Su Yeon Hilbert (Alle Fotos: privat)
Korea und Deutschland eint die Geschichte der Teilung, nicht aber die der Einheit. Vorerst zumindest. „Eine Wiedervereinigung Koreas wäre wünschenswert”, sagt Su Yeon Hilbert, „aber weitaus schwieriger als es die Einheit der Deutschen war, die niemals Krieg gegeneinander geführt haben, weniger lange getrennt und wirtschaftlich weniger weit voneinander entfernt waren als Süd- und Nordkorea es sind.” Vor zwölf Jahren ist sie nach Deutschland gekommen - der Liebe wegen. Seither lebt sie mit ihrem Mann, Oberbürgermeister Dirk Hilbert, und ihrem Sohn in Dresden. Hier lässt sich die Zeit des innerdeutschen Wandels und der Öffnung nicht zuletzt an der Vielzahl der Touristen aus aller Welt ablesen, die alljährlich in die Stadt strömen, um Frauenkirche, Zwinger oder Semperoper zu besuchen.
Ob Kuchen- oder Kaffeezeit, FKK oder Bademode, Jugendweihe oder religiöses Bekenntnis - was Su Yeon Hilbert als „Kleinigkeiten” einer unterschiedlichen Entwicklung zwischen einstmals Ost- und Westdeutschland bezeichnet, nennt sie mit Blick auf Korea das „größte Hindernis”: die Ausprägung einer jeweils eigenen Kultur im Laufe dieser langen Zeit der Teilung. „Einer innerkoreanischen Wiedervereinigung muss eine kulturelle Annäherung vorausgehen, sonst wird diese Aufgabe nicht zu bewältigen sein”, ist sie überzeugt und bezeichnet diese Herausforderung neben der wirtschaftlichen als „schwierigsten Teil”. Selbst die Sprachentwicklung sei in beiden Teilen Koreas so unterschiedlich verlaufen, dass ein Austausch zunehmend schwieriger werde. Im Vergleich mit der Ausprägung unterschiedlicher Dialekte in Deutschland sei die Verständigung zwischen Sachsen und Bayern geradezu ein Kinderspiel.
Als Su Yeon Hilbert 2008 nach Deutschland kam, lag der Mauerfall schon weit zurück. Auch deshalb äußert sie sich mit Vorsicht, wenn sie die innerdeutsche Annäherung auf Basis ihrer ganz persönlichen Erfahrungen und Begegnungen der letzten Jahre als weitgehend gelungen bewertet. Gewiss, da ließen sich bei angestammten Dresdnern zuweilen Sehnsüchte nach Altvertrautem heraushören, nach Hallorenkugeln, Club-Cola oder nach mehr Egalität, aber mit der Aufnahme von „Ostprodukten” ins Warensortiment wusste schon so mancher Discounter der Gegenwart zu punkten und den Schmerz des Verlustes zumindest ein wenig zu lindern. Und: Der Reflex einer nostalgischen Rückbesinnung auf die ,gute alte Zeit’ wird seit Menschengedenken von allen Generationen in wohl allen Teilen der Welt aufs Neue freigesetzt. Vor diesem Hintergrund darf guten Gewissens angenommen werden, dass auch nicht jeder angestammte Mannheimer den ,Soli’ als freudigen Akt der Solidarität mit den benachbarten Brüdern und Schwestern versteht.
Als Koreanerin in Deutschland erlebt Su Yeon Hilbert viel Weltoffenheit und wenig Skepsis, was insbesondere ihrem eigenen Engagement zu verdanken ist, auf Menschen zuzugehen. „Sprache ist der Schlüssel für Verständigung”, sagt sie und erntet Bewunderung für ihre beeindruckenden Deutschkenntnisse - auch und vor allem bei denjenigen, die auf sie als Asiatin zunächst mit Befremden reagieren. „Das ist ganz natürlich, überall auf der Welt antworten Menschen mit Distanz auf Unvertrautes. Das hat mit Angst zu tun. Wichtig ist, diese Angst in Interesse zu verwandeln”, ist sie überzeugt und sucht das Gespräch. Das Gegenüber reagiert zunächst mit Erstaunen ob der problemlosen Konversation und dann mit Neugier auf die Konversation, und „schon hat sich die Tür geöffnet”. Nein, das gelänge natürlich nicht immer, manche Menschen wollten schlicht kein Interesse entwickeln und sich nicht zuwenden. Das habe viel mit eben dieser Angst zu tun, die rechte Politiker zu instrumentalisieren und vielfach in Hass zu verkehren wüssten. „Es gibt viele Menschen, die stehen ganz eng zwischen Wut und Interesse, zwischen Pegida und Offenheit. In Abhängigkeit von ihrem Umfeld laufen sie dann entweder in die eine oder in die andere Richtung.” So steht Dresden einerseits für 11.000 Teilnehmer*innen, die in diesem Jahr mit der Bildung einer Menschenkette im Gedenken an die Zerstörung Dresdens vor 75 Jahren ein Zeichen für Frieden und Versöhnung setzten und andererseits für gegenteilig Gesinnte, die in konträrer Absicht demonstrierten und das Gegenteil postulierten. Ja, bislang habe es auf ihrer Facebook-Seite zwei oder drei Beleidigungen gegen sie als Asiatin gegeben, aber daran erinnere sie sich kaum noch. Wer Su Yeon Hilbert erlebt, hat keinen Zweifel daran, dass sie ihr Augenmerk auf die positiven Dinge richtet.
