GELUNGENER AUFTAKT
Mit knackigem Jazzrock und komplexen Improvisationen spielten sich zwei junge Bands im Eröffnungskonzert des JazzKorea Festivals in die Herzen des Publikums.
Von Mario-Felix Vogt
Lange Zeit kannte man in deutschen Landen südkoreanische Musiker entweder als Spieler von traditioneller Musik ihrer Heimat oder als Mozart- und Chopin-Interpreten auf dem Klavier oder der Geige. Dass sich vor allem in Seoul seit den 1990er Jahren auch eine respektable Jazzszene entwickelt hat, war hingegen in Europa viele Jahre kaum bekannt. Mittlerweile zählt man in der südkoreanischen Hauptstadt über 40 Jazzclubs, und das Jarasum Jazz Festival gehört mit jährlich etwa 150.000 Besuchern zu den wichtigsten seiner Art in ganz Asien. Um nun endlich auch das europäische Publikum mit Jazz made in Korea bekanntzumachen, wurde das JazzKorea Festival gegründet, das im Dezember 2013 zum ersten Mal stattfand. Seitdem treten regelmäßig zum Jahresende eine Reihe von südkoreanischen Künstlern und Ensembles in verschiedenen europäischen Städten auf, die die ganze Vielfalt ihrer heimatlichen Jazzszene widerspiegeln. Das Eröffnungskonzert findet traditionell in Berlin statt, anschließend spielen die Musiker in weiteren deutschen Städten sowie in europäischen Hauptstädten wie Warschau, Budapest oder Madrid. Organisiert und veranstaltet wird das Musikfest vom Koreanischen Kulturzentrum (Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea) in Zusammenarbeit mit dem Jazzbassisten Martin Zenker und dem Radiojournalisten Dr. Nabil Atassi.
2019 präsentierte sich das JazzKorea Festival vom 14. bis zum 22. November unter dem Motto „Getting Closer“, das für eine Annäherung von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise auf künstlerischer und menschlicher Ebene steht. Es umfasste vier verschiedene Bandprojekte. Neben der Gitarrenband Van Plein und dem Soojin Suh Chordless Quartet durften sich die Jazzfans auf das Trio Sangjaru freuen, das traditionelle koreanische Instrumente zum Einsatz brachte, sowie auf das Free-Jazz-Projekt Getting Closer, das das diesjährige Festivalmotto aufgriff und koreanische Musiker mit jenen des experimentellen Andromeda Mega Express Orchestra aus Berlin zusammenführte. Dank der Zusammenarbeit mit weiteren Koreanischen Kulturzentren in Europa und der Kooperation mit der Botschaft der Republik Korea in Rumänien gaben die Bands anschließend auch Konzerte in Rom, Budapest, Bukarest, Istanbul und Ankara.
Das Eröffnungskonzert fand im Kesselhaus der Kulturbrauerei im Berliner Künstlerstadtteil Prenzlauer Berg statt, einem hohen Raum mit berlinytpischem Industrieambiente, auf den rohen Betonwänden finden sich vereinzelte Graffitis. Im Vergleich zu üblichen Berliner Jazzkonzerten sind recht viele Koreaner im Publikum, die sich dafür interessieren, wie ihre Landsleute mit einer Musik umgehen, deren Wurzeln in einem ganz anderen Kulturkreis liegen.
Als erste Band betritt ein Trio die Bühne, dessen Name eher an einen niederländischen Aristokraten denken lässt, als an eine Jazzcombo: Van Plein. Der Name ist wohl eine Reminiszenz an den Studienort des Gitarristen und Frontmannes Han Dongil, der unter anderem in Amsterdam ausgebildet wurde. Musikalisch unterstützt wird er vom Bassisten Oh Wonseok am E-Bass und Kim Jonghyun am Schlagzeug. Eher Rockband-like als aristokratisch ist das Bühnenoutfit der drei Koreaner. So kommt Han Dongil ganz in Schwarz auf die Bühne inklusiver dunkler Sonnenbrille, der Mann am Bass trägt ein langes Hemd nebst Mallorca-Sonnenhut, und der Schlagzeuger sitzt in Hip-Hopper-Manier mit der Wollmütze an seinem Set.
