Ausland






DMZ (Copyright: Bodo Hartwig) 






Anders als in Deutschland vor 30 Jahren setzt sich die Teilung Koreas ungerührt fort, auch wenn es zuletzt hoffnungsvolle Zeichen der Annäherung gab. Die innerkoreanische Grenze, von einem amerikanischen Präsidenten einst „the scariest place on earth“ genannt, übt trotz oder wegen ihrer Schrecken eine gewisse Faszination aus.


Von Bodo Hartwig



„Unsere koreanische Halbinsel ist mittendurch von einem vier Kilometer breiten Streifen aus doppeltem Stacheldraht zerteilt, zwei Kilometer weisen nach Norden und zwei Kilometer nach Süden. Die sogenannte Demilitarisierte Zone wurde 1953 nach dem Waffenstillstand errichtet. Diesen Zustand der Trennung haben wir bis heute nicht beseitigen können.“ Jeong Se-Hyun, Jahrgang 1945. Der frühere Vereinigungsminister Südkoreas wirkt etwas ratlos, als er die DMZ als Reiseziel beschreiben soll. „Wenn ich daran denke, wie die Deutschen durch die Kraft ihrer Vernunft die Feindschaft überwanden und heute mit Stolz die Reste ihrer Mauer als Mahnmal präsentieren, dann bin ich schon ziemlich neidisch. In Deutschland ist die Mauer weg, bei uns ist sie noch immer traurige Realität. Insofern ist die DMZ für mich kein Ort, den ich meinen Besuchern mit Stolz zeige, sondern einer, für den ich mich schäme“.


Südliche Grenzlinie zur DMZ


Knapp 60 km Luftlinie nördlich von Seoul. Ein kühler Wind weht durch die Maschen des Y-förmigen Zauns, der eine kahle Schneise in die Höhenzüge der Berge gegraben hat. Mehrmals täglich kontrollieren Patrouillen die Unversehrtheit der Signaldrähte. Seit im Zuge der jüngsten Entspannungsphase die Propagandalautsprecher auf beiden Seiten abgebaut sind, ist es hier deutlich ruhiger geworden, bestätigt ein junger Offizier: „Manchmal sind Wortfetzen oder militärische Befehle aus Nordkorea zu hören. Aber nur dort, wo die DMZ etwas schmaler ist“. Der Soldat bleibt an einer weißen Drahtskulptur stehen: Das Abbild einer riesigen Hand, die vorsichtig ein Stück Stacheldraht anhebt. „Friedenshand“. Die Arbeit des französischen Bildhauers Jean Michel Rubio verkörpert die Sehnsucht vieler Menschen nach Frieden und Wiedervereinigung. Doch der Weg dorthin bleibt weiter unklar. „Letztlich hängt viel davon ab, welche Art von Wiedervereinigung man in Nordkorea möchte. Ob sie wie wir mit einer friedlichen Demokratie einverstanden wären? Wir werden sehen. – Irgendwann.“


Zivil-Kontrollzone


Rund 50 km weiter nordwestlich fährt ein Dorfbus die kleinen Ortschaften der Region Cheorwon ab. Soeben hat er im grenznahen Yangji-Ri gehalten, das auch Durumi Town genannt wird, „Stadt der Kraniche“. Frau Kim Il-nam lebt hier seit Mitte der 80er Jahre in der Zivil-Kontrollzone, arbeitet mit bei Umwelt- und Forschungsprojekten im Grenzgebiet. Gerade steigt sie auf einen markanten, kegelförmigen Hügel, der sich steil inmitten einer Ebene aus Feldern erhebt. „Hier oben ist ein guter Ort, um Kranichrufe, Vogel- und Windgeräusche zu hören. Außerdem kann man bis weit nach Norden reinschauen.“ Eine angerostete Stahltür führt durch einen kühlen Bunker mit Schießscharten in alle Himmelsrichtungen. Bis vor kurzem wurde der Berg noch von Soldaten genutzt. Jetzt befindet sich darauf eine Beobachtungsstation für Zugvögel. „Das da drüben ist alles Nordkorea.“ Frau Kim zeigt auf ein paar grünlich schimmernde Berge. „Bei klarem Wetter kann man von hier aus die Bewohner Nordkoreas auf ihren Feldern arbeiten sehen. Da vorne steht ein nordkoreanischer Wachturm mit wehender Flagge.“ Frau Kim wird nachdenklich. „Wir sehen so ähnlich aus, könnten uns ohne Übersetzung verständigen. Dennoch stehen wir uns mit Waffen gegenüber und reden nicht miteinander. Das macht mich manchmal schon traurig“, gesteht sie. Kriegsangst habe hier gleichwohl niemand. Man arrangiert sich mit dieser unnatürlichen Grenze. „Andererseits fasziniert der Gedanke, dass das Niemandsland keiner betreten darf. Und deswegen zeigen auch ausländische Organisationen vermehrt Interesse, die Gegend zu erforschen. Ich selbst bin sehr neugierig, welche Pflanzen und Tiere inzwischen dort leben.“


