Im Café zu lernen ist in Südkorea ganz normal.
Da meine Mutter Koreanerin ist, ich allerdings nicht mit der koreanischen Sprache aufgewachsen bin, hatte ich nach dem Abitur das Bedürfnis, diese zu erlernen, und ging für ein halbes Jahr nach Korea. Danach entschied ich mich für das Koreanistik-Studium und wurde in Berlin an der Freien Universität angenommen. Im fünften Semester gab es die Möglichkeit, ein Auslandsjahr oder ein Auslandssemester in Korea zu absolvieren. Die meisten meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen waren bis dato noch nie in Korea gewesen. Sie hatten sich für dieses Studium entschieden, da sie sich entweder allgemein für Asien interessierten und eine der asiatischen Kulturen und Sprachen näher kennenlernen wollten, weil sie K-Pop liebten oder gern koreanische Dramen schauten.
Ein Goshiwon misst meist nur etwa 7 qm.
Die Lebensumstände in Korea sind ganz anders als in Deutschland. Die Studenten leben entweder in einem Gisugsa (Studentenwohnheim) in Doppelzimmern oder in einem Goshiwon, also in kleinen Zimmern, meist nur etwa 7 qm groß mit einem eigenen oder einem Gemeinschaftsbad und immer mit einer Gemeinschaftsküche, in der meist Reis, Ramyeon (Instantnudeln) und Kimchi zur Verfügung stehen. Eine weitere Möglichkeit ist das Hasukjib. Hier wohnen mehrere Studenten zusammen mit einer älteren Dame in ihrer Wohnung. Jeder hat sein eigenes Zimmer und bekommt ein- bis zweimal am Tag von der Hausdame eine Mahlzeit zubereitet. In Seoul leben die Menschen meist auf sehr engem Raum, was bei einer Einwohnerzahl in der Hauptstadt von etwa 10 Millionen nicht sehr verwunderlich ist. Koreaner sind allerdings auch nur zum Schlafen zu Hause, da sie die restliche Zeit des Tages bei der Arbeit, in der Universität, in einem Café oder Restaurant verbringen.
Tatsächlich ist auch das Studium in Korea ganz anders als in Deutschland. Hierzulande lernen viele Studenten meist erst kurz vor knapp, wenn die Klausuren anstehen. In Korea wird aber das ganze Semester über jeden Tag gelernt, es werden Hausaufgaben erledigt und Projekte durchgeführt. Dort herrscht eine sogenannte Kaffeekultur. Nach den regulären Vorlesungen setzen Koreaner sich erst einmal in ein Café, entspannen kurz und machen sich dann an die Hausaufgaben. Meist geht das bis spät abends, oft aber auch bis in die Nacht. Dass in einem Café gelernt wird und die Aufgaben erledigt werden, war für mich neu, da ich sonst immer nur zu Hause oder in der Bibliothek lernte. Der Geräuschpegel in den Cafés in Korea ist oft sehr angenehm, weil die Mehrzahl der Gäste dort mit Lernen oder Arbeiten beschäftigt ist. Zurück in Deutschland vermisse ich diese Cafés häufig. Da in Korea Selbstbedienung üblich ist, kommen nicht ständig Kellner zum Tisch und fragen, ob es noch etwas sein darf.
Auch zu fortgeschrittener Stunden wird noch im Café gelernt.
Die Dozenten in Korea waren einerseits streng und machten von Anfang an deutlich, dass Anwesenheits-pflicht besteht und die Hausaufgaben erledigt werden müssen und dass auch Mitarbeit sehr wichtig ist. Doch andererseits waren sie auch sehr fürsorglich, fragten immer nach, wie es einem geht, ob jeder genug gegessen hatte und erlaubten es auch, im Unterricht zu essen, wenn dafür vorher noch keine Zeit war. Dazu muss man wissen, dass Essen für Koreaner sehr wichtig ist, und eine der ersten Fragen, wenn Familie und Freunde sich treffen, ist immer ,,Hast du schon gegessen?”. Wenn die letzte Mahlzeit schon länger als eine halbe Stunde her ist, wird erst einmal das nächste Restaurant angesteuert. In Korea ist es auch im Gegensatz zu Deutschland günstiger, außerhalb zu essen, als selbst zu kochen. Außerdem dauert es in den Restaurants immer nur wenige Minuten, bis das Essen auf dem Tisch steht.
