Ausland

ZEIT FÜR HOESHIK!

In jeder Kultur ist Essen von äußerster Wichtigkeit. In Korea jedoch ist die Bedeutung um das Zehnfache höher, da das gemeinsame Essen ein Symbol für Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft ist. Von außen betrachtet kann die koreanische Tradition des Hoeshik oder des gemeinsamen Firmenessens für diejenigen, die es nicht gewohnt sind, Zeit außerhalb der Arbeit mit Kollegen zu verbringen, überwältigend sein. Wie jedoch eine US-Amerikanerin herausfand, die in Korea als Lehrerin arbeitet, bietet diese  warmherzige Tradition Einblicke in die koreanische Kultur und die Möglichkeit für Freundschaften und Beziehungspflege in den ungewöhnlichsten Umgebungen.


Illustration (Ausschnitt) von Kim Hyeong-geon 

Das erste Abendessen mit meinen Arbeitskollegen überraschte mich. Man sagte mir, es gäbe ein von der Schule organisiertes Abendessen nach dem Unterricht, und ich wäre ebenfalls dazu eingeladen. Ich konnte nicht anders, als zu denken: „Ich soll mit meinen Arbeitskollegen Zeit verbringen, sogar nach Unterrichtsende?“. Es ist ein komisches Konzept für jemanden, der aus einer Kultur kommt, in der man es nicht erwarten kann, nach Feierabend nach Hause zur Familie oder zu Freunden zu gehen. Doch schnell wurde Skepsis durch Vergnügen ersetzt, als freundlich lächelnde Kollegen mich zum Essen aufforderten. Jedes Mal, wenn ich mein Glas geleert hatte, wurde es sofort wieder nachgefüllt; jedes Mal, wenn ein Schälchen mit einer Beilage leer wurde, sorgten Rufe wie  „Yeogiyeo“ oder „Entschuldigung“ in Richtung der Bedienung für neue; jedes Mal, wenn ich meine Essstäbchen für eine Pause niederlegte, ermutigten mich winkende Hände zum Weiteressen. Gerade, als ich bis oben hin satt war, brachte die Frage nach „Doenjang-jjigae und Reis?“ eine neue Runde Essen auf den Tisch. Es ist unnötig zu erwähnen, dass es praktisch war, dass meine Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Restaurants liegt, sodass mir ein Arbeitskollege nur einen Stoß verpassen müsste, damit ich über die Straße rollend in das Gebäude gelange. Ich kam zu Hause an und dachte: „Willkommen in Korea“.

In den Vereinigten Staaten kommt es vor, dass wir am Arbeitsplatz mit einigen Kollegen Freundschaften schließen oder sogar gemeinsam an abendlichen Veranstaltungen teilnehmen, Koreaner verstehen den Bund mit den Arbeitskollegen jedoch als äußerst wichtig. Die „Hoeshik-Kultur“ (wortwörtlich ,das Essen mit Kollegen’) ist an jedem Arbeitsplatz zu erleben. Von Büroangestellten über Lehrer bis zu Verkäufern - es wird von Arbeitskollegen erwartet, dass sie nach dem stressigen Arbeitsalltag gemeinsam essen oder Drinks genießen. Für einen Außenstehenden wie mich mag das komisch wirken - wer will schon den ganzen Abend mit Leuten verbringen, die man den ganzen Tag sieht? – aber es ist eine Tradition, die sich eher als alles andere dazu eignet, die Beziehungen am Arbeitsplatz zu verbessern.


Um einen besseren Einblick zu erhalten, warum Hoeshik ein so wichtiger Bestandteil der koreanischen Kultur ist, befragte ich meine Freundin und Kollegin Frau Choi darüber. Sie erklärte mir genau, warum diese Tradition so essentiell in Korea sei und sagte: „Sie gibt uns die Möglichkeit, vertraut miteinander zu werden. Wenn du nicht außerhalb der Arbeit mitisst, dann bist du kein Freund“. Das gemeinsame Essen außerhalb der Arbeit bietet ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich nicht am Arbeitsplatz aufbauen lässt.  Durch den Einfluss des Konfuzianismus ist eine strikte Hierarchie auch in koreanischen Unternehmen gegeben. Doch das gemeinsame Essen mit den Arbeitskollegen ist ein Weg, diese strenge Hierarchie ein wenig zu lockern, und die Leute können frei reden. „Wenn ich mit meinen englischen Kollegen, mit denen ich vertrauter bin, zum Hoeshik gehe, kann ich alles sagen, was ich will, und wir können unser wahres Ich zeigen“, sagt Frau Choi. „Wir können uns über dieselben Geschichten austauschen, daher ist es amüsant“. Durch ein gemeinsames Essen außerhalb der Arbeit können die Mitarbeiter freundschaftliche Beziehungen knüpfen, was sie nach ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz zusammenschweißt, eine unvergleichliche verbindende Erfahrung.