Als positiv erlebt sie auch das Miteinander auf beruflicher Ebene. Im Chemnitzer Chor arbeitet sie mit Menschen aus acht Nationen zusammen. Acht kulturelle Welten sind vereint in der „Sprache Musik, die alle Grenzen überwindet”. Diese Freiheit der Individualität erlebe sie als wohltuend und bereichernd und als gegensätzlich zu ihrer Heimat, wo ihre Karriere im koreanischen Nationalchor begann, der etwa mit dem Rundfunkchor in Deutschland vergleichbar sei. „Korea ist traditionell streng hierarchisch strukturiert, fast militärisch”, sagt sie. Das habe sich mittlerweile zwar schon ein wenig geändert, sei aber von den individuellen Freiheiten der westlichen Welt noch weit entfernt, mit denen Su Yeon Hilbert schon vor ihrer Ankunft in Deutschland vertraut war. Ein Jahr lang hatte sie bereits in Italien gelebt und ihre Karriere als Mezzosopranistin vorangetrieben. Sie hatte an internationalen Gesangswettbewerben teilgenommen und sich für das Finale qualifiziert, das schließlich in der Dresdner Semperoper stattfand und von Dirk Hilbert als Oberbürgermeister der Stadt organisiert worden war, den sie bei der Gelegenheit kennengelernt hat. Das war 2008. Im Dezember desselben Jahres war sie bereits mit ihm verheiratet und von Seoul nach Dresden übergesiedelt. „Das ging alles sehr schnell”, lacht sie.
Su Yeon Hilbert mit Ehemann, Oberbürgermeister Dirk Hilbert, und Sohn Lucas
Sie selbst stammt aus einer Künstlerfamilie und ist somit seit jeher von dem Wert eines selbstbestimmten Lebens überzeugt. So kommt ihr in Deutschland zugute, was ihr in Korea zuweilen zum Nachteil gereichte: Die Freiheit, ihre Meinung äußern und auch einem Vorgesetzten wie ihrem Chorleiter widersprechen zu dürfen. Als sie Südkorea vor zwölf Jahren verließ, gab es im ganzen Land nur wenige Ausländer, im Chor gab es keine. „Das liegt zum einen daran, dass die Koreaner den Bedarf an ausgezeichneten Sänger*innen selbst problemlos decken können”, sagt sie sympathisch verschmitzt und mit bescheidenem Stolz. Zum anderen seien perfekte Sprachkenntnisse eine weitere Voraussetzung, die nur die wenigsten Ausländer erfüllten, da Koreanisch nun einmal eine seltene Sprache sei. In den letzten Jahren hat sich das Land erheblich für die Außenwelt geöffnet, aber gesellschaftliche Strukturen sind langlebig, und Wandel braucht Zeit. Ob Korea oder Deutschland, Vor- und Nachteile gibt es hier wie dort. „Das Wichtigste sind die sozialen Beziehungen der Kolleg*innen untereinander - wichtiger als die Arbeit an sich”, sagt sie, die beide Welten kennt.
Werden Süd- und Nordkoreaner eines Tages in einem Chor gemeinsam singen wie es Deutsche heute in Chemnitz tun? “Wir müssen den ideologischen Kampf zwischen Rechts und Links beenden und eine Mitte schaffen, die es bislang nicht gibt. Ich bin aufgewachsen mit dieser Polarisierung zwischen Süd und Nord, Gut und Schlecht, Marktwirtschaft und Sozialismus, Idealisierung und Verteufelung. Die Bedeutung von ‚Rechts‘ und ‚Links‘ ist eine völlig andere als in Europa. In meiner Heimat steht Rechts für USA-Freundlichkeit und Marktwirtschaft und Links für das Gegenteil. Es fehlt eine versöhnliche Mitte als Vermittlerin zwischen den Gegensätzen, ohne die ich eine innerkoreanische Wiedervereinigung nicht für realisierbar halte.”
Das Interesse an einer Wiedervereinigung ist nach Einschätzung von Su Yeon Hilbert vor allem eine Frage der Generationszugehörigkeit. Wer den innerkoreanischen Krieg erlebt und noch Verwandte in Nordkorea hat, ersehnt eine Zusammenführung, für die sich die Jugend kaum begeistern kann”, skizziert sie das Stimmungsbild. „Für die Generation meiner Großeltern sind die Nordkoreaner Brüder und Schwestern, für die Generation der 20- bis 30-Jährigen besteht diese emotionale Beziehung nicht mehr.” Wie kann das Modell der Zukunft aussehen? „Wir müssen das 1953 geschlossene Waffenstillstandsabkommen endlich durch einen Friedensvertrag ersetzen und den Krieg offiziell beenden. Wir brauchen eine Phase der friedlichen Koexistenz und der kulturellen und wirtschaftlichen Annäherung beider Koreas.” Und die Verschmelzung zu einem Korea, irgendwann? „Da bleiben Zweifel”, gesteht sie. Beim Wunsch nach Frieden nicht.