkina Faso 2008 OmeU 12’
EXPECTATIONS Mahamat-Saleh Haroun KOR/F 2008 OmeU 29’
L’ALPHABET DE MA MÈRE The Alphabet of My Mother Nacer Khemir KOR/F 2008 OmeU 30’
In THE BIRTHDAY heiratet die mittellose junge Awa einen älteren wohlhabenden Mann, führt jedoch ihre Liebesbeziehung mit dem jungen Bouba weiter. Anlässlich von Awas Geburtstag schmieden sie einen makabren Plan. EXPECTATIONS: Moussa kehrt nach einer abgebrochenen Reise in die Wüste in sein Dorf im Tschad zurück und muss den Männern gegenübertreten, die ihm das Geld für die Reise geliehen hatten. In L’ALPHABET DE MA MÈRE sehnt sich eine alte Frau nach ihrem vermissten Sohn. Regungslos sitzt sie mit geschlossenen Augen da, während die Bilder der Vergangenheit vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen.
Sa 10.2., 21h
Jeonju Digital Project 2007
AUFSCHUB Respite Harun Farocki D/KOR 2007 OmeU 40‘
A CAÇA AO COELHO COM PAU The Rabbit Hunters Pedro Costa Portugal/KOR 2007 OmeU 23’
CORRESPONDANCES Eugène Green F/KOR 2007 OmeU 39’
Harun Farocki montiert in AUFSCHUB vom Häftling Rudolf Breslauer im niederländischen NS-Durchgangslager Westerbork gefilmte stumme Aufnahmen des Alltags im Lager vor der Deportation nach Auschwitz und kommentiert diese mit Texttafeln. In A CAÇA AO COELHO COM PAU wird der eine von seiner Frau verlassen, der andere von Geistern heimgesucht und ein weiterer des Landes verwiesen – intensive Szenen mit kapverdischen Immigranten, die im Elendsviertel Fontainhas am Rande von Lissabon leben. In CORRESPONDANCES tauschen zwei 17-Jährige E-Mails aus, die nach Romanze klingen. Ein elektronischer Briefwechsel bei Barockmusik und Kerzenlicht, mit Rilke-Zitat, Maggie Cheung als Irma Vep und zwei Strickmützen, die eine rot, die andere blau.
So 11.2., 19h, Einführung: Sung Moon (Jeonju International Film Festival)
GYEO-WUL-BA-ME Winter’s Night Jang Woo-jin KOR 2018 DCP OmeU 98’
Wie bereits in seinem vorhergehenden Film Autumn, Autumn – der im Berlinale Forum 2017 zu sehen war –, erzählt Jang Woo-jin von der Beziehung eines Paars in der Stadt Chuncheon. Der Besuch eines berühmten Tempels wird für die Eheleute um die 50 zu einer Reise in die eigene Vergangenheit. In einer alkoholschwangeren Nacht, in der die beiden eine Reihe ernüchternder Begegnungen vor der Kulisse von Wasserfällen und neonbeleuchteten Schneelandschaften erleben, entsteht die Frage, was aus ihrer Liebe geworden ist.
Di 13.2., 20h
Jeonju Digital Project 2003
LIKE A DESPERADO UNDER THE EAVES Shinji Aoyama KOR/Japan 2003 OmeU 40’
DAF Bahman Ghobadi KOR/Iran/Irak 2003 OmeU 40‘
DIGITAL SEARCH Park Ki-yong KOR 2003 OmeU 30‘
LIKE A DESPERADO UNDER THE EAVES ist das melancholische Porträt eines jungen Mannes: Er lebt in den Tag hinein, spielt Gitarre, hört Tag und Nacht seinen Nachbarn durch die Wand und wirkt dabei immer nur wie ein Gast in seinem Leben. In der kurdischen Hochebene ist die Herstellung der traditionellen Trommel DAF eine gemeinschaftliche Angelegenheit, in der auch die älteren Kinder einer kinderreichen Familie einbezogen werden. Der Fokus liegt ganz auf der Wahrnehmung von Details, bis zum Schluss, wenn die Daf zum Ausdruck der Trauer wird. DIGITAL SEARCH zeigt Ansichten der Stadt Seoul, in Bildern, die abwechselnd Intimität und Distanz ausdrücken. Park nimmt Menschen wie Gebäude in den Sucher der Kamera, findet Muster, wechselt zwischen Musik und Stille.
Mi 14.2., 20h
Jeonju Digital Project 2004
DANCE ME TO THE END OF LOVE Yu Lik-wai KOR/Hongkong 2004 OmeU 30’
INFLUENZA Bong Joon-ho KOR 2004 OmeU 30’
KYOSHIN Mirrored Mind Sogo Ishii KOR/Japan 2004 OmeU 40’
DANCE ME TO THE END OF LOVE: In einer lebensfeindlichen Welt reißt die Ankunft von Flüchtlingen einen Mann aus seiner Routine. Atmosphärisch dichter Science-Fiction-Film, der das entrückte Bild einer fernen Realität entwirft. In INFLUENZA erzählt Parasite-Regisseur Bong so komisch wie formal einfallsreich vom Abgleiten eines zunächst braven Bürgers zum skrupellosen Kriminellen – ausschließlich anhand von Bildern aus Überwachungskameras. KYOSHIN zeigt eine junge Schauspielerin in der Krise: Ihr Filmprojekt fühlt sich nicht mehr richtig an. Eine geheimnisvolle Frau eröffnet ihr neue Welten. Aber was davon ist wahr, was erträumt?
Do 15.2., 20h
Jeonju Digital Project 2009
KOMA Naomi Kawase KOR/Japan 2009 OmeU 34‘
BUTTERFLIES HAVE NO MEMORIES Lav Diaz KOR/Philippinen 2009 OmeU 40’
LOST IN THE MOUNTAINS Hong Sang-soo KOR 2009 OmeU 31’
KOMA erforscht die fragilen japanisch-koreanischen Beziehungen anhand eines jungen Mannes, der in einem kleinen Dorf eine eindringliche Begegnung mit einer jungen Frau sowie die Weitergabe von Traditionen erlebt. BUTTERFLIES HAVE NO MEMORIES zeichnet das Porträt der Bewohner eines Ortes, die allesamt von der Stilllegung einer Goldmine betroffen sind und ihrer gemischten Gefühle bei der Ankunft einer Rückkehrerin. LOST IN THE MOUNTAINS: Die Entdeckung der jungen Misook, dass ihre beste Freundin eine heimliche Liebesbeziehung mit ihrem früheren Professor führt, mit dem sie ihrerseits eine Affäre hatte, führen zu einer Reihe von urkomischen emotionalen Ausbrüchen.
Programm und Text: Birgit Kohler, Annette Lingg & Hans-Joachim Fetzer
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Jeonju International Film Festival.
Für weitere Informationen:
Christine Sievers | Kommunikation
Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
030 269 55 143 oder cs@arsenal-berlin.de | www.arsenal-berlin.de
Kino Arsenal 1 & 2 | Potsdamer Straße 2 | 10785 Berlin