„Hansotbap sikgu” ist ein koreanisches Idiom und bedeutet übersetzt: „Wir essen aus derselben Schüssel“. Jenes Idiom ist von der Art abgeleitet, wie Familien miteinander essen. In der Vergangenheit vermischten die Familienmitglieder das Bibimbap (Reis mit Gemüse und roter Chilipaste) in einer Schüssel, der Vater begann zu essen, und erst danach begannen alle weiteren Familienmitglieder, aus derselben Schüssel zu essen. Ähnlich stellen Arbeitskollegen, die oft nach der Arbeit gemeinsam essen gehen, sich gegenseitig vor mit dem Satz: „Wir essen seit fünf Jahren aus einer Schüssel“. Es ist eine Ausdrucksweise, um zu sagen: „Wir sind wie eine Familie“. Nicht nur, dass das gemeinsame Dinieren mit Arbeitskollegen eine Chance ist, sich besser kennenzulernen, es ermöglicht es auch, sich als Familie zu sehen.

Illustration von Kim Hyeong-geon

Aus diesem Grund werden Koreaner, die eine neue Stelle anfangen oder in den Ruhestand gehen, zu den großen Feiern eingeladen.  Es ist ein Weg, um eine Person in ihrer neuen „Familie“ willkommen zu heißen oder ihr für die Jahre, die sie zusammen verbracht haben, zu danken. Mein Ehemann besuchte eine der größten Feierlichkeiten, als sein Schulleiter in den Ruhestand ging. Dadurch, dass dieser kein normaler Lehrer war, sondern der Schulleiter, war es eine ziemlich große Abschiedsfeier. Alle Mitarbeiter und die Familie des Schulleiters nahmen teil. Es gab ein tolles Buffet, Getränke, Tischreden und am wichtigsten, Geschenke. Jeder verließ die Party mit einem Erinnerungsbuch an die Verdienste des Schulleiters sowie einer Badematte mit darauf prangendem Schulemblem. „Es war so ähnlich wie eine Hochzeit in den USA. Es gab den Ehrengast, dessen Tisch höher als der der anderen Gäste war, und die komplette Familie des Schulleiters war anwesend“, erklärte mir mein Ehemann. „Alle waren sehr hilfsbereit, Fahrgelegenheiten wurden angeboten, und es wurde sichergestellt, dass jeder miteinbezogen wurde, mich eingeschlossen“.


Meine Erfahrungen mit der „Hoeshik-Kultur“ sind relativ zahm, wenn man den Lehrerausflug nicht mitzählt, bei dem unser Musiklehrer ein wenig zu viel getrunken hatte und die ganze Nacht über Trinksprüche herausbrüllte.  Mein Ehemann hat sogar einmal einen Lehrer erlebt, der während eines Abends mit Hoeshik begann, Opern zu singen.“. Jedes Mal, wenn ich zu einem Lehrer-Abendessen eingeladen werde, sage ich zu. Als ausländische Lehrkraft bin ich sowieso schon im Nachteil, was das Knüpfen von Kontakten mit den Arbeitskollegen angeht, daher ist alles von Vorteil, was mir Freundschaft und Harmonie am Arbeitsplatz verschaffen kann.  Mit meinen Kollegen zu essen, ist ein guter Weg, um sie besser kennenzulernen. Bei Leuten, mit denen ich vorher noch nie gesprochen habe, stellt sich heraus, dass sie hervorragende Englischkenntnisse haben, und sogar meine Koreanischkenntnisse werden ein bisschen besser. Ich wusste nicht, wie lohnend Abendessen mit den Kollegen sein können, was die Verbesserung der Arbeitsbeziehungen angeht.


