EINE KULTURELLE SYMBIOSE?
ZU ZWEI UNTERSCHIEDLICHEN KONZERTEN ANLÄSSLICH BESONDERER HISTORISCHER EREIGNISSE
Von Dr. Shin-Hyang Yun
Foto: Koreanisches Kulturzentrum
Blickt man auf die Konzerte der letzten Jahre zurück, so fällt auf, dass mehrere Symphonieorchester aus Korea in Deutschland gastiert haben. Gastspiele in der Berliner Philharmonie, einem traditionellen Ort der europäischen Klassik, haben einen beachtlichen symbolischen Effekt. Besonders ereignisreich war, dass nicht nur ein Orchester mit westlich-klassischen Instrumenten, dessen Gründung auf das Jahr 1945 zurückgeht, sondern auch ein sogenanntes Gugak-Orchester mit traditionellen koreanischen Instrumenten, das im Jahr 1965 gegründet wurde, auf der Bühne der Philharmonie aufgetreten ist. Nach der Aufführung des Daegu Symphony Orchestra im Jahr 2016 in der Philharmonie gastierte das Gyeonggi Philharmonic Orchestra am 17. September 2017 anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten Isang Yun im Konzerthaus. Andererseits präsentiert sich seit dem Jahr 2016 im Rahmen des International Younghi Pagh-Paan Composition Prize regelmäßig ein Gugak-Orchester. Bisher wurden Gugak-Orchester aus verschiedenen koreanischen Städten bzw. Provinzen nach Deutschland eingeladen.
Auf das Jahr 2019 fallen der 100. Jahrestag des 1. März-Aufstandes für die koreanische Unabhängigkeit, der 100. Jahrestag der Gründung einer provisorischen koreanischen Regierung in Schanghai im April 1919 und der 30. Jahrestag des deutschen Mauerfalls im Jahr 1989. Grund genug, um in beiden Ländern zu feiern. Bereits im Juni des Jahres haben sich das Seoul Tutti Ensemble und die Kammersymphonie Berlin nach ihrem gemeinsamen Konzert im Jahr 2016 wieder zusammengefunden, dieses Mal in der Konzertreihe „Berlin trifft“ der Kammersymphonie Berlin. Gespielt bzw. gesungen wurden Werke von Hanns Eisler, Young-Eon Baik, Isang Yun sowie W. A. Mozart, wobei das Doppelkonzert für Oboe und Harfe des Berliner Exilkomponisten Yun vor dem historischen Hintergrund des geteilten Koreas im Fokus stand.
Gab im September 2019 das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Gasteig in München mit dem Gwangju Symphony Orchestra ein gemeinsames Konzert, so fanden im Oktober des selben Jahres in Berlin zwei Aufführungen mit sehr unterschiedlichem Programm statt: Zum einen gastierte am 06. Oktober das westlich orientierte Bucheon Philharmonic Orchestra unter dem Titel „Korea meets Classic“ mit Werken von Eun-Hwa Cho, Sergei Rachmaninow sowie Dmitri Schostakowitsch in der Berliner Philharmonie, zum anderen veranstaltete am 10. Oktober das Isang Yun Haus in Kooperation mit dem Korea Verband in der St. Elisabeth-Kirche in Berlin ein Konzert lediglich mit einer Sinfonie für Schlagzeug Solo von Cord Meijering, der mit Korea seit vielen Jahren in Kontakt steht.
Das Bucheon Philharmonic Orchestra, das vor allem für die erste Aufführung von Mahlers gesamten Symphonien in Korea bekannt wurde, hatte in seinem Repertoire neben dem zeitgenössischen Stück Back Into. Out of für Janggu und Orchester von Eun-Hwa Cho das Klavierkonzert Nr. 3 von Sergei Rachmaninow und die anspruchsvolle Symphonie Nr. 10 von Dmitri Schostakowitsch. Während das erstgenannte Stück der traditionellen europäischen Konzertgattung durch den Einsatz eines koreanischen traditionellen Trommel-Solos eine neuartige Konzertform verleiht, handelt es sich bei den beiden letztgenannten Werken um modifizierte Formen der europäischen Konzert- und Symphoniegattung.
Das Eröffnungsstück Back Into. Out of für Janggu und Orchester (2013/Rev. 2019) von Eun-Hwa Cho, das beim Internationalen Eurasia-Musikfest 2013 in Jekaterinburg, Russland, uraufgeführt und beim Musikfestival des koreanischen Kunstrates im Jahr 2014 in Seoul nochmals aufgeführt wurde, erklang bereits beim Neujahrskonzert 2017, gespielt vom Ensemble Korea als Ensembleversion in der Berliner Philharmonie. Das Stück sei, so die Komponistin Eun Hwa Cho, Ausdruck des Prozesses, den Reiz der traditionellen koreanischen Musik und Instrumente, der sich ihr neu erschloss, in einer ihr vertrauten Sprache zum Ausdruck zu bringen. Im Laufe des Stückes gewinnt die dem westlichen Orchester gegenüberstehende koreanische Trommel an Bedeutung in dem Maße, als dass sie die virtuosen Kadenzen der Soloinstrumente einer Konzertgattung ersetzt. Die koreanische Trommel mit modifiziertem koreanischem Rhythmus wurde zur musikalischen Realität in der Berliner Philharmonie, einem repräsentativen Ort der deutschen Musiktradition.
