EIN MAIBAUM FÜR BUSAN
Von Tim Hirschberg
Sieben Tage Regenwetter und dicker Nebel an der Küste – manch einem in Busan wurde schon das Herz schwer und er sah einen Traditionsbruch kommen. Eigentlich scheint pünktlich zum deutschen Maifest die Sonne in der südkoreanischen Meeresstadt, und zwar seit 15 Jahren ausnahmslos. Als dann am frühen Morgen der Festplatz auf dem Campus der Pusan National University doch noch im Licht funkelte, war die Begeisterung umso größer.
Kein gewöhnlicher Samstag für die koreanischen Studenten und Professoren: Sie tauchen alles in schwarz-rot-goldene Farben, zupfen Dirndl und Lederhosen zurecht, feilen an den Reden in deutscher Sprache und proben waghalsige Tanzmanöver. Die Pusan National University, die Busan University of Foreign Studies, die Korean Maritime and Ocean University und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) bündeln die Kräfte, um die deutsche Sprache, Kultur und die Freundschaft mit Korea zu feiern.
Versteckt im Schatten liegt die Überraschung: Koreas erster Maibaum – ein Geschenk der Deutschen Botschaft – wird gleich von vier Germanistikstudenten in die Vertikale gehievt.
화이팅! (koreanischer Anfeuerungsruf): Der Maibaum stellt sich nicht von alleine auf. (Copyright für alle Fotos: Tim Hirschberg)
„Hepp, hepp!“, rufen sie. Die rund 450 Gästen halten den Atem an, als der massive Holzpfahl abzukippen droht. Doch dann ist der nervenaufreibende Balanceakt gemeistert und das Programm beginnt. Es folgt ein wilder Ritt durch diverse Zeiten, Stile, Regionen und Bräuche des deutschsprachigen Raums. Junge Koreaner mit strammen Waden und Kunstbärten wirbeln bei ihrer Version des Schuhplattlers die grazilen Tanzpartnerinnen durch die Luft. „Fast wie dahoam, sagt ein Urlauber aus Tirol, den es zufällig aufs Maifest verschlagen hat. Nach der kühnen Akrobatik tönen die zarten Klänge eines Streichorchesters, bevor es wieder Schlag auf Schlag geht und kernige Männerchöre die Lieder von Max Giesinger schmettern. Dazwischen mischen sich ein paar lässige K-Pop-Tänzerinnen als Kontrast zum sonst deutschen Programm.
Bei der ausgelassenen Stimmung fällt es schwer zu glauben, dass die Situation für die deutsche Sprache in Korea komplizierter ist als früher. Die Germanistikinstitute geraten unter Druck, und das Maifest selbst ist der Beleg dafür. Konnten sich vor zehn Jahren noch fünf Universitäten beteiligen, sind es heute nur noch drei. Das liegt weniger an den linguistischen Fallstricken des Deutschen – den ‚alphabetischen Prozessionen‘ (überlange Bandwurmwörter) oder der ‚Parenthesekrankheit‘ (komplizierte Schachtelsätze), um den frustrierten Deutschlerner Mark Twain zu zitieren – als an bildungspolitischen Entscheidungen. Die Geisteswissenschaften insgesamt werden gewissermaßen an den Rand gedrängt, die koreanischen Schüler sind nicht mehr verpflichtet, eine zweite Fremdsprache zu wählen, und 2007 schaffte die Regierung Deutsch als Fremdsprache als Teil der Hochschulzugangsprüfung (Suneung) ab. Die Anzahl der Deutsch lernenden Schüler in Korea sank in den vergangenen 20 Jahren massiv, nämlich von rund einer halben Million auf nur noch knapp 10.000.
Vor allem der DAAD und das Goethe-Institut möchten dieser Entwicklung entgegensteuern. Sechs sogenannte Lektoren schickt der DAAD als Dozenten, Studien- und Stipendienratgeber an Universitäten in Seoul, Busan sowie Daegu. Die jungen Sprach- und Kulturbotschafter bringen frischen Wind an die Institute, in denen der Altersschnitt hoch ist. Für viele der im autoritären koreanischen Bildungssystem aufgewachsene Studenten ist es eine irritierend-schöne Erfahrung, ihren Professor beim Stammtisch zu duzen und mit ihm auf Augenhöhe zu diskutieren.