Zukünftiges „Grünes Band“


Tatsächlich hat die DMZ als menschliche Sperrzone in den fast sieben Jahrzehnten Stillstand Alleinstellungsmerkmale herausgebildet, die es zu bewahren gilt. 2018 hat das südkoreanische Umweltministerium einen Masterplan für das Ökosystem der Grenzregion erstellt. Frau Park-Eun-jin vom National Institute of Ecology (NIE) ist an dessen Umsetzung beteiligt. „Die DMZ ist in unserer Klimazone der einzige vollständig erhaltene Naturraum dieser Größenordnung. Darin leben ungefähr 6000 verschiedene Spezies, mehr als 200 davon gelten in der übrigen Welt als bereits ausgestorben.“ Das Gebiet sei somit als Kristallisationskern zur Regeneration unserer Umwelt enorm wichtig. „Wenn der zerteilt würde, durch Entwicklung, dann wäre dieser Effekt gefährdet oder gar für immer zerstört.“ Deshalb müsse sich auch der Tourismus in der Region zurückhalten. „Derzeit ist die DMZ temporär an drei Stellen für Zivilisten zugänglich gemacht worden. Also, das beobachten wir genau, damit das nicht überhandnimmt.“


Nordöstlichster Punkt Südkoreas


Mit Naturschutz- und Entwicklungsprojekten beiderseits der DMZ beschäftigt sich auch die deutsche Hans Seidel Stiftung, deren Repräsentant in Korea Dr. Bernhard Seliger ist. An diesem sonnigen Tag besichtigt der gebürtige Münsteraner ein unlängst erneuertes Observatorium am nördöstlichsten Zipfel Südkoreas, knapp 70 km nördlich des 38. Breitengrades. Auf der hochgebauten Besucherplattform posieren einige Touristen für ein Foto vor einer spektakulären Kulisse aus Bäumen, schroffen Felsen und blauem Meer. „Mir wird warm ums Herz, wenn ich hier stehe, denn ich blicke jetzt nach Hae-Geumgang, das „Meeresdiamantengebirge““, sagt Dr. Seliger. „Ich habe in den letzten Jahren oft auch auf der anderen Seite gestanden und hierher geguckt, denn dort gibt es eine Stelle, wo man bis an das Meer tatsächlich in die DMZ hineingehen kann. Dort haben wir Vogel-Surveys durchgeführt und eben auch bestätigt, dass die­se Landschaft nicht nur historisch und politisch einmal eine Einheit war, son­dern auch ökologisch eine Einheit ist.“ In der Zeit der „Sonnenscheinpolitik“, als Jeong Se Hyeon noch im Amt war, wurde die DMZ an dieser Stelle für Verkehrswege nach Norden durchbrochen. „Wandel durch Annäherung“ war damals auch in Korea die Devise, mit dem Nebeneffekt, Südkorea an das eurasische Schienennetz anzubinden. Auch wenn noch immer keine Züge fahren, gibt sich der frühere Vereinigungsminister zuversichtlich: „Wir haben in diesem Jahr die Erneuerung der nördlichen Schienenwege vorangetrieben. Wenn die Modernisierung abgeschlossen ist, können Züge von Busan über Nordkorea nach China oder Wladiwostok fahren und über die Transsibirische Eisenbahn weiter bis nach Berlin. Solche Hoffnungen hat unser gesamtes Volk. Und wir erwarten und wünschen, dass dieser Tag kommt, an dem das geht.“ Und leise er fügt hinzu: „Wenn die Verhandlungen zwischen Nordkorea und den USA positiv beendet würden, nähme der „Zug der Wiedervereinigung" wahrscheinlich schneller Fahrt auf.“


November 2019



Über den Autor: 


Bodo Hartwig ist freier Toningenieur und Radioautor. Recherchen und Tonaufnahmen führen ihn regelmäßig nach Südkorea. Im November 2019 strahlte der Deutschlandfunk sein Radiofeature über die DMZ aus.