Neben dem virtuosen Janggu-Spiel von Woongsik Kim, das die neuartige Kombinationsmöglichkeit von neuem kompositorischen Vokabular mit der klassischen Konzertgattung zeigte, demonstrierte das Klavierspiel von Yekwon Sunwoo beim Klavierkonzert Nr. 3 von Rachmaninoff die souveräne Kunstfertigkeit dieser Gattung. Die zarte Artikulation des langsamen Satzes der Mozart-Klaviersonate (KV 545), die dem rasenden Klavierkonzert als Zugabe folgte, raubte dem Publikum den Atem. Es war interessant zu erleben, wie die ihrem Wesen nach unterschiedlichen Instrumente Janggu und Klavier, deren Natur aufeinanderprallt, mit dem ‚koreanisierten westlichen‘ Orchester im selben Konzertsaal interagierten.
Während in jenem Konzert eher das Motto „Korea meets Classic“ im Vordergrund stand, war der Anlass für das vom Isang Yun Haus initiierte Konzert am 10. Oktober in der St. Elisabeth-Kirche der 100. Jahrestag des 1. März-Aufstandes in Korea. Mit dem Stück Marsyas, Sinfonie für Schlagzeug Solo, das Cord Meijering der Schlagzeugerin Eun-Bi Jeong gewidmet hatte, begann zugleich der Spendenaufruf für das Errichten der ‚Trostfrauen‘-Friedensstatuen in Berlin, wozu die Einnahmen des Konzertes beitragen sollten (Mit ‚Trostfrauen‘ werden die aus Korea nach Japan verschleppten Zwangsprostituierten während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) bezeichnet). Damit wurde das Gedenken an die koreanischen AktivistInnen, die sich für die Unabhängigkeit Koreas einsetzten, mit dem Gedenken an die ‚Trostfrauen‘ verknüpft.
Stand das traditionelle koreanische Schlaginstrument im Konzert am 06. Oktober jenem Orchester gegenüber, dienten die asiatischen und westlichen Schlaginstrumente in dieser außergewöhnlichen Sinfonie als solistische Klangmittel. Es war nicht zu verkennen, dass die Leidensgeschichte der griechischen Figur Marsyas, „aus deren Haut die erste Trommel geschaffen wurde“ (Programmheft), in das Konzept des 90-minütigen Schlagzeug-Solos eingeflossen ist. Vor allem konnte man dieses im dritten Satz, in dem die Schlagzeugerin zum Rhythmus Gudgeori-Jangdan mit schamanistischem Klangmittel den Proklamationstext für die koreanische Unabhängigkeit von 1919 rezitierte, gut nachvollziehen. Das Instrumentarium der asiatischen und der westlichen Schlagzeuge, deren Klänge einschließlich der Geräusche vielfältig variierten, war auf vier Sätze verteilt. Im Epilog der Aufführung setzte die Schlagzeugerin mit einer performativen Aktion zur Friedensstatue, die in der Ecke der Bühne stand, ein Zeichen für den Wunsch nach Frieden in Korea und steigerte somit die Bedeutung des Konzertes.
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Wohin führt die gegenwärtige Adresse des koreanisch-deutschen Musikaustausches, der in den letzten Jahren intensiviert wurde? Jährlich besuchen nicht wenige Aufführungsgruppen - von Orchestern bis zu kleineren Ensembles – Deutschland, vor allem Berlin. In diesem Jahr steht das große Festival der Koreanischen Neuen Musik im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt noch bevor (28.11.-03.12.2019). Dabei werden drei Tage lang Werke von verschiedenen Komponisten aus Korea mit verschiedenen Ensembles einschließlich traditioneller koreanischer Instrumente aufgeführt. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Festival zu einer perspektivreichen Symbiose der beiden Musikkulturen führt.
Dr. Shin-Hyang Yun studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Universität Freiburg i. Br. und promovierte an der Universität Köln in Musikwissenschaft (Ph.D.). Sie war Post-doc-Researcher am Korean Art Research Institute der Korean National University of Arts, Seoul, und Gastprofessorin an der Kyemyung University, Daegu. Seit 2011 lehrte sie an verschiedenen deutschen Universitäten, darunter an der Universität der Künste Berlin, der Humboldt-Universität Berlin sowie an der Universität Leipzig. Im Jahr 2018 war sie Forschungskollegin im Asian Culture Research Institut in Gwangju. Sie veröffentlichte in Korea Isang Yun. Musik auf der Grenzlinie (2005), zahlreiche Aufsätze über Isang Yun und Younghi Pagh-Paan sowie Kritiken über koreanische Musikkultur. Im Jahr 2017 wurde ihre deutsche Übersetzung von 한국음악 첫걸음 (deutscher Titel: In der Natur Pungryu genießen. Koreanische traditionelle Musik und ihre Instrumente, erschienen bei Kamprad/Youlhwadang, Autorin: Hye-Jin Song) publiziert.
Quelle: Magazin Kultur Korea (http://kulturkorea.org/)