Am DAAD-Stand auf dem Maifest gibt es buttrige Sandringe, eine Miniatur des Brandenburger Tors, stapelweise Infobroschüren und jede Menge Fragen: „Architektur – lieber in Stuttgart oder Weimar studieren?“, „Wie ist das mit dem Terrorismus und Rassismus in Deutschland?“, „Bleiben die deutschen Unis gebührenfrei?“, „Wie sind die Jobchancen nach dem Studium?“.
Bücherwürmer: Daniel Krasa vom Hueber Verlag zeigt die neuesten Hilfen zum Deutschlernen.
Gut 6000 Südkoreaner studieren momentan in Deutschland, fast 2000 davon sind an Kunst- oder Musikhochschulen eingeschrieben. Die dafür nötigen Sprachkenntnisse lassen sich nicht ohne weiteres an den koreanischen Universitäten erwerben, die oft nur Kurse bis zum mittleren Niveau anbieten. Hier springt das Goethe-Institut ein, das in Seoul, Daejeon, Daegu, Gwangju und Busan präsent ist. Die Mitarbeiterinnen am Maifeststand mit den chartreuse-grünen Bannern schwingen trotz der strapaziösen Dauereinsätze auf Messen die Werbetrommel voller Engagement. Wer sich für einen ihrer Kurse entscheidet, erlebt Kontraste zur traditionellen koreanischen Sprachdidaktik. Statt Frontalunterricht, Grammatikdrill und Übersetzungsübungen unterrichten die Goethe-Lehrer alltagsnahes Deutsch mit viel Interaktion. Nur so lässt sich das charakteristische Ungleichgewicht in Korea – imponierende grammatische Fähigkeiten, aber schwache kommunikative Fremdsprachenkompetenz – vermeiden.
Praktische Erfahrungen lassen sich auch auf dem Maifest sammeln. Von den rund 200 Schülerinnen, die an Busans internationaler Fremdsprachenoberschule Deutsch als erste Fremdsprache lernen, sind mehr als 70 gekommen. Manche testen zum ersten Mal, wie ihre Kenntnisse bei ‚echten Deutschen‘ funktionieren. Wird diese Erfahrung dann noch durch ein Geschenk der Tombola garniert – die Akkubohrer ‚Made in Germany‘ rufen wahre Jubelarien hervor – fällt die Grammatiklektion ‚Deklination attributiver Adjektive‘ am Montagmorgen schon viel leichter.
Die Sonne auf dem Campus steht inzwischen so tief, dass das Bier in den Bechern golden leuchtet. Man kommt ins vertrauliche Gespräch, redet über das Auslandssemester in Heidelberg, die feuchtfröhliche Rheinschifffahrt, aber auch über Fernbeziehungen mit gebrochenen Herzen. Ein Maifestveteran erinnert sich an den Ursprung des Fests im Jahr 2003. Damals habe man noch in fast privater Runde auf die interkulturelle Freundschaft angestoßen. Alles sei dann von Jahr zu Jahr immer größer geworden. Es habe sich ein Rotationsprinzip etabliert, bei dem jedes Jahr ein anderer Campus als Festlokalität diene. Dadurch habe man schon an der Marineuniversität mit Salzgeschmack auf den Lippen in die Grillwurst gebissen oder von der Bergterrasse der Fremdsprachenuniversität deutsche Volkslieder ins Tal getragen. Botschafter, Honorarkonsuln, Firmenchefs und wissenschaftliche Koryphäen hätten dem Maifest die Ehre erwiesen. Natürlich habe es auch schwierige Situationen gegeben; etwa 2014, als kurz vor dem Maifest die Fähre Sewol gekentert sei und Korea unter kollektivem Schock gestanden habe.
Ob es ihn denn traurig mache, dass morgen das Maifest schon wieder vorbei sei und man ein ganzes Jahr lang warten müsse, wird der Mann gefragt. Er lächelt verschmitzt und verblüfft mit einem leicht abgewandelten Zitat des Dichters Friedrich Hebbel: „Jeder Maitag ist ein kategorischer Imperativ der Freude!“
(Ein Bericht vom Maifest 2018)
Tim Hirschberg (Foto:
Tim Hirschberg
Tim Hirschberg arbeitet seit April 2017 für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) als Gastprofessor an der Pusan National University in Busan, Südkorea. Vorher war er am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin (heute: Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft) und der Goethe-Universität Frankfurt am Main beschäftigt. Sein wissenschaftliches Interesse ist die theoretische Linguistik.
Quelle: Magazin "Kultur Korea" (http://kulturkorea.org)