Meine drei Englischkolleginnen und ich entschlossen uns letzten Sommer, einen eigenen Nachmittag mit Hoeshik zu verbringen. Und wenn ich „Nachmittag“ sage, dann meine ich den gesamten Nachmittag. Das war kein einfaches Mittagessen unter Frauen. Wir begannen mit einem Meeresfrüchtebuffet, Pasta, Salat, Steak und Hühnchen. Frau Choi war die erste, die das Eis brach mit der Behauptung, wer auch immer sich am Buffet die wenigsten Teller füllte und deren Inhalt verspeiste, sei ein Verlierer. Ein Gang zum Buffet nach dem anderen wurde gemacht, und eine Geschichte nach der anderen wurde während jedes Bissens miteinander geteilt. Alles - angefangen von den Schülern über Lerntheorien bis hin zu den Plänen für die Sommerferien - wurde diskutiert.  Als ich dachte, ich könnte nichts mehr essen, war es an der Zeit, das Nachspeisenbuffet aufzusuchen. Nachdem wir unsere Teller mit Süßem gefüllt hatten, setzten wir uns für weitere Gespräche wieder zusammen. An diesem Punkt wurde unsere Gruppe Zeuge einer Katastrophe, als die Küche begann, Feuer zu fangen. Wir waren gezwungen, zu bezahlen und das Restaurant zu verlassen, mit einem Grummeln wie: „Wir haben noch nicht einmal unseren Kaffee bekommen!“. Obwohl das Mittagessen vorbei war, galt dies nicht für unsere Kontaktpflege. Aus einem dringenden Bedürfnis nach Kaffee heraus (Jede gute Mahlzeit muss mit einem guten Kaffee beendet werden, richtig?), gingen wir zu einem herrlichen, im europäischen Stil errichteten Café, nicht weit weg vom Buffetrestaurant. Meine Kolleginnen ließen ausgelassenes Kreischen hören und schwärmten: „Das ist wie bei Sex and the City“. Sie begannen, jedem von uns Charaktere aus der Serie zuzuschreiben. Sobald wir alle unsere eigene Kaffeetasse mit beiden Händen umschlossen hatten, begannen wir mit neuen Unterhaltungen, wobei wir den Gesprächsfaden dort wieder aufnahmen, wo wir ihn abreißen lassen hatten. Erst als eine von uns wegen eines Friseurtermins gehen musste, verließen wir das Lokal. Nach einem Buffet, Nachtisch, Kaffee und einer Millionen Worte hatte unser Hoeshik geendet. Das war meine wirklich erste Erfahrung darin, mich im Beisein meiner Arbeitskollegen zu entspannen.  Es war wirklich belebend, und ich verabschiedete mich mit dem Gefühl, Seelenverwandte getroffen zu haben, - eine Empfindung, die ich noch nicht kennengelernt hatte, seitdem ich mein Leben in Korea begann. Außerdem erkannte ich, dass wirklich etwas dran war an dem Konzept von Hoeshik. Wir hatten aus „derselben Schüssel gegessen“, und eine Beziehung war entstanden, die sich auch am darauffolgenden Tag auf der Arbeit weiterentwickelte. Ich wusste, dass ich nun Menschen an meiner Seite hatte, die mich unterstützten, während ich den harten Alltag von Unterricht und Prüfungsvorbereitungen meistern musste. Ich war Teil einer Familie von Englischlehrern.


Nach Meinung der Koreaner fördert Essen das Zusammengehörigkeitsgefühl. Sprachbarrieren werden überwunden, Konflikte gelöst und das wahre Ich wird gezeigt als Teil der Bemühungen, Harmonie und Freundschaft in den Arbeitsalltag zu integrieren. Ich hoffe, dass es mir gelingen wird,  eine solche Art von Gemeinschaft, egal in welchem Arbeitsumfeld ich mich bewege, für mich selber zu finden und mich darin zu engagieren.


Profil:

Die US-Amerikanerin Kate Engelkes und ihr amerikanischer Ehemann leben und arbeiten in Korea. Beide sind Englischlehrer an öffentlichen Schulen in Busan. Kate, die Erziehungswissenschaften an der Iowa State University studierte, genießt es, die kulturellen Unterschiede zwischen dem koreanischen und dem amerikanischen Schulsystem zu erforschen, koreanisches Essen jeglicher Art zu kosten und es sich nach Feierabend mit einem guten Buch auf dem Sofa gemütlich zu machen.


Auszug aus  „Discoveries of Korea. 20 Expats’ Tales”, herausgegeben vom Korean Culture and Information Service, Ministry of Culture, Sports and Tourism, 2011 (Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Jana Scharfenberg)


Quelle: Magazin Kultur Korea (http://kulturkorea.org/