Auf dem Campus der Ewha Universität (Alle Fotos: Antje Kraft)
Eine der einerseits beeindruckendsten, andererseits aber auch traurigsten Einrichtungen an der Uni fand ich den Schlafraum. In diesem gibt es Liegestühle, auf denen Studenten unter ihren Decken schlafen, um sich kurz auszuruhen. Viele bleiben die ganze Nacht in der Bibliothek und machen dann ab und zu eine kurze Pause. Koreaner sind sehr gut darin, sich innerhalb weniger Minuten Schlaf auszuruhen - egal in welcher Umgebung. An meiner Uni war es so, dass die Türen bis etwa 22 Uhr geöffnet waren und dann geschlossen wurden. Wer nach 22 Uhr immer noch in der Bibliothek saß, musste bis zum nächsten Morgen um 7 Uhr dort bleiben, bis die Türen wieder geöffnet wurden. Leider sind Koreaner immer einem riesigen Leistungsdruck ausgesetzt, weshalb sie sich die Nächte in der Bibliothek um die Ohren schlagen. Dieser Druck besteht, weil Studenten nach ihren Noten in die Gruppen A, B, C oder D eingeteilt werden. A ist die beste und D die schlechteste Note. In Korea ist es üblich, dass in einem Kurs die Notenvergabe limitiert ist, was bedeutet, dass von 30 Studenten nur etwa zwei die Möglichkeit haben, die Note A zu erreichen, und das wird strikt eingehalten - auch, wenn eigentlich mehr Studierende auf diesem Level sind. Durch dieses Prinzip wird der Konkurrenzkampf natürlich extrem verschärft. Austauschstudenten werden allerdings nicht in dieses System integriert, wodurch sie nicht diesem Druck ausgesetzt sind. Vor den Abschlussklausuren wurde uns Studierenden seitens der Dozenten ziemlich viel Angst eingejagt, da sie immer wieder betonten, dass diese nicht leicht seien und dafür viel Aufwand zu betreiben sei. Schlussendlich waren die Klausuren am Ende des Semesters meist gut machbar, was wohl daran lag, dass das ganze Semester über kontinuierlich gelernt wurde.
Ich habe einige Freundschaften in Korea geschlossen, teilweise dank meiner deutschen Herkunft. Viele Koreaner sind sehr interessiert an Deutschland, sehen es als Vorbild an, und in der Mittelschule haben sie auch die Möglichkeit, Deutsch als Fremdsprache zu lernen, was viele machen. Einige waren auch schon in Deutschland an einer Universität für ein Auslandssemester, und jeder kann zumindest „Guten Tag” auf Deutsch sagen. Doch auch die Englischkenntnisse vieler Leute hatten sich seit meinem letzten Aufenthalt zwei Jahre zuvor rasant verbessert. Ich hatte seinerzeit die Erfahrung gemacht, dass viele Koreaner zwar Englisch sprechen können, sich aber nicht wirklich trauen und auf Koreanisch antworten. Doch bei diesem Aufenthalt waren Englisch sprechende Ausländer fast schon beliebt, da die Koreaner dadurch ihre Sprachkenntnisse zeigen und verbessern wollten.
Alles in allem hat mir der Auslandsaufenthalt sehr gut gefallen. Ich wurde schon oft gefragt, was mich an dem Leben in Korea so fasziniert. Ich kann es nicht genau sagen, aber durch die Herzlichkeit der Menschen fühle ich mich dort einfach wohl und willkommen.