Musikalisch haben sie sich ganz dem Fusionjazz aus der Tradition der 1970er und 1980er Jahre verschrieben, der rockige Gitarrensounds und kerniges Schlagzeugspiel mit Jazzimprovisationen verbindet. Van Plein beginnen mit einem ruhigen Stück, das ein wenig an die kontemplativen Klanglandschaften des amerikanischen Gitarristen Bill Frisell erinnert. Sphärische Klänge wabern da durchs Kesselhaus, viele Zuhörer lehnen sich zurück und nippen an ihrem Rotwein. Doch mit den nächsten Nummern steigert sich die Band energetisch. Han Dongil wirft den Verzerrer an seiner Gitarre an, und Kim Jonghyun schlägt mit solcher Rockemphase auf seine Toms, als wäre es sein heimlicher Traum, bei einer Heavy-Metal-Band zu trommeln. Bei einer anderen Nummer beweisen die drei jungen Musiker, dass sie sich auch auf funkige Grooves verstehen. Nun darf auch der Bassist mal zeigen, was er so draufhat. Die Lässigkeit, mit der Oh Wonseok über das Griffbrett seines Fünfsaiters wirbelt, erinnert an Chick Coreas Stammbassisten John Patitucci. Bleibt zusammenfassend festzustellen, dass sich die drei jungen Musiker geschmackssicher in den Stilen der Fusion-Tradition bewegen, auch wenn sie ihren eigenen Stil offenbar noch nicht ganz gefunden haben. Aber sie sind noch jung, und in der Band steckt definitiv großes Entwicklungspotential.
Soojin Suh Chordless Quartet (Foto: Koreanisches Kulturzentrum)
Eine ganz andere Welt eröffnet sich mit der zweiten Gruppe des Abends: Soojin Suh Chordless Quartet. Sie bewegt sich in einem Bereich des Modern Jazz, der immer wieder die Nähe zum Free Jazz sucht, ohne sich dessen Dogmen zu unterwerfen. Soojin Suh gehört zu Südkoreas größten Talenten unter den Jazzdrummern. Nach einer Studienzeit am City College of New York lebt sie nun wieder in ihrer Heimatstadt Seoul. Suh ist bereits auf über 20 Alben zu hören, letztes Jahr veröffentlichte sie mit der Gruppe Near East Quartet (NEQ) ein Album beim berühmten Münchener Jazzlabel ECM, das für seine gelungene Verschmelzung von traditioneller koreanischer Musik mit Jazzelementen von der Fachkritik gefeiert wurde.
Mit ihrem Chordless Quartet knüpft Suh an eine Tradition an, die auf den Saxophonisten Gerry Mulligan zurückgeht. Er war zu Beginn der 1950er Jahre der erste Solist, der eine Band ohne Harmonieinstrument gründete. Das Fehlen eines Harmonieinstruments wie Klavier oder Gitarre eröffnet den vier Musikern große Freiräume in der Improvisation, die vor allem die beiden Saxofonisten für sich zu nutzen wissen. Ko Daniel versteht es, ähnlich verführerisch luftig in sein Altsaxofon zu hauchen wie der legendäre Stan Getz, entlockt seinem Instrument jedoch auch immer wieder schräge Klänge und rasend schnelle Patterns. Etwas straighter agiert sein Solistenkollege Song Hachul, der immer wieder vom Tenor- zum Sopransaxophon wechselt; in seinem Spiel zeigen sich Einflüsse amerikanischer Größen wie Sonny Rollins, Joshua Redman oder Branford Marsalis. Als treibendes energetisches Zentrum fungiert die Bandleaderin am Schlagzeug. Sie bringt das musikalische Geschehen durch überraschende Impulse nach vorn, die in ihrer Freigeistigkeit an den legendären Drummer Paul Motian erinnern. Wie ein Fels in der musikalischen Brandung der wilden Solos erscheint da im Vergleich Kim Young Hoo (aka Hoo Kim) am Kontrabass. Lange hält er sich solistisch zurück, am Ende des Auftritts bekommt er jedoch ein großes Solo. Sein brillantes, intonationssicheres Spiel zeigt, dass er sich vor den virtuosen Leistungen seiner musikalischen Mitstreiter nicht verstecken muss.
Wie der kräftige Applaus beweist, konnten beide Bands das Publikum überzeugen. Sie sind die musikalischen Botschafter eines Landes, das erst seit wenigen Jahrzehnten die Beschäftigung mit dem Jazz sucht und dabei schon zu erstaunlichen musikalischen Resultaten gelangt ist. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Jazzszene in Südkorea weiterentwickelt.
Mario-Felix Vogt (Foto: Yan Revazov)
Mario-Felix Vogt wuchs in Heidelberg auf. Er studierte in Düsseldorf und Essen Klavier, Bratsche und Musikwissenschaft und lebt seit 2016 als freier Musikjournalist in Berlin, wo er an seinem Schreibtisch über Texten brütet, die sich zumeist um spannende Themen aus Jazz und Klassik drehen. Unter anderem schreibt er regelmäßig für das Klaviermagazin PIANIST, die Berliner Morgenpost und die Elbphilharmonie.